27.03.2015 Drucksache 6/441Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 10. April 2015 Prekäre Beschäftigungsbedingungen der Lehrbeauftragten und freiberuflichen Dozenten /Honorarkräfte an Thüringer Hochschulen Die Kleine Anfrage 154 vom 6. Februar 2015 hat folgenden Wortlaut: An Thüringer Hochschulen werden u. a. selbstständige Lehrbeauftragte und freiberufliche Dozenten/Honorarkräfte zur Abdeckung des Lehrbedarfs eingesetzt. Viele dieser Lehrkräfte führen ihre Tätigkeit an den Hochschulen hauptberuflich aus und unterrichten oft jahrelang wiederholend die gleichen Lehrveranstaltungen . Die wirtschaftlichen Bedingungen, unter denen diese Lehrkräfte eingesetzt werden, sind zum Teil äußerst schwierig. So weist die Satzung zur Vergütung von Lehraufträgen der Friedrich-Schiller-Universität Jena unverändert seit 2011 einen Honorarsatz von 19 Euro pro 45 Minuten Unterrichtseinheit für Lehrkräfte aus, die ein Hochschulstudium absolviert haben. Mit diesem Satz sind auch die zeitintensiven Vor- und Nachbereitungen abgegolten. Die in der Regel von solchen Lehrkräften erwarteten Konsultationsangebote sowie Teilnahme an Dienstberatungen werden nicht gesondert vergütet. Die Lehraufträge sind auf ein Semester befristet, sodass mangels Arbeitslosenversicherung von diesem Honorar auch noch Rücklagen für die vorlesungsfreie Zeit zu bilden sind. Die betroffenen Lehrkräfte tragen jedenfalls zum Teil auch das Risiko des Widerrufs von Lehrveranstaltungen, wenn nicht eine Mindestzahl an Teilnehmern für die Veranstaltung zusammenkommt. Weder mittel- noch langfristig existiert eine Planungssicherheit für die Betroffenen. Als Selbstständige müssen jene Lehrkräfte sich vom o. g. Honorarsatz krankenversichern, die Einkommenssteuer zahlen und eine Alterssicherung aufbauen, letzteres in der Regel als Pflichtversicherte in der gesetzlichen Rentenversicherung, wobei die Beiträge jedoch im vollen Umfang vom Honorar selbst abzuführen sind. Es existiert keine Absicherung gegen Verdienstausfall bei eigener Krankheit oder Krankheit der Kinder . Eine Chance zur Beschäftigung in einem Arbeitsverhältnis besteht für die meisten betroffenen Lehrkräfte nicht, da auch Thüringer Hochschulen aus Kostengründen den auf die Vorlesungszeit befristeten Einsatz Selbständiger offensichtlich vorziehen. Ich frage die Landesregierung: 1. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse vor, wonach auch an Thüringer Hochschulen der Einsatz von Lehrbeauftragten und freiberuflichen Dozenten/Honorarkräften zunehmend zur planmäßigen Abdeckung des regulären Lehrbedarfs erfolgt, um Kosten zu sparen? 2. Falls nein: Beabsichtigt die Landesregierung entsprechende Daten zu erheben und auszuwerten? 3. Sieht die Landesregierung Handlungsbedarf, die wirtschaftliche Situation der Lehrbeauftragten und freiberuflichen Dozenten/Honorarkräfte z. B. im Rahmen der Novellierung des Thüringer Hochschulgesetzes K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Möller (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/441 zu verbessern und Bedingungen für Vereinbarungen zwischen Hochschulen und solchen Lehrkräften festzulegen, vor allem in Bezug auf a) die (auch regelmäßige) Anpassung der von den Hochschulen angebotenen Vergütungssätze ent- sprechender Lehraufträge; b) die Verbesserung der Planungssicherheit für die betroffenen Lehrkräfte; c) die Verbesserung der Absicherung gegen Krankheit, Beschäftigungslosigkeit in der von Lehrveran- staltungen freien Zeit im Sommer und Winter; d) die Vertretung dieser Lehrkräfte in den Hochschulgremien? 4. Welche Maßnahmen plant oder erwägt die Landesregierung, um die vorstehend beschriebene Situation der Lehrbeauftragten und freiberuflichen Dozenten/Honorarkräfte insbesondere in den vorgenannten Punkten zu verbessern? Das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 25. März 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die der Landesregierung vorliegenden Erkenntnisse bestätigen nicht die in Frage 1 formulierte Vermutung, dass an Thüringer Hochschulen zunehmend zur planmäßigen Abdeckung des Lehrbedarfs Lehrbeauftragte und freiberufliche Dozenten/Honorarkräfte eingesetzt werden, um Kosten zu sparen. Ausweislich der amtlichen Hochschulstatistik stieg in den letzten vier Jahren1 die Zahl des hauptberuflichen wissenschaftlichen Personals um ca. vier Prozent, während die Zahl der Lehrbeauftragten nahezu konstant blieb (unregelmäßige Schwankungen, die weniger als ein Prozent ausmachen). Diese Entwicklung spricht also eher für einen abnehmenden Anteil der durch Lehrbeauftragte erbrachten Lehre. Ebenso ist aus der Entwicklung der Anzahl der erteilten Lehraufträge kein Anstieg der durch Lehrbeauftragte erbrachten Lehre abzulesen. Ausweislich der Jahresberichte der Hochschulen blieb die Gesamtzahl der erteilten Lehraufträge in den letzten vier Jahren nahezu konstant (2010: 3.236; 2013: 3.170). Auch aus der ebenfalls in den Jahresberichten der Hochschulen ausgewiesenen Gesamtvergütung für erteilte Lehraufträge lässt sich kein vermehrter Einsatz von Lehrbeauftragten ablesen; vielmehr belegen auch diese Daten einen tendenziellen Rückgang des Einsatzes von Lehrbeauftragten. Zwar stieg in den letzten vier Jahren die Gesamtsumme der für erteilte Lehraufträge aufgewandten Vergütung um drei Prozent; da gleichzeitig aber die durchschnittlich gezahlte Vergütung je Einzelstunde um zehn Prozent stieg, bedeutet diese Entwicklung im Ergebnis einen Rückgang des Einsatzes von Lehrbeauftragten. Zu den in der Kleinen Anfrage ebenfalls genannten Honorarkräften werden keine gesonderten Daten erfasst. Zu 2.: entfällt Zu 3. und 4.: Zu den Fragen 3 und 4 ist zunächst voranzustellen, dass die Landesregierung nicht die in der Kleinen Anfrage formulierte pauschale Einschätzung teilt, Lehrbeauftragte seien in erheblichem Umfang unter "prekären Beschäftigungsbedingungen" tätig. Bereits die gesetzliche Konzeption dieser Lehrkategorie geht davon aus, dass Lehrbeauftragte regelmäßig hauptberuflich in anderen Beschäftigungsverhältnissen tätig sind und Lehraufträge nur nebenberuflich ausüben. Dadurch erklärt sich die in § 86 Abs. 2 Satz 2 Thüringer Hochschulgesetz (ThürHG) vorgesehene Möglichkeit, auf eine Lehrvergütung zu verzichten, und der Entfall der Vergütung, wenn Lehrbeauftragte im Hauptamt entsprechend entlastet werden. Die hierzu befragten Hochschulen haben betont, dass sie Lehrbeauftragte gerade wegen ihrer in anderweitigen hauptberuflichen Tätigkeiten erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen - etwa als Anwalt, Notar, Ingenieur, Architekt oder Wirtschaftsprüfer - beauftragen. Eine umfassende Erfassung von hauptberuflichen Tätigkeiten - etwa in Personalakten - findet an den Hochschulen nicht statt, da es sich nicht um Beschäftigte, sondern um Auftragnehmer handelt. Gleichwohl erfassen einige Hochschulen solche Daten. Danach sind, je nach Hochschule, 75 Prozent bis 95 Prozent der Lehrbeauftragten anderweitig hauptberuflich tätig. Im Ergebnis ist daher davon auszugehen, dass sich der weit überwiegende Anteil der Lehrbeauftragten durch ihren Hauptberuf in gesicherten wirtschaftlichen Verhältnissen befindet. 3 Drucksache 6/441Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Dennoch hält es die Landesregierung für möglich, dass auch Lehrbeauftragte mangels einer hauptberuflichen Beschäftigung allein durch Lehraufträge Einkünfte erzielen und dementsprechend nicht in wünschenswertem Ausmaß wirtschaftlich und sozial abgesichert sind. Auch wenn die Hochschulen das Problem einer fehlenden hauptberuflichen Beschäftigung kaum lösen können, beabsichtigt das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft, in den nach der Koalitionsvereinbarung der die Regierung tragenden Parteien vorgesehenen Diskussionsprozess zur Erarbeitung von Leitlinien für "Gute Arbeit in der Wissenschaft" auch die Beschäftigungsbedingungen von Lehrbeauftragten einzubeziehen. Die in Frage 3 der Kleinen Anfrage genannten Maßnahmen hält die Landesregierung dagegen überwiegend nicht für erforderlich oder erfolgversprechend. Eine regelmäßige Anpassung der Vergütungssätze ist bereits nach geltender Rechtslage im Rahmen der Verwaltungsvorschrift zur Vergütung von Lehraufträgen durch einfachen Satzungsbeschluss der Hochschulen möglich. Da Lehrbeauftragte keinen Beschäftigtenstatus besitzen und nach Sinn und Zweck des Instruments von Lehraufträgen auch nicht besitzen können, kann eine umfassende sozialversicherungsrechtliche Absicherung nicht erreicht werden. Ebenso sinnwidrig wäre die Einräumung eines Status als Mitglied der Hochschule mit entsprechenden Beteiligungsrechten in den Hochschulgremien, weil dieser Status hauptberuflichem wissenschaftlichem Personal vorbehalten ist. Die bestehende Regelung ist auch sachgerecht, da Lehrbeauftragte ihre Lehrtätigkeit an der Hochschule in der Regel nur gastweise, vorübergehend und nebenberuflich ausüben und damit gar nicht in der Lage sind, die aus einem Mitgliedsstatus erwachsenden Rechte und Pflichten (siehe § 21 ThürHG) wahrnehmen zu können. Tiefensee Minister Endnote 1 Die Angaben aus der Hochschulstatistik und aus den Jahresberichten der Hochschulen beziehen sich auf die Jahre 2010 bis 2013; die Daten aus dem Jahr 2014 liegen noch nicht vor.