05.12.2017 Drucksache 6/4824Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 14. Dezember 2017 Suizide in Thüringer Justizvollzugsanstalten Die Kleine Anfrage 2609 vom 19. Oktober 2017 hat folgenden Wortlaut: Nach Medienberichten verstarben dieses Jahr bereits einige Häftlinge durch Suizid in Thüringer Haftanstalten . Der Bund der Strafvollzugsbediensteten in Thüringen hat mit Sorge auf die Selbsttötungen von Häftlingen in diesem Jahr reagiert. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Selbstmorde und Selbstmordversuche haben sich in den letzten drei Jahren in Thüringer Justizvollzugsanstalten ereignet (aufgeteilt nach Standorten)? 2. Nach welcher Haftdauer erfolgten die Suizide? 3. Welche medizinischen und sonstigen Maßnahmen werden ergriffen, um Suizide im Justizvollzug zu verhindern ? 4. Welche psychologischen Angebote für Häftlinge ohne Vorbelastung gibt es, um die Auswirkungen der Haft auf deren Psyche zu bewerten? Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 4. Dezember 2017 wie folgt beantwortet: Zu 1. und 2.: Im Berichtszeitraum ereigneten sich in den Thüringer Justizvollzugseinrichtungen die in der nachfolgenden Übersicht dargestellten Suizide und Suizidversuche. Die Haftdauer zum Zeitpunkt des Suizides beziehungsweise Suizidversuches ist in der letzten Spalte aufgeführt. K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Gentele (fraktionslos) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4824 Justizvollzugsanstalt /Jugendstrafanstalt Suizid Suizidversuch Haftart Datum des Suizides/Suizidversuches Haftbeginn Haftdauer Tonna X SG 28.04.2015 13.02.2007 ca. 8 Jahre, 2 Monate X SG 22.05.2016 26.07.2005 ca. 10 Jahre, 10 Monate X SG 05.08.2017 05.07.2017 1 Monat X UG 29.07.2017 04.04.2017 ca. 4 Monate X SG 28.01.2017 11.01.2011 ca. 8 Jahre Hohenleuben X SG 05.07.2015 02/2015 ca. 5 Monate Jugendstrafanstalt Arnstadt X UG 23.04.2016 17.10.2015 ca. 6 Monate Untermaßfeld X SG 17.04.2015 22.05.2014 ca. 11 Monate X SG 08.07.2015 06.02.2014 ca. 1 Jahr, 5 Monate X SG 01.05.2015 18.09.2014 ca. 8 Monate X SG 24.12.2016 13.06.2014 ca. 2 Jahre, 6 Monate Suhl X UG 09.03.2017 27.01.2017 ca. 1 Monat X UG 20.03.2017 23.11.2016 ca. 4 Monate X UG 25.03.2017 24.01.2017 ca. 2 Monate X UG 08.04.2017 19.03.2017 ca. 3 Wochen SG = Strafgefangener, UG = Untersuchungsgefangener Zu 3.: Der Thüringer Justizvollzug ist nicht nur nach § 7 des Thüringer Justizvollzugsgesetzbuches (ThürJVollz GB) verpflichtet, geeignete Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. Es wurde darüber hinaus das Gesamtkonzept zur Suizidprophylaxe im Justizvollzug des Freistaats Thüringen etabliert, mit dem die Suizidprävention im Jahr 2010 innovativ weiterentwickelt wurde. Kernstücke dieses Gesamtkonzeptes sind: • die Einrichtung einer Zentralen Einweisungsabteilung für die Durchführung eines intensiven Diagnoseverfahrens und einer individualisierten Vollzugsplanung sowie zur Minderung des Haftschocks sowie Einrichtung von Gemeinschaftshafträumen zur Suizidprävention, • die Schaffung eines Kriminologischen Dienstes in Thüringen für die wissenschaftliche Begleitung des Behandlungsvollzuges sowie • die Einrichtung einer Gefangenentelefonseelsorge zusammen mit den Kirchen, die es den Gefangenen in den abendlichen und nächtlichen Einschlusszeiten ermöglicht, sich an die Anstaltsseelsorge zu wenden . Die Suizidprävention beginnt bereits mit der Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt. Im Rahmen des Zugangsgesprächs gemäß § 12 Abs. 1 ThürJVollzGB wird unmittelbar mit dem Inhaftierten ein standardisiertes Suizid-Screening anhand bestimmter Risikofaktoren, wie etwa Suchtproblematik, psychische Auffälligkeiten und Deliktart durchgeführt. Bei akuter Suizidgefahr werden entsprechende Sicherungsmaßnahmen nach § 89 ThürJVollzGB ergriffen. Unter anderem kommt die Unterbringung in einem kameraüberwachten Haftraum infrage. Über medizinische Interventionen entscheidet der hinzugezogene Anstaltsarzt oder kassenärztliche Notdienst . In dringenden Fällen kann eine stationäre Krankenhausunterbringung erfolgen. Die gemeinschaftliche Unterbringung mit einem zuverlässigen Mitgefangenen stellt eine Möglichkeit der sozialen Unterstützung dar. Möglichst rasch wird der Zugang zum Psychologischen Dienst für stabilisierende Gespräche hergestellt und Kontakt zu Angehörigen aufgenommen. Eine aktive Angehörigenarbeit (zum Beispiel Familienseminare ), wie sie in den Standards der Sozialen Arbeit im Justizvollzug fixiert wurde, trägt zur Aufrechterhaltung sozialer Bindungen bei und hilft so ebenfalls, Suizidalität vorzubeugen. Im Rahmen der ärztlichen Aufnahmeuntersuchung wird die Suizidalität erneut eingeschätzt und soweit keine stationäre Versorgung erforderlich ist, bei Bedarf ein Facharzt für Psychiatrie herangezogen. Für suchtkranke Inhaftierte spielt häufig die medikamentengestützte Entzugsbehandlung und die begleitende psychosoziale Suchtberatung, die bereits zu Haftbeginn stattfindet, eine wichtige Rolle. 3 Drucksache 6/4824Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Grundsätzlich sind alle Justizvollzugsbediensteten hinsichtlich des Umgangs mit suizidgefährdeten Gefangenen und des Erkennens von Suizidgefahr sensibilisiert und gehalten, auf Anzeichen möglicher suizidaler Verhaltensweisen zu achten und im Verdachtsfall das medizinische beziehungsweise psychologische Fachpersonal zu informieren. Die Themen Suizidalität, Suizidprävention und Umgang mit Suchtkranken gehören zum festen Aus- und Fortbildungskanon des Thüringer Justizvollzuges. Bei der Feststellung von krisenbehafteten Situationen für den Gefangenen besteht außerdem ein funktionierendes Kommunikationsnetz , so dass unmittelbare Betreuung gewährleistet ist. Darüber hinaus führen der Psychologische Dienst und der Soziale Dienst eigeninitiativ bei wahrgenommenen Auffälligkeiten auch eine längerfristige Krisenintervention mittels stützender, beratender und deliktorientierter Gespräche mit dem betreffenden Gefangenen durch. Der Thüringer Justizvollzug hält darüber hinaus vielfältige Arbeitsangebote, Arbeitstherapien (Holz- und Tonwerksstatt ) und eine Kreativwerkstatt vor. Hinzu kommen spezifische Behandlungsangebote von externen Dienstleistern, wie die Suchtberatung, die Schuldenregulierung, das Professionelle Übergangsmanagement am Ende der Haft. Umfangreiche und vielseitige Angebote der Freizeitbeamten lockern den Vollzugsalltag auf (Lesungen, Filmveranstaltungen , Workshops, Theatergruppe/-aufführungen in der Öffentlichkeit, Sommerfest mit Bandauftritten , Skat, Dart, Zumba, Yoga, Fußball, Volleyball, Entspannungs- und Autogenes Training und so weiter). Jüngst wurde beim Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz eine interdisziplinär besetzte "Landesarbeitsgemeinschaft Suizidprävention im Thüringer Justizvollzug" dauerhaft eingerichtet, die am 20. November in einer ersten Sitzung ihre Arbeit aufgenommen hat. Sie wurde beauftragt, die geltenden Standards der vollzuglichen Suizidprävention aus dem Gesamtkonzept auf den Stand ihrer Umsetzung zu überprüfen, zeitgemäß weiterzuentwickeln und durchgehend umzusetzen. Zu 4.: Erstverbüßer mit einem Strafmaß von mehr als einem Jahr sechs Monaten werden zentral für Thüringen in der Einweisungsabteilung der Justizvollzugsanstalt Tonna untergebracht. Sie verfügt über eine besondere Ausstattung der Haft- und Gemeinschaftsräume auf den Stationen und ein eigenes Behandlungskonzept, um die mit der Inhaftnahme verbundenen Belastungsfaktoren zu mindern. Die eingehende psychologische Exploration im Rahmen des Diagnoseverfahrens und eine individualisierte Vollzugs- und Wiedereingliederungsplanung nach §§ 13,14 ThürJVollzGB tragen zu einer Intensivierung der Behandlung und zur Verminderung von schädlichen Folgen der Inhaftierung ("Haftschock") bei. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auch auf das Bestehen und die Behandlung einer möglichen Suizidalität gelegt. Die Inhaftierten können unmittelbar nach Aufnahme in die Haftanstalt ein Telefonat mit Angehörigen oder Bekannten führen. Jeder Inhaftierte kann sich zu einem Gespräch mit dem Psychologischen Dienst anmelden, welches sodann schnellstmöglich geführt wird. Gleiches gilt für die ärztliche Sprechstunde. Haftraummediensysteme, die es voraussichtlich bald in vier von fünf Justizvollzugsanstalten geben wird, leisten durch die Telefonie einen wichtigen Beitrag dazu, soziale Beziehungen zu Familienangehörigen aufrechtzuerhalten . Lauinger Minister Suizide in Thüringer Justizvollzugsanstalten Ich frage die Landesregierung: Zu 1. und 2.: Zu 3.: Zu 4.: