01.06.2018 Drucksache 6/5787Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 15. Juni 2018 Schwangerschaftsabbruch - Informationen über ärztliche Leistungen und Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten in Thüringen Die Kleine Anfrage 2977 vom 10. April 2018 hat folgenden Wortlaut: Durch die Verurteilung einer Ärztin aufgrund des festgeschriebenen Werbeverbots im § 219a des Strafgesetzbuchs (StGB) erstarkte die Debatte um eine Streichung des Paragrafen in der Öffentlichkeit, in den Medien und in der Bundespolitik. Dabei spielt die Selbstbestimmung der Schwangeren sowie deren Informationsfreiheit bezüglich eines Schwangerschaftsabbruchs eine bedeutende Rolle. Das Recht auf und der Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen und die notwendigen Informationen dazu müssen auch in Thüringen wohnortnah und barrierefrei garantiert sein. Dafür muss auch eine Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten aufgrund des § 219a StGB zum Thema gemacht werden. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie erfüllt der Freistaat Thüringen seinen Sicherstellungsauftrag nach § 13 Schwangerschaftskonfliktgesetz ? 2. Wie viele und welche ärztlichen Praxen, Kliniken und Institutionen in Thüringen führen Schwangerschaftsabbrüche durch? 3. Wo und wie können sich Frauen in Thüringen über ärztliche Praxen, Kliniken und Institutionen sowie über verschiedene Methoden, Fristen, Kosten et cetera informieren? 4. Verfügen die anerkannten Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen über aktuelle Listen dieser ärztlichen Praxen, Kliniken und Institutionen in Thüringen? 5. Kennen alle Mitarbeiter der Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen gleichermaßen ihr Informationsrecht im Rahmen der Schwangerschaftskonfliktberatung und geben sie diese Informationen weiter? 6. Beabsichtigt die Landesregierung, auf der Internetseite des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie neben den Informationen über Beratungsstellen zur Schwangerschaftskonfliktberatung auch die Liste der ärztlichen Praxen, Kliniken und Institutionen zu veröffentlichen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, wie es in Hamburg die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz anbietet? 7. Wo sieht die Landesregierung die Grenzlinie zwischen Werbeverbot und sachlicher Information über die ärztliche Leistung Schwangerschaftsabbruch unter Beachtung von § 219 Abs. 1 und 2 StGB? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Stange (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/5787 8. Ist der Landesregierung bekannt, ob in Thüringen Ärztinnen und Ärzte, welche Schwangerschaftsabbrüche anbieten, Einschüchterung, Belästigung oder Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit erfahren haben? Wenn ja, in welchem Umfang und wo (bitte ab dem Jahr 2014 getrennt nach Jahren , Art des Vorfalls und Landkreisen oder kreisfreien Städten ausweisen)? 9. Ist der Landesregierung bekannt, ob in Thüringen Ärztinnen und Ärzte, welche Schwangerschaftsabbrüche anbieten, von Strafanzeigen aufgrund des Werbeverbots nach § 219a StGB betroffen sind? Wenn ja, wie viele Ärztinnen und Ärzte sind betroffen (bitte ab dem Jahr 2014 getrennt nach Jahren und Landkreisen oder kreisfreien Städten ausweisen)? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 31. Mai 2018 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Es kann davon ausgegangen werden, dass in Thüringen ein bedarfsgerechtes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen vorgehalten wird. Der Landesregierung wurden bisher zu keinem Zeitpunkt Beschwerden über eine nicht gewährleistete Versorgung von Seiten betroffener Frauen, der Thüringer Ärzteschaft und ihrer Standesvertretungen, sonstiger Interessensgruppen, Beratungseinrichtungen oder auch der Krankenkassen vorgetragen. Zu 2.: Der Landesregierung liegt keine (gesicherte/abschließende) Information darüber vor, wie viele Ärztinnen beziehungsweise Ärzte/Einrichtungen es gibt, die in Thüringen Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Sowohl die amtliche Statistik als auch die vom Land im Rahmen der Kostenerstattung nach § 22 des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (SchKG) geführte Abrechnungsstatistik enthalten keine validen Angaben zur Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche durchführenden gynäkologischen Praxen und zur Anzahl der Schwangerschaftsabbrüche durchführenden Krankenhäuser. Die in die Abrechnung einbezogene Kassenärztliche Vereinigung (KVT) kann nur für den ambulanten Bereich eine Aussage treffen. Danach haben zwischen 2012 und 2016 in Thüringen durchschnittlich 25 niedergelassene Gynäkologen Schwangerschaftsabbrüche abgerechnet. Engpässe in diesem Bereich gibt die KVT nicht an. Daraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass nicht auch andere/weitere Praxen solche Eingriffe durchführen. Es handelt sich lediglich um die Aussage, dass diese Praxen die Eingriffe durchgeführt haben. Zu 3.: Seitens der Landesregierung wird davon ausgegangen, dass die behandelnden Ärztinnen beziehungsweise Ärzte und die Beratungsstellen entsprechende Informationen an die Frauen geben. Zu 4.: Der Landesregierung ist nicht bekannt, inwiefern alle Thüringer Beratungsstellen aktuell über vollständige Listen der ärztlichen Praxen und Kliniken in Thüringen verfügen, bei denen ein Schwangerschaftsabbruch erfolgen kann. Zu 5.: Neben einer beruflichen Qualifizierung nach § 2 Abs. 1 der Thüringer Schwangerschaftskonfliktberatungsstellenverordnung (ThürSchKBVO) haben die geeigneten Beratungsfachkräfte nach § 2 Abs. 3 ThürSchKBVO eine Zusatzqualifizierung im Umfang von mindestens 150 Stunden nachzuweisen, um in der Schwangerschaftskonfliktberatung tätig sein zu können. Diese Zusatzqualifizierung wird bundesweit durch Fortbildungsträger der Freien Wohlfahrt angeboten und beinhaltet unter anderem Informationen zu den Schwerpunkten Grundlagen zur Gesprächsführung für Einzelgespräche und Paargespräche, zur Krisenintervention, zur Pränataldiagnostik, Adoption/Vertrauliche Geburt, zu Möglichkeiten des Schwangerschaftsabbruchs und damit gegebenenfalls verbundenen psychischen Belastungssituationen, Trauerbewältigung nach Fehlgeburt, Totgeburt oder Schwangerschaftsabbruch sowie weitere Informationen, die notwendig sind, um den Beratungsauftrag nach § 219 Strafgesetzbuch (StGB) in der erforderlichen Qualität zu erfüllen. Zu 6.: Es ist aktuell nicht beabsichtigt, auf der Internetseite des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit , Frauen und Familie neben den Informationen über Beratungsstellen zur Schwangerschaftskon- 3 Drucksache 6/5787Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode fliktberatung auch eine Liste der ärztlichen Praxen, Kliniken und Institutionen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, zu veröffentlichen. Zu 7.: Das Verbot der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft ist in § 219a StGB verankert. Nach § 219a StGB wird bestraft, "wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs (...) anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt." Nach der aktuellen Rechtsprechung umfasst der Anwendungsbereich des § 219a StGB auch die sachliche Information über einen straffreien Schwangerschaftsabbruch. Die Grenze zwischen zulässiger Information und rechtswidriger Werbung wird auch durch die einschlägigen Regelungen aus dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte gezogen. Nach § 3 UWG besteht aufgrund des Verbots unlauterer geschäftlicher Handlungen ein Schutz gegen Werbung, die gegen die Menschenwürde verstößt. Zudem untersagt § 27 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte berufswidrige Werbung. Darunter fällt insbesondere anpreisende, irreführende und vergleichende Werbung; sachliche berufsbezogene Informationen sind gestattet. Nach Auffassung der Landesregierung widerspricht die Sanktionierung des Anbietens von sachlichen Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen den heutigen Vorstellungen von Informationsfreiheit, Selbstbestimmung und freier Arztwahl. Zudem dürfen Ärztinnen und Ärzte nicht dafür kriminalisiert und sanktioniert werden, dass sie ihrer Aufklärungspflicht gegenüber Patientinnen nachkommen. Daher ist der Freistaat Thüringen gemeinsam mit den Ländern Berlin, Brandenburg, Hamburg und Bremen Mitantragsteller einer Bundesratsinitiative zur Abschaffung des § 219a StGB. Zu 8.: Der Landesregierung sind keine Fälle bekannt, in denen Thüringer Ärztinnen beziehungsweise Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche anbieten, Einschüchterung, Belästigung oder Gewalttätigkeiten im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit erfahren haben. Zu 9.: Hinsichtlich der Anzahl der Ermittlungsverfahren der Thüringer Staatsanwaltschaften wegen Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft (§ 219a StGB) wird auf die als Anlage beigefügte Übersicht verwiesen. Nach Landkreisen aufgeschlüsselte Angaben liegen der Landesregierung nicht vor. Werner Ministerin 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/5787 A nl ag e S tra fa nz ei ge n na ch § 2 19 a S tG B S ta nd : 1 6. 04 .2 01 8 S ta at sa nw al ts ch af t 20 14 20 15 20 16 20 17 20 18 Js -V er f. B es ch . Js -V er f. B es ch . Js -V er f. B es ch . Js -V er f. B es ch . Js -V er f. B es ch . E rfu rt 0 0 2 4 1 2 0 0 0 0 G er a 0 0 2 3 0 0 0 0 0 0 M ei ni ng en 0 0 0 0 0 0 1 1 0 0 M üh lh au se n 0 0 2 4 0 0 1 2 0 0 Th ür in ge n 0 0 6 11 1 2 2 3 0 0 Js -V er f. - E rm itt lu ng sv er fa hr en d er T hü rin ge r S ta at sa nw al ts ch af te n B es ch . - B es ch ul di gt e Schwangerschaftsabbruch - Informationen über ärztliche Leistungen und Kriminalisierung von Ärztinnen und Ärzten in Thüringen Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Anlage