24.04.2015 Drucksache 6/548Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 7. Mai 2015 Arbeit des Kriminologischen Dienstes in Thüringen Die Kleine Anfrage 220 vom 12. März 2015 hat folgenden Wortlaut: Nach mehreren Todesfällen in den Justizvollzugsanstalten des Freistaats in der letzten Le gislaturperiode wurde 2011 ein Kriminologischer Dienst als eine Säule der Suizidprophylaxe eingerichtet. Nach Absatz III. der Verwaltungsvorschrift über die Einrichtung des Kriminologischen Dienstes für den Justizvollzug des Freistaats Thüringen (VwV Kriminologischer Dienst) obliegen dem Kriminologischen Dienst in Thüringen unter anderem die Aufgaben der Forschung und Evaluation im Bereich des Vollzugs, der Mitwirkung bei der Aus- und Fortbildung der Justizvollzugsbediensteten und der Zusammenarbeit mit Einrichtungen der kriminologischen Forschung. Trotz dieser umfangreichen Aufgabenbeschreibung liegen über die Arbeit des Kriminologischen Dienstes in Thüringen, im Gegensatz zu anderen Bundesländern, keine öffentlich zugänglichen Erkenntnisse vor. Dabei kommt der kriminologischen Forschung eine besondere Bedeutung zu, zumal die Ergebnisse kriminologischer Forschung im Justizvollzug die Rehabilitation und die Wiedereingliederung von Straftätern in die Gesellschaft verbessern und der Prävention künftiger Straftaten dienen sollen. Dabei ist die Frage, welche speziellen Maßnahmen bei welchen Tätergruppen unter welchen Bedingungen wirken und wo sie Erfolg versprechen. Ob und wie der Kriminologische Dienst in Thüringen dieser Aufgabe gerecht wird, kann mangels bestehender Transparenz nicht beurteilt werden. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie ist der Kriminologische Dienst in Thüringen personell und sächlich ausgestattet? Gibt es Überlegungen seitens der Landesregierung, den Kriminologischen Dienst personell zu verstärken bzw. mit mehr Haushaltsmitteln auszustatten? Wenn nein, warum nicht? 2. Welche Erkenntnisse hat der Kriminologische Dienst im Rahmen der Evaluation des Jugend- und Erwachsenenstrafvollzugs sowie des Arrest- und Untersuchungshaft vollzugs seit 2011 erlangt und wie bewertet die Landesregierung diese Erkenntnisse? Plant die Landesregierung, diese Erkenntnisse des Kriminologischen Dienstes zu veröffentlichen? Wenn nein, warum nicht? 3. Welche eigenen Forschungsvorhaben hat der Kriminologische Dienst in Thüringen seit 2011 durchgeführt ? Wie bewertet die Landesregierung diese Forschungsvorhaben? Plant die Landesregierung, diese Forschungsvorhaben des Kriminologischen Dienstes zu veröffentlichen? Wenn nein, warum nicht? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Walsmann (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/548 4. Wie gestaltet sich konkret die Mitwirkung des Kriminologischen Dienstes im Rahmen der Aus- und Fortbildung von Justizvollzugsbediensteten? Wie bewertet die Landesregierung diese Mitwirkung? Gibt es Pläne seitens der Landesregierung, die Mitwir kung zu optimieren? Wenn nein, warum nicht? 5. Wie ist der Kriminologische Dienst konkret in die tägliche Arbeit der Justizvollzugsan stalten eingebunden? Wie bewertet die Landesregierung diese Einbindung? Gibt es Pläne seitens der Landesregierung, die Einbindung zu optimieren? Wenn nein, warum nicht? 6. Wie bewerten die Justizvollzugsbediensteten die Arbeit des Kriminologischen Dienstes in Thüringen? Gab es seitens der Justizvollzugsbediensteten Verbesserungs- bzw. Optimierungsvorschläge in Bezug auf die Arbeit des Kriminologischen Dienstes? Wenn ja, wie bewertet die Landesregierung diese Vorschläge? Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 24. April 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Der Kriminologische Dienst für den Justizvollzug des Freistaats Thüringen (KD) besteht derzeit aus einem Leiter und einer Mitarbeiterin. Der KD nahm im Januar 2012 seine Tätigkeit auf. Eine genaue Aufstellung der sächlichen Mittel ist nicht möglich, da der KD nicht über eine eigene Haushaltsstelle (wie etwa eine Justizvollzugseinrichtung) verfügt. Die Ausgaben werden aus dem laufenden Vollzugshaushalt aus den jeweils betroffenen Titeln gezahlt (z. B. Reisekosten, Büromaterial etc.). Für die weitere wissenschaftliche Begleitung des Justizvollzugs unter besonderer Beachtung der Umsetzung des neuen Thüringer Justizvollzugsgesetzbuchs sowie auch zur Anwendung der Erkenntnisse aus der kriminologischen Forschung - auch in der Aus- und Fortbildung - im Thüringer Justizvollzug wäre eine personelle Kapazitätserweiterung wünschenswert, diese hängt aber von haushälterischen Umständen ab. Zu 2.: Der KD hat seit dem Jahr 2012 folgende Forschungsvorhaben durchgeführt, deren Erkenntnisse und Umsetzung nachfolgend in kurzer Form wiedergegeben werden. Aus der Umsetzung der Empfehlungen ergibt sich auch die Bewertung der Erkenntnisse. Die Veröffentlichung der Ergebnisse eines Forschungsvorhabens ist hauptsächlich von den Autoren der jeweiligen wissenschaftlichen Untersuchung abhängig. Eine gesonderte Veröffentlichung durch die Landesregierung erfolgt in der Regel nicht. • Evaluation des Jugendstrafvollzugs Evaluation des Jugendstrafvollzugs von 2012 Eine erste Evaluation des Jugendstrafvollzugs (Rückfalluntersuchung), die die Entlassungsjahrgänge 2005 bis 2010 in Thüringen untersucht hat, wurde im Jahr 2012 dem Thüringer Landtag vorgestellt. Damit gehört Thüringen zu den wenigen Bundesländern, die eine eigene Rückfalluntersuchung durchgeführt haben. Eine Veröffentlichung der bisherigen Ergebnisse ist bereits erfolgt: Giebel, S. M.; Ritter, S.: Rückfalluntersuchung im Jugendstrafvollzug in Thüringen, AVM München 2013. Die Ergebnisse dieser Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen: • Die Rückfallquote reduziert sich nach einem Bildungsabschluss um nahezu zehn Prozent. Es ist daher zu empfehlen, das Angebot an Bildungsmaßnahmen weiter auszubauen, jedoch mindestens das erreichte Niveau zu halten. • Dem Übergangsmanagement sollte mehr Bedeutung beigemessen werden. Die Wirkung von Maßnahmen im Vollzug hängt von der Umsetzung und der Umsetzbarkeit in Freiheit ab. Insgesamt sind die Netzwerke für den Übergang stärker auszubauen. • In den ausgewerteten Registerauszügen zeigt sich, dass die Gewaltdelinquenz der Jugendlichen ein erhebliches Problem darstellt. Die zugrundeliegende Motivation oder die Gesinnung können nur bedingt erfasst werden. Durch eine angemessenere Behandlung der Gewalttäter können auch dieje- 3 Drucksache 6/548Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode nigen besser erreicht werden, bei denen ein Hang zur Gewalt und möglicherweise eine extremistische Einstellung vorliegt. • Angesichts des hohen Anteils an "Süchtigen" sollte bereits im Jugendstrafvollzug eine Suchttherapie durchgeführt und die Suchtbehandlung allgemein verbessert und auf die Bedarfe der Betroffenen abgestellt werden. Dabei ist besonders der Anteil der Jugendlichen mit Alkoholproblematik zu beachten. • Der Anteil an psychisch auffälligen Inhaftierten nimmt auch im Bereich Jugendvollzug zu und führt zu einem entsprechenden psychologischen (sowie psychotherapeutischen und psychiatrischen) Behandlungsbedarf . • Die soziale Kompetenz der Jugendlichen sollte stärker trainiert werden, da die Elternhäuser dies in vielen Fällen nicht leisten bzw. nicht leisten konnten. Hierfür wird vorgeschlagen, geeignete niedrigund höherschwellige Behandlungsangebote fortzusetzen und auszubauen. Die gesamte Behandlung sollte sich dabei stärker an dem Alltag der Straftäter nach der Entlassung orientieren. Die Landesregierung hat diese Empfehlungen zur Kenntnis genommen. Diese fanden bereits bei dem neuen Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch Berücksichtigung und werden auch weiterhin bei der Ausgestaltung des Jugendstrafvollzugs herangezogen. Länderübergreifende Evaluation des Jugendstrafvollzugs: Des Weiteren beteiligt sich Thüringen an einer länderübergreifenden Evaluation des Jugendstrafvollzugs. Erste Publikationen liegen hierzu vor: Lobitz, R.; Giebel, S.M.; Suhling, S.: Strukturelle Merkmale des Jugendstrafvollzugs in Deutschland - erste Ergebnisse einer länderübergreifenden Bestandsaufnahme durch die Kriminologischen Dienste, Forum Strafvollzug Nr. 6, November 2013. Dabei ist zu beachten, dass ein Vergleich der Länder aufgrund einer unterschiedlichen Ausgangssituation (Delinquenz, Bildung, soziale Herkunft ), Maßnahmendefinitionen etc. trotz aller Bemühungen einer Standardisierung nur sehr bedingt möglich erscheint und weiterhin die Notwendigkeit von Untersuchungen auf Länderebene besteht. • Evaluation des Erwachsenenstrafvollzugs Zum Erwachsenenstrafvollzug gibt es derzeit keine eigenständige Untersuchung. Lediglich im Rahmen der geplanten Evaluation der Untersuchungshaft soll für diese Untersuchung eine sogenannte Vergleichsgruppe aus Strafgefangenen herangezogen werden, die damit automatisch mitevaluiert wird. • Evaluation des Jugendarrests Eine erste Evaluation des Jugendarrests, die die Entlassungsjahrgänge 2004/2005 untersucht hat, wurde ab dem Jahr 2012 ausgewertet. Zentrales Ergebnis der Evaluation des Jugendarrests ist der fehlende Zusammenhang zwischen Arrestdauer, Alter und Geschlecht einerseits und der Straffälligkeit andererseits. Darüber hinaus zeigt die Untersuchung einen erheblichen Bedarf im Bereich des Übergangsmanagements. Dabei ist zu beachten, dass erst seit dem Jahr 2011 ein Sozialdienst zentral die Betreuung der Arrestanten übernommen hat. Für die Jahre 2015/2016 wird auf Grundlage der elektronischen Dokumentation im Jugendarrest eine Dissertation zum Thema Übergangsmanagement im Jugendarrest eingereicht werden. Die Ergebnisse wurden veröffentlicht in: Giebel, S.M.; Ritter, S.: Auswertung des Jahrgangs 2005 der Jugendarrestanstalt Weimar, Tagungsband der KrimG, in Druck (2013) und eingereicht für die Buchreihe "Fear of Crime-Punitivity": Giebel, S.M.: Effects of youth custody on the crime rate of juvenile offenders after dismissal - Evaluation of the youth custody Weimar 2005, in Druck (2014). • Evaluation des Untersuchungshaftvollzugs Eine Evaluation der Untersuchungshaft ist seit der letzten Legislaturperiode geplant. Es liegen derzeit deskriptive Ergebnisse der Untersuchung vor, die lediglich eine Grundlage für die Untersuchung der Wirkung der Untersuchungshaft darstellen und in die Gesamtuntersuchung einfließen sollen. Im Zuge dieser Untersuchung sollen im Weiteren die Wirkung und die Folgen der Untersuchungshaft untersucht sowie die Notwendigkeit eines Übergangsmanagements eruiert werden. Mit einer Veröffentlichung der Ergebnisse kann erst mit Abschluss der Untersuchung in den folgenden Jahren zu rechnen sein. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/548 Zu 3.: Die Veröffentlichung der Ergebnisse eines Forschungsvorhabens ist hauptsächlich von den Autoren der jeweiligen wissenschaftlichen Untersuchung abhängig. Eine gesonderte Veröffentlichung durch die Landesregierung erfolgt in der Regel nicht. Zunächst wird auf die Antwort zu Frage 2 verwiesen. Des Weiteren hat der KD folgende Forschungsvorhaben durchgeführt: • Suizidalität in der Untersuchungshaft Die Untersuchung zur Suizidalität fand in den Jahren 2012/2013 statt. Im Gegensatz zu bisherigen Untersuchungen zu dieser Thematik ging es nicht um den erfolgten Suizid, sondern um die psychologisch diagnostizierte Suizidalität. Zentrales Ergebnis der Untersuchung ist, dass Personen ab 50 Jahren mit dem Vorwurf eines Gewaltdelikts und einer vor der Haft bestehenden Beziehung ein erhöhtes Risiko zur Suizidalität aufweisen. In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Tonna gibt es bereits spezielle Freizeitangebote für diese Zielgruppe. Darüber hinaus ist geplant, die Station für ältere Gefangene in der JVA Tonna konzeptionell zu untersetzen. Die Ergebnisse wurden bisher mangels geeigneten Verlags noch nicht publiziert. Eine Freigabe zur Publikation des damaligen Thüringer Justizministeriums liegt vor. • Evaluation der Gefangenentelefonseelsorge Seit Beginn der Gefangenentelefonseelsorge im Jahr 2013 ist der KD zur wissenschaftlichen Begleitung tätig . Es geht darum, die Gefangenentelefonseelsorge in ihrer Wirkung als Suizidprophylaxe zu untersuchen und die Weiterentwicklung des Projekts zu betreuen. Der Abschluss der Evaluation ist noch nicht absehbar. • Untersuchung zum Transport von Gefangenen Die Entwicklung des Transportaufkommens in der JVA Gera wurde im Jahr 2013 vom KD untersucht. Darüber hinaus wurden Interviews mit Transportgefangenen durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass zumindest für die Krisenintervention ein behandlerischer Bedarf besteht. Ein elektronischer Transportbogen zur Dokumentation relevanter Informationen ist auf Landesebene in der Probephase. Die Ergebnisse wurden publiziert in: Giebel, S. M.; Ritter, S.; Frank, J.: Transporthaft in Thüringen, Forum Strafvollzug Nr. 4, 2013. Zu 4.: Im Rahmen der Mitwirkung bei der Aus- und Fortbildung von Bediensteten in den Justizvollzugsanstalten werden Erkenntnisse aus der kriminologischen Forschung direkt in die Gestaltung des Fort- und Ausbildungsprogramms aufgenommen. Sie finden sowohl im Unterricht als auch im Lehrplan (z. B. im Bereich von Soziologie und Sozialkunde) Berücksichtigung. Im Fortbildungsprogramm wurden und werden vom KD u. a. folgende Veranstaltungen angeboten: - "Aufgaben der Vollzugsbediensteten im Rahmen der Nachgehenden Betreuung", - "Arbeitstagung Anstaltsseelsorger", - "Behandlung Sicherungsverwahrte", - "Fortbildung für die Bediensteten, hier: Gruppenarbeit für Behandlungsmotivation bei potentiellen Siche- rungsverwahrten", - "Übergangsmanagement", - "Betreuungsbedienstete", - "Arbeitstagung Bewährungs- und Sozialdienste" sowie - "Einführungsveranstaltungen zum elektronischen Vollzugsplan". Zu 5.: Der KD ist über die Bereiche Forschung und Entwicklung direkt in die tägliche Arbeit der Anstalten eingebunden . Die Genehmigung und Durchführung von Forschungsvorhaben erfolgen in enger Kooperation mit den Justizvollzugseinrichtungen. Die Entwicklung von Behandlungskonzepten, zum Beispiel zur Betreuung von Untergebrachten im Sinne des Thüringer Sicherungsverwahrungsvollzugsgesetzes oder bei der engen 5 Drucksache 6/548Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Kooperation mit der IT-Leitstelle Justizvollzug zur Erstellung von Datenbanken, erfolgt mit den Bediensteten vor Ort. Der KD steht darüber hinaus auch als Ansprechpartner für die Anstalten zur Verfügung, um die weitere Ausgestaltung des Behandlungsvollzugs zu unterstützen. Zu 6.: Bisher wurde keine Umfrage zur Bewertung der Arbeit des KD durchgeführt. Im Rahmen der ständigen Kommunikation mit den Anstaltsleitungen wird die Arbeit des KD positiv bewertet. Die Qualität des Vollzuges konnte durch die Arbeit des KD verbessert werden. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund der neuen gesetzlichen Anforderungen bedeutsam. Auch die vom KD durchgeführten Fortbildungsveranstaltungen und die durchgeführten Evaluationen führen zu einer Qualitätssteigerung des Strafvollzugs. Lauinger Minister