23.10.2017 Drucksache 6/4647Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 1. November 2017 Islamisten in Thüringer Justizvollzugsanstalten Die Kleine Anfrage 2528 vom 8. September 2017 hat folgenden Wortlaut: Weltweit und auch in europäischen Staaten wird seit langem beobachtet, dass in Gefängnissen ein hohes Maß an islamistischer Radikalisierung zu beobachten ist. In ungünstiger Konstellation können Gefängnisse als Katalysator wirken, so dass nach Haftverbüßung entlassene Straftäter wesentlich islamistischer sein können als bei Haftantritt. MDR Radio berichtete am 6. September 2017, die Anzahl der in Thüringer Justizvollzugsanstalten einsitzenden Islamisten betrage null. Ich frage die Landesregierung: 1. Wird die Religionszugehörigkeit der Häftlinge in Thüringer Justizvollzugsanstalten erfasst? Wenn ja, wie viele Häftlinge muslimischen Glaubens saßen seit dem Jahr 2012 in den Thüringer Justizvollzugsanstalten ein (bitte jahresweise aufschlüsseln)? 2. Wie viele Islamisten saßen in den Thüringer Justizvollzugsanstalten seit dem Jahr 2012 ein (bitte jahresweise aufschlüsseln)? 3. Wie erfahren die Justizvollzugsanstalten, dass es sich bei Verurteilten um Islamisten handelt? 4. Wie viele sogenannte "Gefährder" waren und sind unter diesen? 5. Gibt es vonseiten der Justizvollzugsanstalten Abweichungen im Haftalltag der muslimischen Häftlinge im Vergleich zu anderen Häftlingen? 6. Wie ist die muslimische Häftlingsseelsorge in Thüringer Justizvollzugsanstalten organisiert? Wer führt sie durch? 7. Wie gewährleistet die Landesregierung, dass es innerhalb der Justizvollzugsanstalten nicht zu islamistischen Radikalisierungen kommt? 8. Gibt es einen Zusammenhang zwischen Haftdauer und möglichem Radikalisierungsprozess? 9. Gibt es nach Verbüßung der Haftstrafe eine Neubewertung hinsichtlich des Islamistenstatus und wer führt diese durch? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Walk (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4647 10. Ist gewährleistet, dass die Sicherheitsbehörden (Polizei und Verfassungsschutz) über islamistische Vorkommnisse innerhalb der Justizvollzugsanstalten informiert werden? Ist gewährleistet, dass die Sicherheitsbehörden spätestens bei bevorstehender Haftentlassung von Islamisten frühzeitig informiert werden? 11. Wie stimmen sich die zuständigen Ressorts - Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz für Justizvollzug und Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales für Polizei und Verfassungsschutz - bei dieser Problematik ab? 12. Wie bewertet die Landesregierung die Problematik und sieht sie insofern weiteren Handlungsbedarf für Thüringen? Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 20. Oktober 2017 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Erfassung der Religionszugehörigkeit ist nicht obligatorisch und basiert auf der freiwilligen Angabe der Gefangenen. Im Übrigen wird auf die nachfolgende Übersicht verwiesen, die sich auf die Erfassung der Religionszugehörigkeit von Inhaftierten muslimischen Glaubens bezieht. Stichtag ist jeweils der 31. März des entsprechenden Jahres. JVA/JSA 2012 2013 2014 2015 2016 2017 JSA Arnstadt - - - 3 16 24 JVA Gera 5 4 3 5 7 5 JVA Hohenleuben 16 17 14 6 13 14 JVA Goldlauter 13 12 10 7 16 16 JSA Ichtershausen 4 3 3 - - - JVA Tonna 14 16 23 31 32 28 JVA Untermaßfeld 4 8 7 3 7 9 JVA Weimar 0 - - - - - Summen: 56 60 60 55 91 96 Zu 2.: Entsprechend der derzeit vorliegenden Erkenntnislage befanden sich in den Jahren 2015 und 2016 zwei Personen in Haft, zu denen im Amt für Verfassungsschutz tatsächliche Anhaltspunkte für islamistische Bezüge vorliegen. Darüber hinaus wird für das Jahr 2017 auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Zu 3.: In der Praxis informieren Justiz-, Polizei- und/oder Verfassungsschutzbehörden über solche bevorstehenden Inhaftierungen. Wichtige Erkenntnisquellen sind zudem die Vollstreckungsunterlagen (unter anderem Urteil, Haftbefehl, Gutachten et cetera). Darüber hinausgehend wird auf die Beantwortung der Fragen 10 und 11 verwiesen. Zu 4.: Derzeit befinden sich zwei vom Landeskriminalamt Thüringen eingestufte Gefährder der PMK - religiöse Ideologie - (Islamismus) in Haft. Für die Jahre 2012 bis 2016 liegen keine Erkenntnisse über Inhaftierungen von Gefährdern in Thüringer Justizvollzugsanstalten vor. Zu 5.: Ein besonderer Tagesablauf für muslimische Gefangene ist nicht vorgesehen. Den Regeln des islamischen Glaubens hinsichtlich der Religionsausübung und der Ernährung wird Rechnung getragen. Zu 6.: Der Islam kennt keine den christlichen Glaubensgemeinschaften vergleichbare Seelsorge. Dennoch ist Thüringen im Zusammenwirken mit anderen Bundesländern im Begriff, eine den Ansprüchen an die religiöse 3 Drucksache 6/4647Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Betreuung der Gefangenen genügende religiöse Betreuung der Gefangenen muslimischen Glaubens bei Bedarf zu ermöglichen. Noch nicht abschließend geklärt sind grundsätzliche Fragen, wie etwa zum Umgang mit dem Seelsorgergeheimnis, dem Vertrauensschutz und religionsrechtlichen Fragen. Zudem darf auch bei den Imamen bzw. den religiösen Betreuern kein Zweifel an deren Verfassungstreue bestehen. Gottesdienste müssen allerdings nicht zwangsläufig von einem Imam gefeiert werden; diese Aufgabe kann auch von einem als Vorbeter geeigneten Gläubigen übernommen werden. Zu 7.: Seitens der Landesregierung wurde ein Maßnahmenpaket konzipiert. Hierbei handelt es sich nicht um einen abgeschlossenen, sondern um einen kontinuierlich weiterzuentwickelnden Maßnahmenkatalog. Besondere Bedeutung hat die Sensibilisierung der Justizvollzugseinrichtungen und ihres Personals. Eine Arbeitsgruppe, die aus den Bau- und Sicherheitsreferenten fast aller Landesjustizverwaltungen gebildet wurde, hat Handlungsempfehlungen für die Themenkomplexe - Identifizierung und Beobachtung, - Informationsaustausch, - Aus- und Fortbildung, - Seelsorge, - Umgang mit gefährdeten Gefangenen und - Deradikalisierung erarbeitet, die den Thüringer Justizvollzugseinrichtungen zur Prüfung und Umsetzung übersandt wurden. Zudem wird das Thema Islamisierung/Radikalisierung in Dienstbesprechungen verstärkt aufgegriffen. Die Zusammenarbeit, insbesondere der Informationsaustausch, zwischen dem TMMJV und den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden soll über die bereits bestehenden regelmäßigen Kontakte intensiviert werden. Seit 2013 wird das Thema Islam/Islamismus im Fortbildungsprogramm der Justizausbildungsstätte verstärkt behandelt. Im Rahmen des Bundesprogramms "Demokratie Leben - Denk Bunt" soll im Justizvollzug und der Bewährungshilfe ein Angebot zur Deradikalisierung von Personen umgesetzt werden, die entweder bereits radikalisiert sind oder bei denen die Gefahr einer Radikalisierung besteht. Darüber hinaus besteht zwischen dem Amt für Verfassungsschutz und den Thüringer Haftanstalten eine Sicherheitspartnerschaft, die Schulungen der Vollzugsbediensteten in Form von Vorträgen zu den Themen Islamismus und Radikalisierung sowie Informations- und Sensibilisierungsschreiben umfasst. Darüber hinaus ist das Amt für Verfassungsschutz Ansprechpartner bei Radikalisierungsverdachtsfällen und Sachverhalten mit weiteren islamistischen Bezügen. Zu 8.: Hierzu liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse vor. Zu 9.: Die vollzugliche Entwicklung wird bei allen Gefangenen dokumentiert und bewertet. Dies gilt auch für den Komplex Islamismus/Radikalisierung. Im Übrigen werden auch die Sicherheitsbehörden im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgabenerfüllung bei Kenntniserlangung eine Neubewertung vornehmen, ob ein aus der Haft entlassener mutmaßlicher Islamist weiter diesem Spektrum zuzuordnen ist. Zu 10.: Die Thüringer Justizvollzugseinrichtungen wurden angewiesen, die Aufsichtsbehörde unverzüglich über die bevorstehende oder bereits erfolgte Aufnahme von islamistischen/salafistischen Gefangenen zu informieren . Diese Informationen werden durch die Aufsichtsbehörde an die Sicherheitsbehörden weitergeleitet. Bei islamistischen Vorkommnissen wird grundsätzlich in gleicher Weise verfahren. Sofern Straftaten zur Anzeige gebracht werden, erfolgt dies unmittelbar durch die Justizvollzugseinrichtung. Bei einer bevorstehenden Haftentlassung von Islamisten würden die Informationen ebenfalls in der oben beschriebenen Art und Weise fließen. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4647 Das Landeskriminalamt Thüringen und das Amt für Verfassungsschutz führen auf dieser Grundlage einen eigenen Erfahrungsaustausch sowie Abstimmungen zu weiteren Maßnahmen auf der Grundlage ihrer gesetzlichen Aufgaben und Befugnisse durch. Zu 11.: Sofern Personen in Thüringer Justizvollzugsanstalten inhaftiert sind, welche Erörterungsthema in der interministeriellen Arbeitsgruppe "Aufenthalts- und staatsangehörigkeitsrechtliche Behandlung von Personen aus dem Bereich des Ausländerextremismus (AG AUX)" waren, ist ein vollständiger Informationsaustausch bereits über die beteiligten Ressorts sowie die nachgeordneten Behörden sichergestellt. Darüber hinaus soll die Zusammenarbeit, insbesondere der Informationsaustausch, zwischen dem TMM- JV und den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden über die bereits bestehenden regelmäßigen Kontakte intensiviert werden. Geplant sind neben dem ständigen Informationsaustausch auch gemeinsame Veranstaltungen wie Workshops und Arbeitstagungen. Zu 12.: Vor dem Hintergrund bekannter Radikalisierungstendenzen in deutschen Haftanstalten erscheint es grundsätzlich geboten, Haftanstalten in die Islamismusprävention auch in Thüringen mit einzubinden. Thüringen wird nicht nur die weitere Entwicklung beobachten, sondern vor allem die Präventivmaßnahmen verstärken. Die Landesregierung geht davon aus, dass Handlungsempfehlungen und Konzepte zum Umgang mit radikalisierten Gefangenen einer stetigen Anpassung und Weiterentwicklung unterzogen werden müssen. Lauinger Minister Islamisten in Thüringer Justizvollzugsanstalten Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: Zu 11.: Zu 12.: