16.03.2018 Drucksache 6/5455Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 3. April 2018 Nach dem Hochwasser ist vor dem Hochwasser - Krisenbewältigungsstrukturen nach Naturkatastrophen in Thüringen Die Kleine Anfrage 2800 vom 29. Januar 2018 hat folgenden Wortlaut: Nach dem Hochwasser im Jahr 2013 hat die damalige Landesregierung Krisenbewältigungsstrukturen geschaffen . Im nachgeordneten Bereich des damaligen Thüringer Ministeriums für Bau, Landesentwicklung und Verkehr wurde die Servicestelle Wiederaufbauhilfe eingerichtet, die betroffene Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen beriet und die Auszahlung der Mittel aus dem Bund-Länder-Fonds übernahm. Der Einrichtung dieser Servicestelle gingen schwierige Verhandlungen zwischen den Ressorts um Zuständigkeiten und Mittelabflüsse nach dem Hochwasser voraus. Eine Vorbereitung auf eine solche Lage vor dem Hochwasser schien nicht zu existieren. Gemeint ist nicht die unmittelbare Hochwasserabwehr, sondern die oben aufgeführte Nachsorge. Zwar konnte die Richtlinie für die Soforthilfe bereits am 6. Juni 2013 verkündet werden, erst am 19. August 2013 aber verkündete die damalige Staatssekretärin für Bau, Landesentwicklung und Verkehr das Prozedere für die notwendige Aufbauhilfe (vergleiche Medieninformation des Thüringer Ministeriums für Bau, Landesentwicklung und Verkehr vom 19. August 2013). Die Antragstellung auf deren Mittel nach den dann erst in Kraft tretenden Verordnungen und Richtlinien wurde somit erst zehn Wochen nach Abfließen des Hochwassers möglich. Es drängt sich der Eindruck auf, dass im Falle künftiger Naturkatastrophen sofort arbeitsfähige Krisenbewältigungsstrukturen und vorbereitete Hilfsverfahren sinnvoll sind. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie bewertet die Landesregierung die seinerzeit gemachten Erfahrungen hinsichtlich Zielgenauigkeit und Wirksamkeit der Hilfe für Bürgerinnen, Bürger, Unternehmen und für die öffentliche Hand? 2. Wie bewertet die Landesregierung die Tatsache, dass bei Auftreten der Hochwasserlage 2013 die erforderlichen Strukturen für Soforthilfe und Wiederaufbauhilfe erst verabredet und hiernach geschaffen werden mussten? 3. Wie haben sich diese Arbeitsstrukturen bewährt? Wurden die seinerzeitigen Verfahren einer Evaluierung unterzogen? 4. Wie haben sich die zugehörigen Rechtsvorschriften und Richtlinien über Zuwendungen bewährt? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Huster (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Infrastruktur und Landwirtschaft 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/5455 5. In welcher Form hat die Landesregierung inhaltlich und strukturell Vorkehrungen getroffen, um bei Eintritt der nächsten Naturkatastrophe schnell und zielgerichtet helfen zu können? 6. Wird es in einem vergleichbaren Fall erneut die Zersplitterung der Zuständigkeiten, das heißt deren Aufteilung auf die verschiedenen Ressorts, geben? 7. Wie wird in künftigen Fällen die Evaluierung der Krisenbewältigung durchgeführt? 8. Wie steht die Landesregierung zu steuerfinanzierten Hilfs- und Aufbauleistungen für diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die zwar eine zumutbare Versicherung hätten abschließen können, dies aber aus falsch verstandener Sparsamkeit versäumt haben? 9. Was hat die Landesregierung unternommen, um zu einer verbesserten Vorsorge durch entsprechende (gegebenenfalls verpflichtende) Elementarschadensversicherungen zu gelangen? Das Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft hat die Kleine Anfrage namens der Landesre gierung mit Schreiben vom 15. März 2018 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Auch wenn in Einzelfällen die Beurteilung schwierig war, inwieweit Schäden tatsächlich auf das Hochwasserereignis zurückzuführen sind, ist bei allen Aufbauhilfeprogrammen davon auszugehen, dass die Hilfen wirksam und zielgenau eingesetzt wurden. Mit der Einrichtung des Aufbauhilfefonds von Bund und Ländern konnte ein Finanzierungsinstrument geschaffen werden, um schnell Auszahlungen zu gewährleisten. Zu 2.: Naturkatastrophen sind in ihrem Auftreten und ihren Auswirkungen unterschiedlich und weder räumlich noch zeitlich vorhersehbar. Die Erfahrungen mit dem räumlich begrenzten Hochwasser im Jahr 2002 im Altenburger Land konnten aber berücksichtigt werden. Es ist davon auszugehen, dass bei zukünftigen vergleichbaren Fällen aufgrund der Erfahrungen mit dem Hochwasserereignis zwar bekannt ist, mit welchen Strukturen eine Aufbauhilfe wirksam geleistet werden kann. Gleichwohl wird es wieder erforderlich sein, diese Strukturen neu aufzubauen, da sie nicht dauerhaft landesweit vorgehalten werden können. Auch die Wege zur Schadenserfassung und -meldung sowie zur Auszahlung eventueller Hilfsgelder könnten zu modifizieren sein. Zu 3.: Ein Problem war, dass die vom Bund bereitgestellten Mittel nach unterschiedlichen Maßgaben zu verteilen waren. Dadurch ergab sich in der Anfangszeit ein hoher Abstimmungsbedarf. Durch die Schaffung der zentralen Koordinierungsstelle Wiederaufbau Hochwasserschäden im damaligen Thüringer Ministerium für Bau, Landesentwicklung und Verkehr konnte aber eine zentrale Steuerung erreicht werden, was insgesamt als positiv bewertet wird. Diese Koordinierungsstelle hat dazu beigetragen, schnell und unbürokratisch Problem- und Einzelfälle zwischen den Bewilligungsstellen abzustimmen, sie der richtigen Stelle zuzuordnen, Lösungen zu entwickeln und umzusetzen sowie beratend zu vermitteln. Auf die dabei gemachten Erfahrungen kann erforderlichenfalls in modifizierter Form zurückgegriffen werden. Die Zuordnung einzelner Schadenssachverhalte zu unterschiedlichen Aufbauhilfeprogrammrichtlinien war im Einzelfall nicht optimal. Soweit es zukünftig vergleichbare Schadensfälle und Aufbauhilfeprogramme gibt, an denen sich der Bund beteiligt, wird Wert auf eine stärkere Bündelung zu legen sein. Zu 4.: Es wurden insgesamt sechs ressortbezogene Richtlinien erlassen. Für den Vollzug dieser getrennten Richtlinien ist das jeweilige Ressort zuständig. Bei künftigen Ereignissen ist vorbehaltlich der noch nicht abgeschlossenen Evaluierung die Abwicklung über ein einheitliches Aufbauhilfeprogramm anzustreben. Grundsätzlich haben sich die Regelungen aber bewährt. Zu berücksichtigen ist, dass aufgrund der Finanzierung der Programme durch den Bund die Einflussmöglichkeiten der Länder bei der Ausgestaltung der Förderung nur in einem vorgegebenen begrenzten Spielraum erfolgen konnten. Unsicherheiten der Antragsteller bei der Zuordnung von Schäden und damit bei ei- 3 Drucksache 6/5455Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode ner sachgerechten Antragstellung führten zwar immer wieder zu Verzögerungen, beruhten aber nicht auf Mängeln der Richtlinien. Zu 5.: Bei Naturkatastrophen handelt es sich um Ereignisse, deren Eintritt der Natur der Sache nach ungewiss ist. Da jeder Katastrophenfall anders gelagert ist, müssen die zu ergreifenden Maßnahmen dem jeweiligen Katastrophenfall angepasst geplant werden. Das Vorgehen in Thüringen (Soforthilfe - Schaffung eines Aufbauhilfefonds - Schaffung einer Koordinierungsstelle ) hat sich prinzipiell bewährt. Bei eventuellen zukünftigen Ereignissen kann entweder das gleiche Vorgehen erfolgen oder - bei anders gearteten Ereignissen und Schadensfolgen - auf die Erfahrungen zurückgegriffen werden, um eine angepasste "maßgeschneiderte" Lösung zu finden. Zudem werden die Förderprogramme evaluiert und die Ergebnisse bei vergleichbaren Ereignissen in der Zukunft berücksichtigt. Zu 6.: Diese Frage kann aus der Sicht der Landesregierung nicht generell - insbesondere nicht mit Bindungswirkung für zukünftige Landesregierungen - beantwortet werden. Ziel wird sein, eine weitgehend einheitliche Zuständigkeit zu erreichen. Ob das möglich ist, kann unter anderem von bundesrechtlichen Vorgaben bei einer Beteiligung des Bundes an einer Aufbauhilfe abhängen. Auch die Art der Schäden und Erfordernisse bei ihrer Beseitigung können eine Betreuung der Schadensbeseitigung durch verschiedene Ressorts rechtfertigen. Unabhängig von den Besonderheiten zukünftiger Schadensereignisse ist aber festzustellen, dass sich die Bildung der Koordinierungsstelle Wiederaufbau Hochwasserschäden bewährt hat und bei Ereignissen erneut erfolgen sollte. Zu 7.: Eine Aussage, ob und wie bei zukünftigen Fällen eine Evaluierung erfolgen wird, ist heute noch nicht möglich. Zu 8.: Eigenvorsorge der Betroffenen durch Versicherungen sollte im Vordergrund stehen. Auf der Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister im Juni 2015 wurde daher unter anderem beschlossen: "Die Justizministerinnen und Justizminister sind sich einig, dass ein Schutz vor Elementarschadensereignissen auch durch individuelle Prävention sowie Risikoabsicherung erzielt werden muss. Zukünftige staatliche Hilfen sollten daher auch berücksichtigen, ob die Betroffenen eine Versicherung zu wirtschaftlich vertretbaren Bedingungen hätten abschließen können." Dieser Beschluss wurde von den Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder auf ihrer Jahreskonferenz im Oktober 2015 zustimmend zur Kenntnis genommen. Allerdings ist auch zu berücksichtigen, dass vor allem Gebäude in hochwassergefährdeten Gebieten entweder nicht oder nur für extrem hohe Versicherungsbeiträge versicherbar sind. Da die Beurteilung, ob eine Versicherung zumutbar gewesen wäre, mangels auch für Bürger vorhersehbarer Kriterien kaum möglich gewesen wäre, wurde im Zusammenhang mit dem Hochwasser 2013 die politische Entscheidung getroffen, Sofort- und Aufbauhilfen grundsätzlich ohne Prüfung dieser Zumutbarkeit zu gewähren. In jedem Fall fand aber eine Verrechnung mit Versicherungsleistungen statt. Auch wurden die Schäden insbesondere im Bereich des Hausrats- und der Wohngebäude nicht zu 100 Prozent ersetzt, um für die Betroffenen einen Anreiz für eine entsprechende private Vorsorge zu schaffen. Inwieweit bei zukünftigen Naturkatastrophen bei eventuellen Aufbauhilfen die Möglichkeit einer zumutbaren Eigenversicherung berücksichtigt werden kann, wird von Art und Umfang der Naturkatastrophe abhängen. Zu 9.: Die Frage der Einführung einer verpflichtenden Elementarschadensversicherung hat Thüringen als eines der federführenden Länder in der von der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister im Jahr 2013 eingesetzten Bund-Länder-Arbeitsgruppe "Pflichtversicherung für Elementarschäden" mit überprüft. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/5455 Die Justizministerinnen und Justizminister haben zuletzt auf ihrer Frühjahrskonferenz 2017 die Auffassung der Arbeitsgruppe geteilt, dass die Einführung einer Pflichtversicherung nur unter engen verfassungsrechtlichen Voraussetzungen möglich ist und nach den vorliegenden Daten eine Einführung ohne Veränderung des verfassungsrechtlichen Rahmens derzeit nicht gerechtfertigt ist. Auf der Konferenz der Regierungschefinnen und Regierungschefs der Länder am 1. Februar 2018 wurde die Bundesregierung gebeten, Untersuchungen über die Entwicklung des Marktes für Versicherungen gegen Elementarschäden unter Berücksichtigung von Nachfrage, tatsächlichem Abschluss von Versicherungsverträgen je Risikozahl, Prämienhöhe, Anzahl der abgelehnten Vertragsabschlüsse und den Gründen der Ablehnung durchzuführen und den Ländern alle zwei Jahre, beginnend ab dem Jahr 2019 hierüber zu berichten. Zur Erhöhung des Deckungsgrades freiwilliger Elementarschadenversicherungen wurde gemäß dem Thüringer Landesprogramm Hochwasserschutz eine Elementarschadenkampagne "Thüringen wappnet sich gegen Hochwasser und andere Naturgefahren" durch das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz initiiert, die durch einen Beirat unter Beteiligung des Landes, der Verbraucherzentrale, der Architekten - und Ingenieurkammer sowie des Gesamtverband der Versicherungswirtschaft (GDV) begleitet wurde. In Vertretung Dr. Sühl Staatssekretär Nach dem Hochwasser ist vor dem Hochwasser - Krisenbewältigungsstrukturen nach Naturkatastrophen in Thüringen Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: