19.03.2018 Drucksache 6/5464Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 4. April 2018 Veranlassung einer Durchsuchungsmaßnahme am 28. Juni 2017 in Nordhausen (Ordnungswidrigkeitenverfahren nach Aufenthaltsgesetz) Die Kleine Anfrage 2774 vom 23. Januar 2018 hat folgenden Wortlaut: Am 28. Juni 2017 fand laut der Thüringer Allgemeinen in zwei Gemeinschaftsunterkünften für Asylsuchende in Nordhausen eine Razzia statt, weil die Ausländerbehörde des Landkreises Nordhausen einen Durchsuchungsbeschluss beim Amtsgericht Nordhausen erwirkte, um nach Ausweisdokumenten bei rund 50 Bewohnern zu suchen. In dem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Nordhausen vom 16. Juni 2017 (Aktenzeichen 32 Gs 56/17) ist eine pauschale Beschlagnahmung und Durchsuchung der Mobiltelefone von rund 50 Bewohnern angeordnet und dies mit einer Ordnungswidrigkeit gemäß § 98 Abs. 2 Nr. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) begründet worden. Den Betroffenen wurde vorgeworfen, dass sie ihre Identitätspapiere nach Aufforderung nicht vorgelegt und damit vorsätzlich ihre Mitwirkungspflicht verletzt hätten. Sie selbst hätten erklärt, nicht mehr im Besitz dieser Dokumente zu sein. Meiner Kenntnis nach heißt es im Beschluss des Amtsgerichts, dass Ausländer ihren Kontakt zum Herkunftsland regelmäßig nicht vollständig abbrechen würden und regelmäßig im Herkunftsland Angehörige vorhanden seien, die die Identität bestätigen könnten. Durch die Durchsuchung sollten etwa Telefonnummern in Mobiltelefonen zu Kontaktpersonen im Heimatland gefunden werden, die dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beziehungsweise der Ausländerbehörde nicht vorgelegt worden seien. Wie mir berichtet wurde, sollen bei der Durchsuchungsmaßnahme auch Personen mit Handschellen gefesselt worden seien. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie ist nach Kenntnis der Landesregierung der derzeitige Verfahrensstand des in der Vorbemerkung genannten Ordnungswidrigkeitenverfahrens gegen die 50 Betroffenen? 2. Welchen Aufenthaltsstatus hatten nach Kenntnis der Landesregierung die 50 Beschuldigten zum Zeitpunkt der Durchsuchung am 28. Juni 2017? 3. Ist es nach Kenntnis der Landesregierung zutreffend, dass sich unter den 50 Betroffenen auch Personen befanden, auf die die Voraussetzung "Duldung" nicht zutraf, statt dessen eine Aufenthaltsgestattung bestand und das Asylverfahren noch nicht abgeschlossen war? 4. Beruhen Entscheidungen der Ausländerbehörden in Thüringen auf der allgemeinen Annahme, dass Menschen nichtdeutscher Herkunft regelmäßig Kontakte in ihre Heimatländer haben und demgegenüber die Darstellung von Menschen nichtdeutscher Herkunft, dass sämtliche Kontakte in die Herkunftsländer abgebrochen seien, per se "lebensfremd und unglaubhaft" sei, da "erfahrungsgemäß" regelmäßig Kontakte K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Berninger (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/5464 existieren würden und deswegen anzunehmen sei, dass die Mitwirkungspflicht verletzt wurde? Welche Auffassung vertritt die Landesregierung dazu, dass sämtliche Kontakte von Menschen nichtdeutscher Herkunft in die Heimatländer beispielsweise aufgrund technischer Unterversorgung in Kriegsgebieten oder der immer wieder vorkommenden vollständigen Trennung von Angehörigen in Kriegs- oder anderen Notsituationen abbrechen können? 5. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung zu den Voraussetzungen einer Durchsuchung und Handybeschlagnahmung bei Verdacht auf Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Eingriff in die grundrechtlich geschützte Lebenssphäre bei einer Vielzahl von Betroffenen vor dem Hintergrund der Schwere der Straftat, hier: Ordnungswidrigkeit)? Welche milderen Mittel stehen Thüringer Ausländerbehörden zur Durchsetzung der Mitwirkungspflicht gegebenenfalls zur Verfügung? 6. Unter welchen Voraussetzungen kann sich ein Durchsuchungsbeschluss mit Blick auf die Schutzfunktion des Richtervorbehalts gemäß Artikel 13 Abs. 2 Grundgesetz auf mehrere Betroffene (im vorliegenden Fall auf rund 50 Betroffene) gleichzeitig beziehen? Sind über die Personalien hinaus konkrete Angaben zu den einzelnen Betroffenen und den jeweils zu Grunde liegenden Einzelverfahren erforderlich? 7. Welche konkreten Aspekte sind bei der behördlichen und gerichtlichen Prüfung zum Erlass von Durchsetzungsmaßnahmen bei dem Verdacht einer Verletzung der Mitwirkungspflichten nach § 48 AufenthG zu berücksichtigen und in welcher Form sind die Prüfergebnisse festzuhalten und dem Antragsteller/der Antragstellerin mitzuteilen? Sind dabei insbesondere folgende Aspekte relevant: - aufgrund welcher rechtskräftigen Entscheidung der Antragsteller/die Antragstellerin vollziehbar ausreisepflichtig ist, - welche Unterlagen vorliegen und welche Unterlagen noch erforderlich sind, um die Ausweisung des Antragstellers/der Antragstellerin durchzusetzen, - wann der Antragsteller/die Antragstellerin von wem und wie belehrt wurde, - wann der Antragsteller/die Antragstellerin welche Auskunft erteilte oder sich einer solchen verweigerte, - warum die Identität oder Staatsangehörigkeit des Antragstellers/der Antragstellerin unklar sein soll, - warum konkret der Verdacht besteht, dass der Antragsteller/die Antragstellerin sich der unterbliebenen Mitwirkung im Sinne des § 98 AufenthG schuldig machte? 8. Ist es nach Kenntnis der Landesregierung zutreffend, dass die in Frage 7 genannten Angaben im Durchsuchungsbeschluss für die Maßnahme am 28. Juni 2017 in Nordhausen fehlen? Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 18. März 2018 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die genannten Ordnungswidrigkeitenverfahren sind nicht abgeschlossen. In den Fällen des Auffindens von Identitätspapieren wurden Strafverfahren eingeleitet. Zu 2. und 3.: Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 2 und 3 gemeinsam beantwortet. Zum Zeitpunkt der Durchsuchung waren 34 Personen Duldungsinhaber und 16 Personen im Besitz einer Aufenthaltsgestattung. Zu 4.: Die Ausländerbehörden haben auf der Grundlage von Recht und Gesetz zu entscheiden. Im Übrigen liegen der Landesregierung keine Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor. Zu 5.: Für das Bußgeldverfahren gelten, soweit das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) nichts anderes bestimmt , sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich unter anderem der Strafprozessordnung (§ 46 Abs. 1 OWiG). Danach können auch im Bußgeldverfahren unter den im Strafverfahren geltenden Voraussetzungen, zu denen auch die Beachtung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zählt, sowohl eine Durchsuchung bei Betroffenen (§ 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 102, 105 Abs. 1 Satz 1 StPO) als auch eine Beschlagnahme von Beweismitteln (§ 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 94 Abs. 1 und 2, § 98 Abs. 1 Satz 1 StPO) gerichtlich angeordnet werden. 3 Drucksache 6/5464Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode In den Anlass gebenden Fällen wurden die Ermittlungsmaßnahmen gerichtlich angeordnet. Gerichtliche Anordnungen von Ermittlungsmaßnahmen unterfallen der richterlichen Unabhängigkeit und unterliegen infolgedessen nicht der Bewertungs- oder Einflusskompetenz der Landesregierung. Zu 6.: Aufgrund des verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzips müssen Anordnungen von Ermittlungsmaßnahmen grundsätzlich die Ordnungswidrigkeit bezeichnen, deren mutmaßliche Begehung Anlass zu ihnen gibt. Insbesondere bei der Durchsuchung von Wohnungen sind außerdem tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs erforderlich, sofern sie nach dem Ermittlungsergebnis ohne weiteres möglich sind und den Zwecken des Bußgeldverfahrens nicht zuwiderlaufen. Bei einer Vielzahl von Taten genügt die Angabe zusammenfassender kennzeichnender Merkmale (vgl. für das Strafverfahren: Schmitt in: Meyer-Goßner/ Schmitt, Strafprozessordnung, 60. Aufl., 2017, § 105 Rn. 5 m. w. N.). Die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes muss das Gericht prüfen und je nach Lage des Einzelfalls näher darlegen (a. a. O., Rn. 5a.). Zu 7.: Rechtsgrundlage für das Handeln der Ausländerbehörde sind die einschlägigen ausländerrechtlichen Regelungen . Zu verweisen ist insbesondere auf das Kapitel 4 und § 82 des Aufenthaltsgesetzes. Hinsichtlich der gerichtlichen Anordnung wird auf die Antworten zu den Fragen 5 und 6 verwiesen. Zu 8.: Auf die Antwort zur Frage 6 wird verwiesen. Gerichtliche Anordnungen von Ermittlungsmaßnahmen unterfallen der richterlichen Unabhängigkeit und unterliegen infolgedessen nicht der Bewertungs- oder Einflusskompetenz der Landesregierung. Vielmehr steht es jedem Betroffenen von Durchsuchungs- und Beschlagnahmemaßnahmen frei, mit der Beschwerde nach den §§ 304 ff. StPO die jeweiligen Zwangsmaßnahmen durch das zuständige Landgericht überprüfen zu lassen. Lauinger Minister _GoBack Anschrift1