16.07.2018 Drucksache 6/5963Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 30. Juli 2018 Anwendung des gesetzlichen Mindestlohns in Thüringen Die Kleine Anfrage 3073 vom 24. Mai 2018 hat folgenden Wortlaut: Seit dem 1. Januar 2015 gilt in Deutschland der allgemeine gesetzliche Mindestlohn. Laut einer Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung erhielten im Jahre 2016 2,2 Millionen Menschen weniger als den gesetzlichen Mindestlohn. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Beschäftigte waren in Thüringen in den Jahren 2016 und 2017 auf den gesetzlichen Mindestlohn angewiesen? 2. Hat die Landesregierung davon Kenntnis, ob und in welchem Umfang Anspruchsberechtigte keinen gesetzlichen Mindestlohn erhielten? 3. In welchen Sektoren war das Umgehen des gesetzlichen Mindestlohns besonders verbreitet? 4. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über die Anzahl der Kontrollen zur Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns in Thüringen durch den Zoll vor und wenn ja, wie viele Kontrollen hat der Zoll in den Jahren 2016 und 2017 zur Einhaltung des gesetzlichen Mindestlohns in Thüringen durchgeführt? 5. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über den prozentualen Anteil von Verstößen in Thüringen vor und wenn ja, wie hoch war er in den Jahren 2016 und 2017? 6. Liegen der Landesregierung Erkenntnisse über die Inhalte der Verstöße in Thüringen vor und wenn ja, was waren inhaltlich die wesentlichsten Verstöße? 7. Welche Maßnahmen ergreift die Landesregierung, um Verstößen gegen das Mindestlohngesetz entgegenzuwirken ? 8. Wie bewertet die Landesregierung die ökonomischen Ergebnisse zu drei Jahren gesetzlichem Mindestlohn in Thüringen? 9. Inwiefern hat der gesetzliche Mindestlohn sich auf die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung und das Lohnniveau ausgewirkt? 10. In welchen Branchen hat der Mindestlohn besondere Veränderungen erzielt? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Leukefeld (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/5963 11. Wie hoch müsste aus Sicht der Landesregierung der gesetzliche Mindestlohn sein, damit er sowohl aktuell als auch im Rentenalter existenzsichernd ist? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 12. Juli 2018 wie folgt beantwortet: Einführend wird darauf hingewiesen, dass der gesetzliche Mindestlohn nur für die Branchen (zum Beispiel Friseur- und Bäckerhandwerk, Hotel- und Gaststättengewerbe) ohne tarifvertraglich vereinbarte Mindestlöhne gilt (Mindestlohnbranchen). Aktuell sind für Thüringen 13 Branchenmindestlöhne, die über dem gesetzlichen Mindestlohn liegen, unter anderem für das Baugewerbe, das Gebäudereiniger- und Elektrohandwerk , für die Pflege und Zeitarbeit allgemeinverbindlich vereinbart. Bei der Interpretation der Ergebnisse muss beachtet werden, dass die Anzahl der Stellen nicht mit der Anzahl der Beschäftigten gleichgesetzt wird, da eine Person mehrere Arbeitsverhältnisse gleichzeitig haben kann (zum Beispiel eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung und eine geringfügige Beschäftigung). Die statistischen Auswertungen stellen überwiegend auf die Branchenmindestlöhne ab. Sofern Zahlen für Thüringen ausschließlich zum gesetzlichen Mindestlohn zur Verfügung stehen, wird in den Antworten darauf verwiesen, ansonsten handelt es sich um den Branchenmindestlohn. Zu 1.: Zum Stichtag 31. Dezember 2016 wurden in Thüringen 101.667 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in Mindestlohnbranchen geführt. Davon erhielten 68.822 den gesetzlichen Mindestlohn (Quelle: Beschäftigungsstatistik der BA Stand Mai 2018). Für 2017 liegen diese Angaben noch nicht vor. Zu 2.: Die Landesregierung hat hierzu keine Kenntnis, da die Arbeitsstatistik der Finanzkontrolle Schwarzarbeit der Zollverwaltung (FKS) diese Auswertungen nicht vorsieht. Im Übrigen wird auf die Antworten zu den Fragen 4 und 5 verwiesen. Zu 3.: Die meisten Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen des Verdachts der Nichtzahlung des gesetzlichen Mindestlohns wurden 2017 in Thüringen im Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe (35) und im Speditions-, Transport- und damit verbundenen Logistikgewerbe (17) eingeleitet. Zu 4.: Im Jahr 2017 wurden in Thüringen insgesamt 2.255 (2016: 1.849) Arbeitgeber von der FKS geprüft. Die Prüfungen der FKS umfassen bei jedem Arbeitgeber alle in Betracht kommenden Prüfaufträge. Die FKS verfolgt dabei einen ganzheitlichen Prüfansatz, dass heißt, jede Prüfung der FKS beinhaltet grundsätzlich auch eine Mindestlohnprüfung. In der nachfolgenden Tabelle sind nach Jahren die Branchen aufgeführt, bei denen die FKS Arbeitgeberprüfungen in Thüringen durchgeführt hat: Branche 2016 2017 Baugewerbe 708 555 Abfallwirtschaft 17 5 Hotel- und Gaststättengewerbe 229 347 Pflege 8 29 Reinigungsgewerbe 27 67 Landwirtschaft 8 18 Forstwirtschaft 6 2 Transport- und Logistikgewerbe 218 316 Personenbeförderungsgewerbe 41 16 Sonstige 587 900 (Bundestagsdrucksache 19/2101) 3 Drucksache 6/5963Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 5.: Im Jahr 2017 hat die FKS in Thüringen insgesamt 675 Ordnungswidrigkeitenverfahren (2016: 711) eingeleitet , davon 110 (2016: 78) wegen des Verdachts der Nichtzahlung des gesetzlichen Mindestlohns (§ 21 Abs. 1 Nr. 9 Mindestlohngesetz) eingeleitet. (Bundestagsdrucksache 19/2101) Das entspricht einem prozentualen Anteil von rund 16 Prozent (2017) beziehungsweise elf Prozent (2016). Zu 6.: Die von der FKS in Thüringen geführten Ermittlungsverfahren (Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren) haben im Wesentlichen Sozialbeitragsbetrug, Sozialleistungsmissbrauch und die Nichteinhaltung des gesetzlichen Mindestlohns sowie von Branchenmindestlöhnen zum Inhalt. Zu 7.: Grundsätzlich sind für das Mindestlohngesetz das Bundesministerium für Arbeit und Soziales und für die Kontrollen die Behörden der Zollverwaltung (FKS) zuständig. Die Instrumente für eine effiziente Umsetzung und Kontrolle müssen gestärkt werden. Dazu gehören eine bessere Kooperation der verschiedenen Kontrollbehörden und eine Stärkung der Rolle von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Die Landesregierung kann dazu lediglich Empfehlungen aussprechen und in den diversen Arbeitskreisen das Thema Mindestlohn immer wieder ansprechen. Zu 8.: Die Thüringer Wirtschaft entwickelt sich seit längerer Zeit positiv. So stieg die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Thüringen in den vergangenen Jahren kontinuierlich an. Auch die Arbeitslosigkeit verringerte sich merklich und liegt inzwischen auf dem niedrigsten Niveau seit der Wiedervereinigung. Die durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste sozialversicherungspflichtig beschäftigter Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (Vollzeit) wuchsen seit 2014 überdies stärker als das Bruttoinlandsprodukt des Freistaats. Eine abschließende Bewertung der wirtschaftlichen Folgen des gesetzlichen Mindestlohns ist jedoch auch dreieinhalb Jahre nach seiner Einführung noch nicht möglich. Derzeit liefern die Daten über die wirtschaftliche Entwicklung keine Anzeichen dafür, dass die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns spürbar negative Auswirkungen auf die Wirtschafts- und Beschäftigungssituation in Thüringen gehabt hätte. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB) bei der Betrachtung der wirtschaftlichen Entwicklung auf Bundesebene. In ihrer jüngsten Stellungnahme zu den Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns bemerken die Forscher, dass der "Aufwuchs an Beschäftigung doch zumindest [zeigt], dass der allgemeine gesetzliche Mindestlohn einer weiteren positiven Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nicht entgegenstand" (IAB Stellungnahme 01/2018). Zu 9.: Zum Stichtag 30. Juni 2014 gab es in Thüringen 782.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse . Zwischen Juni 2014 und Juni 2015 stieg diese Zahl um knapp 4.000 auf 786.000. Im Jahr 2017 waren 802.000 Personen in Thüringen sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Der durchschnittliche Bruttomonatsverdienst von in Vollzeit sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ohne Sonderzahlungen) lag bei 2.734 Euro im Jahr 2014. Im Jahr darauf stieg er auf 2.856 Euro. Zuletzt lag er bei 2.982 Euro im Jahr 2017. Nach Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015 kam es somit nicht zu einem Rückgang der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung. Gleichzeitig stiegen die durchschnittlichen Bruttomonatsverdienste zwischen 2014 und 2015. Auch in den nachfolgenden Jahren entwickelten sich sowohl die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung als auch die Durchschnittsverdienste weiter positiv. Ein Teil der Lohnsteigerungen zwischen 2014 und 2015 ist auf gestiegene Entgelte im unteren Bereich des Lohnniveaus zurückzuführen. Das genaue Ausmaß der Auswirkungen des gesetzlichen Mindestlohns auf die Lohn- und Beschäftigungsentwicklung kann jedoch nicht eindeutig beziffert werden. Insbesondere ist es nicht möglich, die tatsächliche Entwicklung mit einem kontrafaktischen Szenario zu vergleichen, in dem kein Mindestlohn eingeführt worden wäre. Dies wäre jedoch notwendig, um positive beziehungsweise negative Auswirkungen des Mindestlohns auf Beschäftigung und Entlohnung von anderen Einflüssen zu isolieren. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/5963 Zu 10.: Daten zum 31. Dezember 2017 liegen nicht vor, so dass zur Verdeutlichung der Veränderungen in ausgewählten Branchen die Entgelte zum Stichtag 31. Dezember 2014 (vor Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015) mit den Werten zum Stichtag 31. Dezember 2016 gegenübergestellt werden. Danach ergibt sich bei den Taxibetrieben nach der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns eine Veränderung um 339 Euro pro Monat (+ 25 Prozent). Mit mehr als 200 Euro pro Monat (+18 Prozent) folgen Friseur - und Kosmetiksalons sowie die Gastronomie. Weitere Branchen können der folgenden Tabelle entnommen werden. Branche Stichtag 31.12.2014 Stichtag 31.12.2016 Veränderung in Euro Prozent Taxibetriebe 1.340 1.679 339 25,30 Friseur- und Kosmetiksalons 1.161 1.378 217 18,69 Gastronomie 1.323 1.565 242 18,29 Beherbergung 1.476 1.647 171 11,59 Wach- und Sicherheitsgewerbe 1.680 1.836 156 9,29 Garten- und Landschaftsbau 1.746 1.883 137 7,85 Call-Center 1.710 1.838 128 7,49 Fleischverarbeitung 1.627 1.725 98 6,02 Back- und Teigwaren 1.633 1.705 72 4,41 (Quelle: Beschäftigungsstatistik der BA, Datenstand Mai 2018) Von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns profitierte die Taxibranche mit einer Veränderung des Medianlohns zwischen 2014 und 2016 von 25,3 Prozent besonders, gefolgt von den Beschäftigten in Frisör - und Kosmetiksalons (+ 18,69 Prozent) und Gastronomie (+ 18,69 Prozent). Zu 11.: Das Mindestlohngesetz ist ein Bundesgesetz. Thüringen kann zur Höhe des gesetzlichen Mindestlohns lediglich eine Empfehlung aussprechen. Gemäß dem Mindestlohngesetz beruft die Bundesregierung alle fünf Jahre die ständige Mindestlohnkommission ein, die alle zwei Jahre über die Anpassung des gesetzlichen Mindestlohns befindet. Die Berechnung eines Rentenniveaus oberhalb der Grundsicherung erfordert eine Reihe von Prämissen beispielsweise zur Wochenarbeitszeit und zum Renteneintritt. Nach Berechnungen der Bundesregierung beispielsweise müssten Beschäftigte, um nach 45 Beitragsjahren eine Rente oberhalb des Niveaus der Grundsicherung im Alter (814 Euro; Stand Dezember 2017) zu erhalten, mindestens 12,63 Euro pro Stunde verdienen (Bundestagsdrucksache 19/2083; Antwort der Parlamentarischen Staatssekretärin Anette Kramme vom 7. Mai 2018). Um nach einem Erwerbsleben von 45 Jahren eine Rente in Höhe des Existenzminimums von 750 Euro zu erhalten, müssten derzeit jährlich 0,543 Entgeltpunkte erworben werden. Dies setzt ein Jahreseinkommen von 20.565 Euro voraus, was einem Vollzeitstundenlohn von 9,85 Euro entspricht. Eine Betrachtung des Statistischen Bundesamtes kommt indes zu dem Ergebnis, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland im Schnitt 36,8 Jahre am Erwerbsleben teilnehmen. Dies vorausgesetzt, müssten für eine Rente in Höhe des Existenzminimums von 750 Euro derzeit jährlich 0,664 Entgeltpunkte erworben werden. Somit wäre ein Jahreseinkommen von mindestens 25.147,67 Euro beziehungsweise 12,04 Euro pro Stunde erforderlich, um bei einer 40-Stunden-Woche und nach 36,8 vollen Erwerbsjahren einen Rentenanspruch in Höhe des Existenzminimums zu sichern. In Vertretung Feierabend Staatssekretärin Anwendung des gesetzlichen Mindestlohns in Thüringen Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: Zu 11.: