23.05.2018 Drucksache 6/5749Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 7. Juni 2018 Thüringer Fachkräftegewinnung für die Altenpflege aus dem Ausland - Entwicklung und Bedarf Die Kleine Anfrage 2975 vom 6. April 2018 hat folgenden Wortlaut: Amtliche Statistiken und diverse Medien machen deutlich, dass der steigende Pflegebedarf einerseits und der Fachkräftemangel in der Pflege andererseits auch in Thüringen zu gravierenden Engpässen in der Pflege führen werden. Aktuell sind mehr als 94.000 Thüringer pflegebedürftig und etwa 27.000 dieser Personen leben in Pflegeeinrichtungen. Mit der demografisch bedingten zunehmenden Zahl der Menschen mit Pflegebedarf in den nächsten Jahren geht ein steigender Bedarf an professioneller Pflege und Unterstützung im Alltag einher. In Thüringen mussten bereits erste Einrichtungen einen Aufnahmestopp erlassen, da sie die geforderte Fachkraftquote unterschritten. Die Fachkräftegewinnung aus dem Ausland stellt eine Möglichkeit dar, um den bestehenden Fachkräftemangel nachhaltig abzubauen. Hier gibt es jedoch laut Berichten von Betroffenen Klagen über zu hohe Hürden und zu langwierige und zeitaufwändige Verfahren beim Landesverwaltungsamt im Zusammenhang mit der beruflichen Anerkennung. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie haben sich die Anzahl und der tatsächliche Bedarf an Fachpersonal in der Thüringer Altenpflege in den letzten zehn Jahren entwickelt und wie schätzt die Landesregierung die zukünftige Entwicklung der Anzahl von Altenpflegekräften ein? 2. Wie ist der derzeitige tatsächliche Bedarf an Fachpersonal in der Thüringer Altenpflege und wie viele Bewerber stehen diesem gegenüber? 3. Welche pflegefachlichen Gründe sieht die Landesregierung für die starre Beibehaltung der - seit Jahrzehnten unverändert bestehenden - Fachkraftquote von 50 Prozent und möchte sie flexiblere Regelungen , wie sie in anderen Bundesländern bestehen, auch in Thüringen einführen? Falls nein, aus welchen Gründen nicht? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Thamm (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/5749 Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 22. Mai 2018 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Laut Thüringer Landesamt für Statistik waren zum Stand 15. Dezember 2015 insgesamt 30.108 Beschäftigte in stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen tätig. In der nachfolgenden Grafik wird die Entwicklung des gesamten Pflegepersonals in der Altenpflege in Thüringen von 1999 bis 2015 dargestellt. Die Aussagen beziehen sich auf Angaben des Thüringer Landesamtes für Statistik. Eine professionelle Pflege, die am Grundsatz der Pflegequalität ausgerichtet ist, kann nur mit gut ausgebildeten Fachkräften gelingen. Der Bedarf an solchen Fachkräften wird in den kommenden Jahren deutlich zunehmen. Zur Ermittlung des Bedarfs an Fachkräften wurde vom Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit , Frauen und Familie die Studie "Berechnung des Bedarfs an Altenpflegefachkräften in Thüringen in Perspektive 2030" in Auftrag gegeben. Laut dieser Studie, welche Anfang 2014 veröffentlicht wurde, werden in Thüringen im Jahr 2030 annähernd 8.000 zusätzliche Fachkräfte gegenüber dem Basisjahr 2012 benötigt. Die nachfolgenden Grafiken stellen (A) die Entwicklung des Bedarfs an Altenpflegefachkräften in Thüringen zwischen 2012 und 2030 und (B) die Entwicklung des Angebotes an Nachwuchskräften - Entwicklung der Schülerzahlen in der Altenpflege in Thüringen dar. (A) Quelle: Studie zur Berechnung des Bedarfs an Altenpflegefachkräften in Thüringen in Perspektive 2030, Abb. 9, S. 28 3 Drucksache 6/5749Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode (B) Quelle: Studie zur Berechnung des Bedarfs an Altenpflegefachkräften in Thüringen in Perspektive 2030, Abb. 10, S. 36 Die im März 2018 veröffentlichte Fachkräfte-Studie "Willkommen in Thüringen - Fachkräftebedarf bis 2030 und Strategien zur Fachkräftegewinnung" enthält Prognosen zum zukünftigen Fachkräftebedarf in Thüringen nach Wirtschaftsabteilungen beziehungsweise Berufssegmenten. Sie enthält jedoch keine Vorausberechnungen für einzelne Berufsgruppen oder Wirtschaftszweige auf Drei- oder Viersteller-Ebene, dass heißt für den Wirtschaftszweig der Alten- und Pflegeheime beziehungsweise für Berufe in der Altenpflege. Eine Abschätzung des Bedarfs mithilfe der Prognose auf Basis der Wirtschaftsabteilungen ist für den Bereich Gesundheits- und Sozialwesen möglich. Bis zum Jahr 2030 wird in diesem Bereich ein Arbeitskräftebedarf von 80.400 Beschäftigten in Thüringen prognostiziert. Insgesamt 38.400 dieser benötigten Arbeitskräfte werden durch Renteneintritte von derzeit beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern benötigt (Ersatzbedarf). Darüber hinaus entsteht aufgrund wachsender Bedarfe im Gesundheits- und Sozialwesen ein Erweiterungsbedarf von 42.000 Fach- und Arbeitskräften. Für eine Betrachtung nach Berufssegmenten kann die Prognose für medizinische und nichtmedizinische Gesundheitsberufe herangezogen werden. Bis zum Jahr 2030 wird für Thüringen ein Arbeitskräftebedarf von 43.500 Beschäftigten prognostiziert. Davon entfallen 23.500 Beschäftigte auf den mit Verrentungen einhergehenden Ersatzbedarf und 20.000 Beschäftigte auf den durch höhere Bedarfe hervorgerufenen Erweiterungsbedarf . Zu 2.: Zu Teil 1 der Frage wird auf die Antwort zu Frage 1 verwiesen. Die nachfolgenden Aussagen beziehen sich auf Angaben der Bundesagentur für Arbeit. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit wies im März 2018 in Thüringen insgesamt 804 arbeitslose Personen aus, die in die Berufsgruppe "Altenpflege" eingeordnet wurden. Von diesen waren 750 Personen anund ungelernte Helfer, 51 waren Fachkräfte und drei waren Experten. Die Zahl der Arbeitsuchenden in der Berufsgruppe "Altenpflege" lag im selben Zeitraum bei 1.742 Personen . Diese Gruppe umfasst sowohl arbeitslose Arbeitsuchende als auch erwerbstätige Arbeitsuchende. Auch in der Gruppe der Arbeitsuchenden war die überwiegende Zahl (1.591 Personen) als an- und ungelernte Helfer klassifiziert. 146 arbeitsuchende Personen waren Fachkräfte und fünf Personen wurden ihrer Ausbildung nach als Experten eingestuft. Dem gegenüber standen 830 gemeldete und zu besetzende Arbeitsstellen. Von diesen waren 300 für Helfer ausgeschrieben, weitere 526 sollten mit Fachkräften besetzt werden und vier hatten ein Stellenprofil für Experten. Als potenzielle Bewerber könnten die Schülerinnen und Schüler des 3. Ausbildungsjahres (Jahrgangsstufe [Jhrgst.]) in der Altenpflege gesehen werden. Es kann jedoch nicht als sicher angesehen werden, dass sich die Schülerinnen und Schüler anschließend dazu entscheiden, in dem erlernten Beruf und in Thüringen zu arbeiten. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/5749 Schuljahr: 2017/2018 Geografie: Thüringen Schulträger: ∑ Schulformen: HBFS Beruf Fachrichtung Klassenstufe - ∑ 1. Jhrgst. 2. Jhrgst. 3. Jhrgst. 4. Jhrgst. Geschlecht Geschlecht Geschlecht Geschlecht Geschlecht + ∑ + ∑ + ∑ + ∑ + ∑ Altenpflege ohne Fach-richtung 1.761 640 600 492 29 Quelle: Schuljahresstatistik Schulen-Klassen-Schüler BBS ST+FT, Schuljahr 2017/2018, Stichtag 15. November 2017 Zu 3.: Nach der in Thüringen noch geltenden Heimpersonalverordnung (HeimPersV) auf der Grundlage des Heimgesetzes dürfen betreuende Tätigkeiten nur durch Fachkräfte oder unter angemessener Beteiligung von Fachkräften wahrgenommen werden. Hierbei muss jeder zweite Beschäftigte eine Fachkraft sein (§ 5 Abs. 1 Satz 2 HeimPersV). Hieraus ergibt sich eine Fachkraftquote von 50 vom Hundert als Mindestvorgabe für die Wahrnehmung betreuender Tätigkeiten bei Pflegebedürftigen. Gemäß § 6 HeimPersV gilt Folgendes: "Fachkräfte im Sinne dieser Verordnung müssen eine Berufsausbildung abgeschlossen haben, die Kenntnisse und Fähigkeiten zur selbständigen und eigenverantwortlichen Wahrnehmung der von ihnen ausgeübten Funktion und Tätigkeit vermittelt. Altenpflegehelferinnen und Altenpflegehelfer, Krankenpflegehelferinnen und Krankenpflegehelfer sowie vergleichbare Hilfskräfte sind keine Fachkräfte im Sinne der Verordnung." Gemäß § 5 Abs. 2 HeimPersV kann auf Antrag von den Anforderungen des Absatzes 1 (Fachkraftquote von 50 vom Hundert) mit Zustimmung der zuständigen Behörde (Thüringer Landesverwaltungsamt - TLVw A, Referat Heimaufsicht) abgewichen werden, wenn dies für eine fachgerechte Betreuung der Heimbewohner erforderlich oder ausreichend ist. Nach Information der Heimaufsicht wurde von dieser Möglichkeit in der Praxis bisher kaum Gebrauch gemacht. Nicht zuletzt auch aufgrund des Fachkräftemangels gibt es auf Trägerseite zum Teil Bestrebungen, die Fachkraftquote zu "flexibilisieren" (herabzusetzen) beziehungsweise auch hinsichtlich des Fachkraftbegriffs zu öffnen. Dies wird wie folgt bewertet: Bei der Fachkraftquote von 50 vom Hundert handelt es sich um eine Mindestanforderung, die grundsätzlich nicht unterschritten werden sollte. Betrachtet man die derzeitige Klientel in den Einrichtungen der stationären Langzeitpflege, so stellt man fest, dass die Anzahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland in den letzten Jahren stetig gestiegen ist und ein Heimeinzug in höherem Lebensalter, oftmals begleitet von Multimorbidität und immer häufiger mit der Diagnose Demenz, stattfindet. Daraus ergibt sich für die Pflegenden in den Einrichtungen der stationären Langzeitpflege ein massiver Anstieg des pflegerischen Aufwands mit zunehmender Arbeitsverdichtung und Arbeitsbelastung. Den immer komplexer werdenden Problemlagen der Bewohnerinnen und Bewohner mit der Herabsetzung oder Auflösung der Fachkraftquote zu begegnen, wäre nicht zu verantworten. Das würde zu einer Abschwächung des Qualifikationsniveaus von Pflegenden bei wachsender Pflegeintensität und steigendem Pflegebedarf seitens der Bewohnerinnen und Bewohner führen. Die Senkung der Fachkraftquote wäre eine Entqualifizierung von Pflegenden und würde zudem nicht dazu beitragen, junge Menschen für den Pflegeberuf mit dem Schwerpunkt der stationären Langzeitpflege zu motivieren. Außerdem würde sich die Arbeitsbelastung der dreijährig ausgebildeten Pflegefachkräfte in diesem Bereich zusätzlich verschärfen, weil immer mehr Pflegehilfskräfte immer weniger Pflegefachkräften für bestimmte anleitende und unterstützende Tätigkeiten zugeordnet werden müssten. Daher hält Thüringen an der Beibehaltung der Fachkraftquote von 50 vom Hundert fest. Werner Ministerin Thüringer Fachkräftegewinnung für die Altenpflege aus dem Ausland - Entwicklung und Bedarf Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: