28.12.2017 Drucksache 6/4904Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 16. Januar 2018 "Schwarzfahren" in Thüringen - vom Straftatbestand zur Ordnungswidrigkeit Die Kleine Anfrage 2664 vom 15. November 2017 hat folgenden Wortlaut: Das sogenannte "Schwarzfahren" in öffentlichen Verkehrsmitteln erfüllt den Tatbestand der Beförderungserschleichung (§ 265a Abs.1 Alt. 3 Strafgesetzbuch) und wird somit bundesweit als Straftat bewertet. Die Arbeitsbelastung von Polizei und Justiz durch die Verfolgung des Delikts sind auch in Thüringen erheblich . Bei Nichtzahlung der verhängten Geldstrafe muss von den Verurteilten eine kurze Ersatzfreiheitsstrafe angetreten werden, welche die Justizvollzugsanstalten belastet und faktisch keine resozialisierende Wirkung entfalten kann. Auch in Thüringen gibt es seit vielen Jahren immer wieder Diskussionen darüber, ob aus dem Straftatbestand "Schwarzfahren" nicht eine Ordnungswidrigkeit werden sollte. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Ermittlungsverfahren gab es in den Jahren zwischen 2012 bis 2016 im Freistaat Thüringen wegen Erschleichen von Leistungen ([Beförderungserschleichung]; bitte nach Jahren und Kommunen aufschlüsseln)? 2. In wie vielen Fällen kam es nach Kenntnis der Landesregierung zu Verurteilungen? 3. Wie hoch war beziehungsweise ist nach Kenntnis der Landesregierung die Zahl der zahlungsunfähigen Verurteilten (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? 4. In wie vielen Fällen wurde nach Kenntnis der Landesregierung eine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt? 5. Wie hoch war nach Kenntnis der Landesregierung die durchschnittliche Dauer der Ersatzfreiheitsstrafe (bitte nach Jahren aufschlüsseln)? 6. Wie hoch schätzt die Landesregierung den Arbeitsaufwand für Polizei, Justiz und Justizvollzug bei der Strafverfolgung wegen Beförderungserschleichung im Freistaat Thüringen ein? 7. Wie bewertet die Landesregierung die Sinnhaftigkeit von kurzzeitigen Freiheitsstrafen für die Betroffenen? 8. Sieht die Landesregierung die Möglichkeit, bei kurzzeitigen Freiheitsstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) auf die Betroffenen im Vollzug einzuwirken, um den Beginn einer sozialen Abwärtsspirale zu verhindern? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Rothe-Beinlich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4904 9. Hält es die Landesregierung für sinnvoll, wenn Beförderungserschleichung auch zukünftig strafrechtlich sanktioniert wird? 10. Wie schätzt die Landesregierung Reformüberlegungen ein, die "Schwarzfahren" künftig als Ordnungswidrigkeit ahnden wollen und plant sie dahin gehend eigene Initiativen? Wenn ja, wann und in welcher Form, wenn nein, warum nicht? Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 28. Dezember 2017 (Datum des Eingangs) wie folgt beantwortet: Zu 1.: Insoweit liegen der Landesregierung keine statistischen Erkenntnisse vor. Insbesondere weist die einschlägige justizielle Geschäftsanfallsstatistik lediglich ein übergreifendes Sachgebiet "Betrug und Untreue" aus. Ermittlungsverfahren wegen Erschleichens von Leistungen in Form der Beförderungserschleichung sind davon nur eine nicht weiter quantifizierbare Teilmenge. In der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) werden die jährlich bekannt gewordenen Taten erfasst. Eine Aussage darüber, wie viele Ermittlungsverfahren es in einem Jahr gab, ist mittels der PKS nicht möglich. In der nachfolgenden Tabelle werden die Fallzahlen für Thüringen insgesamt zum Erschleichen von Leistungen und (davon) der Beförderungserschleichung (§ 265a Strafgesetzbuch [StGB]) dargestellt: Jahr Erschleichen von Leistungen § 265a StGB darunter: Beförderungserschleichung 2012 6.634 5.995 2013 6.572 6.358 2014 5.346 5.043 2015 5.163 4.937 2016 3.888 3.722 Der Rückgang der erfassten Fälle der Beförderungserschleichung im Jahr 2016 wird im Bereich der Stadt Erfurt unter anderem mit der Umstellung des Erfassungssystems (Software) der EVAG und dem damit verbundenen Rückstau bei der Übersendung von Anzeigen begründet. Zu 2.: Die Strafverfolgungsstatistik erfasst die Anzahl der Verurteilten wegen Vergehen des Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB). Erschlichene Leistung kann mithin außer einer Beförderung durch ein Verkehrsmittel auch die Leistung eines Automaten oder eines öffentlichen Zwecken dienenden Telekommunikationsnetzes sowie der Zutritt zu einer Veranstaltung oder einer Einrichtung sein. Jahr Anzahl der nach § 265a StGB Verurteilten 2012 1.746 2013 1.850 2014 1.753 2015 1.435 2016 1.061 Zu 3.: Hierzu liegen der Landesregierung keine statistischen Erkenntnisse vor. Zu 4. und 5.: Die Fragen 4 und 5 werden aus Gründen der Übersichtlichkeit zusammen beantwortet. 3 Drucksache 6/4904Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Statistische Erkenntnisse zur Anzahl der angeordneten Ersatzfreiheitsstrafen liegen nur insoweit vor, als sie auf Verurteilungen wegen Erschleichens von Leistungen (§ 265a StGB) beruhen. Zu Beförderungserschleichungen liegen statistische Erkenntnisse lediglich zur Anzahl der vollstreckten Ersatzfreiheitsstrafen vor: Jahr angeordnete Ersatzfreiheitsstrafen wegen § 265a StGB vollstreckte Ersatzfreiheitsstrafen wegen Beförderungserschleichung Anzahl durchschnittliche Dauer (Tage) Anzahl durchschnittliche Dauer (Tage) 2012 337 49 98 18,2 2013 458 44 105 30,2 2014 538 47 82 21,6 2015 527 42 87 19.2 2016 317 40 87 20,6 Zu 6.: Durch die Polizei werden zur Bearbeitung eines Ermittlungsvorganges wegen des Verdachts des Erschleichens von Leistungen gemäß § 265a StGB bis zur Abgabe an die zuständige Staatsanwaltschaft nach polizeilicher Einschätzung durchschnittlich etwa drei Stunden aufgewendet. Die Bearbeitungszeit kann abweichen , daher handelt es sich nicht um eine valide Zahl. Ein weiterer Arbeitsaufwand ergibt sich für die Polizei, wenn dem Beschuldigten nach Abschluss des Ermittlungsverfahrens durch die Justiz eine Geldstrafe auferlegt und diese in der Folge nicht gezahlt wird. In solchen Fällen kommt die Anordnung einer Ersatzfreiheitsstrafe in Betracht. Tritt der Verurteilte diese nicht an, kann es zum Erlass eines Haftbefehls kommen, welcher durch die Polizei vollstreckt werden muss. Angaben über die Einsatzstunden sind nicht möglich. Schätzungen des Arbeitsaufwands der Gerichte und Staatsanwaltschaften sind nicht möglich. Die Bewertungszahlen für das Personalbedarfsberechnungssystem "PEBB§Y" sind lediglich Durchschnittswerte aller Verfahren wegen Vergehen, die keiner speziellen Kategorie unterfallen. Daneben hängt der zeitliche Aufwand für ein Verfahren von der konkreten Fall- und Verfahrensgestaltung ab. Hinsichtlich des Vollzugs der Ersatzfreiheitsstrafen sind jeweils für zehn Gefangene sechs Vollzugsbedienstete erforderlich. Zu 7.: Eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt das Gericht nur, wenn besondere Umstände, die in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters liegen, die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf den Täter oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen (§ 47 Abs. 1 StGB). In diesen Fällen erachtet die Landesregierung eine kurzzeitige Freiheitsstrafe für sinnhaft. Hinsichtlich der Sinnhaftigkeit kurzzeitiger Ersatzfreiheitsstrafen ist die Meinungsbildung innerhalb der Landesregierung noch nicht abgeschlossen. Die Frage ist derzeit unter anderem Gegenstand einer auf Beschluss der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister 2016 eingerichteten Arbeitsgruppe des Strafrechtsausschusses "Prüfung alternativer Sanktionsmöglichkeiten - Vermeidung von Ersatzfreiheitsstrafen " unter dem gemeinsamen Vorsitz Brandenburgs und Nordrhein-Westfalens und unter Beteiligung der Länder Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen sowie des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Die Arbeitsgruppe hat sich am 4. Oktober 2016 konstituiert und strebt an, den Abschlussbericht im Herbst 2018 vorzulegen. Die Landesregierung wird die Empfehlungen der Arbeitsgruppe abwarten und in ihre Meinungsbildung einfließen lassen. Zu 8.: Bei kurzzeitigen Ersatzfreiheitsstrafen besteht die Möglichkeit, auf die Betroffenen im Vollzug einzuwirken, nur ansatzweise. Die Dauer der Strafen ist in der Regel dafür zu kurz. Zudem kann sie durch Teilzahlung oder gemeinnützige Arbeit auch noch verkürzt werden. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4904 Zu 9.: Auch zu dieser Frage ist die Meinungsbildung innerhalb der Landesregierung noch nicht abgeschlossen. Die Frage ist ebenfalls derzeit Gegenstand der in der Antwort zu Frage 7 genannten Arbeitsgruppe. Die Landesregierung wird auch insoweit deren Empfehlungen abwarten und in ihre Meinungsbildung einfließen lassen. Zu 10.: Die Landesregierung steht Reformüberlegungen, die "Schwarzfahren" künftig als Ordnungswidrigkeit ahnden wollen, ergebnisoffen gegenüber. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 9 hingewiesen. Lauinger Minister "Schwarzfahren" in Thüringen - vom Straftatbestand zur Ordnungswidrigkeit Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4. und 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: