17.05.2018 Drucksache 6/5728Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 6. Juni 2018 Antisemitismus-Definition der Thüringer Polizei Die Kleine Anfrage 2888 vom 26. Februar 2018 hat folgenden Wortlaut: Laut einem Beitrag der Ostthüringer Zeitung vom 26. Januar 2018 kam es erneut zu "Schmierereien am Pörzbergtunnel in Rudolstadt". Unter anderem wurde "Juden Jena" gesprüht. Im Beitrag fragt die Zeitung "Gibt es einen antisemitischen Hintergrund?" und verweist dann auf den Sprecher der Landespolizeiinspektion Saalfeld, der davon ausgeht, "dass die Verursacher Fußballfans sind", demnach gäbe es bei "Juden Jena" einen "klaren Fußballbezug". Im Definitionssystem der Politisch motivierten Kriminalität des Bundeskriminalamts vom 8. Dezember 2016 heißt es "Antisemitisch ist der Teil der Hasskriminalität, der aus einer antijüdischen Haltung heraus begangen wird". Ich frage die Landesregierung: 1. Verwendet die Thüringer Polizei eine Antisemitismus-Definition und wenn ja, wie lautet diese und gilt diese einheitlich für alle Landespolizeiinspektionen? 2. Nach welchen Kriterien stuft die Thüringer Polizei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten als antisemitisch ein? 3. Wie viele "Schmierereien", die den Inhalt "Juden Jena" beinhalteten, wurden durch die Thüringer Polizei jeweils in den Jahren 2015, 2016 und 2017 festgestellt (bitte nach Datum, Ort und Landespolizeiinspektion aufschlüsseln)? 4. Welche der unter Frage 3 benannten "Schmierereien" wurden durch die Thüringer Polizei als Straftat erfasst? 5. Welche der unter Frage 3 benannten "Schmierereien" wurden durch die Thüringer Polizei als "antisemitisch " motiviert eingestuft? 6. In wie vielen Fällen wurden nach Kenntnissen der Landesregierung in den Jahren 2015, 2016 und 2017 die Worte "Juden Jena" als Rufe beziehungsweise Sprechchöre oder auf Plakaten in Thüringen festgestellt (bitte aufschlüsseln nach: Datum, Ort, Art Sprechchöre/Plakat, innerhalb eines Fussball-Stadions Ja/Nein)? 7. Wurde in dem in der Vorbemerkung genannten Fall die "Juden Jena"-"Schmiererei" am Pörzbergtunnel als "antisemitisch" eingestuft? Falls nein, warum nicht? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten König-Preuss (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/5728 8. Falls die Frage 7 mit Nein beantwortet wird: Teilt das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales die Einschätzung, dass "Juden Jena" nicht als antisemitisch einzustufen ist, wenn ja, wie begründet es diese Auffassung? 9. Falls die Frage 7 mit Ja beantwortet wird: Warum wurde der mutmaßliche antisemitische Hintergrund nicht gegenüber der Ostthüringer Zeitung im Januar 2018 dargestellt beziehungsweise folgte gegebenenfalls eine Neubewertung/Überprüfung des Delikts und plant das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales gegebenenfalls eine generelle Überprüfung/Neuordnung der bisherigen Regelung? Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 15. Mai 2018 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Maßgeblich für die Bewertung einer Straftat als "antisemitisch" ist das bundeseinheitliche Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität. Voraussetzung hierfür ist das Vorliegen einer politisch motivierten Straftat. "Der Politisch motivierten Kriminalität werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände1 der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie • den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten, • sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung beziehungsweise eines ihrer Wesensmerkmale , den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben, • durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, • gegen eine Person wegen ihrer/ihres zugeschriebenen oder tatsächlichen politischen Haltung, Einstellung und/oder Engagements, Nationalität, ethnischen Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, Weltanschauung, sozialen Status physischen und/oder psychischen Behinderung oder Beeinträchtigung, sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität oder äußeren Erscheinungsbildes, gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht beziehungsweise sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet. Darüber hinaus werden Tatbestände gemäß §§ 80 bis 83, 84 bis 86a, 87 bis 91, 94 bis 100a, 102 bis 104a, 105 bis 108e, 109 bis 109h, 129a, 129b, 234a oder 241a Strafgesetzbuch erfasst, weil sie Staatsschutzdelikte sind, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann."2 Ausgehend von den Umständen der Tat werden nach dem Definitionssystem PMK die Taten zunächst einem Themenfeld zugeordnet. Diesem werden weitere Unterthemen zugerechnet. Antisemitische Straftaten sind Teil der Hasskriminalität. "Hasskriminalität bezeichnet politisch motivierte Straftaten, wenn in Würdigung der Umstände der Tat3 und/ oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen eine Person, wegen ihrer/ ihres zugeschriebenen oder tatsächlichen - Nationalität, - ethnischen Zugehörigkeit, - Hautfarbe, - Religionszugehörigkeit, - sozialen Status, - physischer und/oder psychischer Behinderung oder Beeinträchtigung, - sexuellen Orientierung und/oder sexuellen Identität, - äußeren Erscheinungsbildes gerichtet sind und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht beziehungsweise sich in diesem Zusammenhang gegen eine Institution/Sache oder ein Objekt richtet."4 Als antisemitisch sind Straftaten einzustufen, wenn sie aus einer antijüdischen Haltung heraus begangen werden. 3 Drucksache 6/5728Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Gemäß den einschlägigen Richtlinien des Bundeskriminalamtes, welche auch für die Thüringer Polizei uneingeschränkt Gültigkeit haben, melden die Staatsschutzdienststellen dem Landeskriminalamt alle politisch motivierten Straftaten. Diese werden vom Landeskriminalamt geprüft und gemäß Definitionssystem PMK (Politisch motivierte Kriminalität) bewertet. Zu 2: Auf die Beantwortung der Frage 1 wird verwiesen. Zu 3.: Die Frage nach "Schmierereien" wurde bei der Beantwortung weiter ausgelegt und Sachverhalte einbezogen , bei denen Aufkleber mit dieser Wortgruppe verwandt wurden. Im Ergebnis wurden acht Sachverhalte im Sinne der Frage festgestellt; die Details sind in der nachfolgenden Tabelle dargestellt. Lfd. Nr. Datum Ort Landespolizeiinspektion Zusatzinformation 1 06.03.2015 Nesse-Apfelstädt Gotha Gemeinschädliche Sachbeschädigung durch fußballszenetypischen Graffiti, Schriftzug "Juden Jena" auf Fassade aufgebracht 2 10.05.2015 Jena Jena Schriftzüge: "Juden Jena + T.u.H. d. FCC, Mfg KEF" und ein Hakenkreuz mittels Kugelschreiber an Infosäule des Jenaer Westbahnhofs aufgebracht auf Schaukasten mit dem gleichen Kugelschreiber der Schriftzug: "HORDAS jagen und zerschlagen" festgestellt 3 08.10.2016 Weimar Jena BS äußerte im alkoholisierten Zustand "Juden Jena", "Judenpack" 4 22.03.2017 Ilmtal/ Hammersfeld Gotha Graffiti an der Wand einer Stallung "FCRWE", "I‘ Hools EF" und "Juden Jena" gesprüht 5 16.05.2017 Großenehrich /Feldengel Nordhausen Graffiti an Feldschuppen mit Schriftzug "FC RWE", "Hóoli EF" gesprüht; auf Wassertank Schriftzug "Juden Jena" aufgebracht 6 07.07.2017 Leinatal/ Schönau v. d. Walde Gotha Auf der Sprungfläche des Trampolins wurde ein Hakenkreuz mittels Edding geschmiert, auf einer Hinweistafel zur Benutzung des Trampolins wurde ein Hakenkreuz, eine SS Rune und Schriftzug "Juden Jena" geschmiert 7 21.09.2017 A4 Richtung Dresden, PP "Rodablick" API Aufkleber "Juden Jena" - Emblem des FC Carl Zeiss Jena mit Judenstern an Leitplanke des PP festgestellt 8 12.10.2017 Waltershausen Gotha Mehrere Aufkleber "Jude Jena" im Stadtgebiet Waltershausen an Straßenlaternen angebracht (Owi - wildes Plakatieren) Zu 4.: Die unter den Nummern 1 bis 7 dargestellten Sachverhalte wurden als Straftat erfasst. Zu 5.: Von den in der Antwort zu Frage 3 aufgeführten Straftaten wurden drei Delikte (Nummern 2, 3, 6) als "politisch motiviert" und davon wiederum eins (Nummer 3) als antisemitisch eingestuft. Zu 6.: Lfd. Nr. Datum Ort Landespolizeiinspektion Zusatzinformation 1 11.12.2016 Jena Stadion Jena "Juden Jena" aus Block 0 in Richtung Heimfan-Bereich gerufen 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/5728 Zu 7.: Nein, weil die Voraussetzungen nicht vorlagen. Im Übrigen wird auf die Beantwortung der Frage 8 verwiesen. Zu 8.: Die Landesregierung lehnt jede Form von Antisemitismus entschieden ab. Antisemitismus wird im Freistaat Thüringen nicht geduldet und entsprechende Straftaten mit allen repressiven Mitteln des Rechtsstaats verfolgt . Zugleich setzt die Landesregierung mit präventiven Strategien darauf, antisemitischen Entwicklungen bereits frühzeitig vorzubeugen. Die im hier vorliegenden konkreten Einzelfall verwendete Parole "Juden Jena" im Rahmen eines Fußballspiels , bei der es sich um eine allgemeinpolitische Äußerung handelt, bezieht sich nicht auf eine konkret abgrenzbare Gruppe. Nach der im Zusammenwirken mit den Leitenden Oberstaatsanwälten erarbeiteten Rechtsauffassung der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft erfüllt die Parole "Juden Jena" für sich keinen Straftatbestand, insbesondere nicht den Tatbestand der Volksverhetzung gemäß § 130 Strafgesetzbuch, wenn auch im allgemeinen Sprachgebrauch sehr wohl eine Herabsetzung des Gegenübers impliziert sein kann. Das Grundgesetz sieht einen sehr weiten Schutzbereich für das Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach Artikel 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz vor. Immer dann, wenn andere (nicht strafbare) Deutungsmöglichkeiten nicht ausgeschlossen werden können, ist der Tatbestand der Volksverhetzung nicht erfüllt. In diesem Zusammenhang wird auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 6. September 2000 - 1 BvR 1056/95 - Rn. 43 f.) verwiesen. Zu 9.: entfällt Maier Minister Endnote: 1 Bei der Würdigung der Umstände der Tat ist neben anderen Aspekten auch die Sicht der/des Betroffenen mit einzubeziehen . 2 BKA, Kommission Staatsschutz, Definitionssystem Politisch motivierte Kriminalität, Stand: 29.11.17, Gültig: seit 01.01.18, S. 5 3 Erläuterung siehe Fußnote 1 4 a. a. O., S. 8 Antisemitismus-Definition der Thüringer Polizei Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Endnote: