17.01.2018 Drucksache 6/4952Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 29. Januar 2018 Umkleidezeit beim Rettungsdienstpersonal - Freizeitbeschäftigung oder vergütete Arbeitszeit? Die Kleine Anfrage 2685 vom 28. November 2017 hat folgenden Wortlaut: Ein Arbeitgeber macht mit der Weisung, Arbeitskleidung im Betrieb anzuziehen, das Umkleiden selbst zur arbeitsvertraglich geschuldeten Hauptleistungspflicht. Diese Zeit ist damit auch "Arbeitszeit" und zu vergüten , so das Bundesarbeitsgericht im Jahre 2012. Voraussetzung ist laut Rechtsprechung unter anderem, dass das Umziehen nicht bereits zu Hause erfolgen darf, sondern die Berufskleidung im Betrieb verbleibt und dort an- und abgelegt werden muss. Im Falle des Rettungsdienstpersonals im Rettungsdienstzweckverband Südthüringen dürfte dieser Umstand nach meiner Einschätzung gegeben sein. Ich frage die Landesregierung: 1. Was ist die Höchstarbeitszeit eines Rettungsassistenten, eines Rettungssanitäters und eines Notfallsanitäters ? 2. Auf welcher Grundlage werden die Umkleidezeiten berechnet beziehungsweise abgegolten? 3. Wie wird dies thüringenweit gehandhabt? 4. Gibt es nach Kenntnis der Landesregierung im Bereich des Rettungsdienstzweckverbands Südthüringen vertragliche Regelungen, wonach das Umkleiden bereits in der Arbeitszeit beziehungsweise die Vergütung , beispielsweise in Bereitschaftszeiten, abgegolten ist? 5. In welchem Rhythmus haben im Rahmen der Leistungsverhandlungen Neubewertungen des Einsatzaufkommens und Personalbestands zu erfolgen und welche Auswirkungen hat das auf Personal und Technik? 6. Gibt es eine Schiedsstelle für den Fall, dass Kostenträger und Zweckverband sich nicht einigen? 7. Wenn ja, wurde diese schon im Falle nichtvergüteter Umkleidezeiten bei der Vermittlung zwischen Kostenträger und Zweckverband tätig? 8. Wenn nein, ist die Einrichtung einer solchen Schiedsstelle geplant und wie begründet die Landesregierung ihr Antwort? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Meißner (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/4952 Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 16. Januar 2018 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Nach Artikel 6 Buchst. b der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung vom 4. November 2003 (ABl. Nr. L 299 S. 9) haben die Mitgliedstaaten bezüglich der wöchentlichen Höchstarbeitszeit die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die durchschnittliche Arbeitszeit pro Siebentageszeitraum 48 Stunden einschließlich der Überstunden nicht überschreitet. In Deutschland ist die durchschnittliche werktägliche Arbeitszeit nach § 3 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) auf acht Stunden begrenzt. Sie kann auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen der Durchschnitt von acht Stunden werktäglich nicht überschritten wird. Abweichungen sind im Rahmen des § 7 ArbZG durch Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrages in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung zulässig. In einem Tarifvertrag oder aufgrund eines Tarifvertrags in einer Betriebs- oder Dienstvereinbarung kann eine Verlängerung der werktäglichen Arbeitszeit über zehn Stunden zugelassen werden, wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in einem erheblichen Umfang Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst fällt. Eine Verlängerung der durchschnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden ist durch freiwillige individualvertragliche Vereinbarung mit einer Widerrufsfrist von sechs Monaten möglich (Opt-out-Regelung). Dies ist nur bei ausdrücklicher und freier Zustimmung des einzelnen Arbeitnehmers rechtswirksam (Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 5. Oktober 2004, verbundene Rs. C-397/01 bis C-403/01, Rn. 84). Voraussetzung ist, dass in einem Tarifvertrag oder einer entsprechenden Regelung der Kirchen eine Arbeitszeitverlängerung über acht Stunden pro Tag ohne Ausgleich bei Arbeitsbereitschaft oder Bereitschaftsdienst zugelassen und Regelungen zum Schutz der Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer getroffen werden. Unter Berücksichtigung der oben genannten Regelungen wird die individuelle Arbeitszeit der angestellten Rettungsassistenten, Rettungssanitäter und Notfallsanitäter in den jeweiligen Arbeitsverträgen festgelegt. Die nähere Ausgestaltung der regelmäßigen Arbeitszeit des zum Teil bei den Berufsfeuerwehren verbeamteten nichtärztlichen Rettungsdienstpersonals regelt nach § 59 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Thüringer Beamtengesetz die oberste Dienstbehörde der kreisfreien Stadt (Oberbürgermeister) unter Beachtung der Bestimmungen des § 59 Thüringer Beamtengesetz und der oben genannten EU-Arbeitszeitrichtlinie. Zu 2.: Auch Umkleidezeiten können Arbeitszeiten im Sinne des Arbeitszeitgesetzes sein. Dies gilt zum Beispiel, wenn aus hygienischen Gründen das Tragen einer besonderen Berufskleidung vorgeschrieben ist. Eine landesrechtliche Regelung existiert hierzu nicht. Zur Frage der Anrechnung der Umkleidezeiten auf die Arbeitszeiten gibt es zahlreiche gerichtliche Entscheidungen , die bei der Bewertung zu beachten sind. Es wird unter anderen auf folgende Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts (BAG) verwiesen: - Umkleidezeiten gehören zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung, wenn das Umkleiden einem fremden Bedürfnis dient und nicht zugleich ein eigenes Bedürfnis erfüllt. Das Ankleiden mit vorgeschriebener Dienstkleidung ist nicht lediglich fremdnützig und damit nicht Arbeitszeit, wenn sie zu Hause angelegt und - ohne besonders auffällig zu sein - auch auf dem Weg zur Arbeitsstätte getragen werden kann (BAG, Beschluss vom 10. November 2009, Az. 1 ABR 54/08). - Umkleidezeiten und durch das Umkleiden veranlasste innerbetriebliche Wegezeiten sind im Anwendungsbereich des TV-L vergütungspflichtige Arbeitszeit, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt und das Umkleiden im Betrieb erfolgen muss. Es zählen auch die innerbetrieblichen Wege zur Arbeitszeit, die dadurch veranlasst sind, dass der Arbeitgeber das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz ermöglicht, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichtet, die der Arbeitnehmer zwingend benutzen muss. In welchem zeitlichen Umfang Umkleide- und innerbetriebliche Wegezeiten zur Arbeitszeit rechnen, ergibt sich - soweit eine anderweitige Regelung nicht besteht - nach allgemeinen Grundsätzen. Der Arbeitnehmer darf seine Leistungspflicht nicht willkürlich selbst bestimmen, er muss vielmehr unter angemessener Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit arbeiten. Dieser modifizierte subjektive Maßstab gilt auch für das Umkleiden und das Zurücklegen des Wegs von der Umkleide- zur Arbeitsstelle. Nur die Zeitspanne, die dazu für den einzelnen Arbeitnehmer unter Ausschöpfung seiner persönlichen Leistungsfähigkeit erforderlich ist, zählt zur Arbeitszeit (BAG, Urteil vom 19.09.2012, Az. 5 AZR 678/11). 3 Drucksache 6/4952Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode - Zur Arbeit gehören auch das Umkleiden und Zurücklegen der hiermit verbundenen innerbetrieblichen Wege, wenn der Arbeitgeber das Tragen einer bestimmten Kleidung vorschreibt, die im Betrieb an- und abgelegt werden muss, und er das Umkleiden nicht am Arbeitsplatz ermöglicht, sondern dafür eine vom Arbeitsplatz getrennte Umkleidestelle einrichtet (BAG, Urteil vom 26. Oktober 2016, Az. 5 AZR 214/16). - Zur Leistung der versprochenen Dienste, an welchen die Vergütungsverpflichtung nach § 611 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch anknüpft, zählt nicht nur die eigentliche Arbeitsleistung, sondern auch das vom Arbeitgeber angeordnete Umkleiden im Betrieb. Die Tarifvertragsparteien sind berechtigt, die Höhe des Arbeitsentgeltes zu tarifieren und hierbei eine unterschiedliche Vergütung der Arbeitszeit vorzusehen (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2016, Az. 9 AZR 574/15). Die Ausführungen dürften auch auf Fälle von arbeitsschutzrechtlich vorgeschriebener Arbeitskleidung wie persönliche Schutzausrüstungen oder aus hygienischen Gründen vorgeschriebene Arbeitskleidung zutreffen , die auch bei dem hier angesprochenen Personenkreis relevant sein dürften. Zu 3. und 4.: Nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Thüringer Rettungsdienstgesetz (ThürRettG) werden die Aufgaben des bodengebundenen Rettungsdienstes von den Landkreisen, kreisfreien Städten beziehungsweise Rettungsdienstzweckverbänden im eigenen Wirkungskreis erfüllt. Die Rechtsaufsicht ist in Selbstverwaltungsangelegenheiten der Kommunen zur Informationsbeschaffung nicht verpflichtet und auch nicht berechtigt, nach Informationen gleichsam ausforschend und flächendeckend zu suchen. Aus diesem Grunde liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse dazu vor, ob und wenn ja, auf welcher Grundlage die Umkleidezeiten des Rettungsdienstpersonals in den einzelnen Rettungsdienstbereichen Thüringens berechnet beziehungsweise abgegolten werden. Zu 5.: Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 und 3 ThürRettG ist der Gesamtbedarf für den Rettungsdienstbereich, insbesondere die Anzahl und die Art der vorzuhaltenden Rettungsmittel sowie die personelle Besetzung und Ausstattung der Rettungswachen, im Rettungsdienstbereichsplan festzulegen. Dieser ist nach § 12 Abs. 1 Satz 4 Thür- RettG kontinuierlich unter Mitwirkung des Bereichsbeirats zu überprüfen und bei Bedarf zu ändern. Nach Nummer 10.2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 des Landesrettungsdienstplanes für den Freistaat Thüringen muss die Prüfung und gegebenenfalls Fortschreibung dieses Planes mindestens im Abstand von zwei Jahren erfolgen ; soweit sich innerhalb dieses Zeitraumes Veränderungen ergeben, ist der Bereichsbeirat anzuhören und der Rettungsdienstbereichsplan den Veränderungen anzupassen. Die Auswirkungen auf das Personal und die Technik hängen davon, in welchem Umfang der Gesamtbedarf geändert wird. Zu 6.: nein Zu 7.: Siehe Antwort zu Frage 6. Zu 8.: Nein; die Einrichtung einer Schiedsstelle für den Fall der Nichteinigung über die Vergütung der Umkleidezeit wird nicht für erforderlich erachtet. Maier Minister Umkleidezeit beim Rettungsdienstpersonal - Freizeitbeschäftigung oder vergütete Arbeitszeit? Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3. und 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: