17.12.2014 Drucksache 6/60Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 7. Januar 2015 Mediation in Thüringen - Güterichterinnen, Güterichter und Täter-Opfer-Ausgleich Die Kleine Anfrage 30 vom 30. Oktober 2014 hat folgenden Wortlaut: Mit dem Thüringer "Projekt Güterichter" wurde, beginnend in 2009, ein dreijähriges Modellprojekt mit weitestgehend positiver Beurteilung aller Beteiligten durchgeführt. Damals wurden 38 Richterinnen und Richter an Amts-, Arbeits- und Landesgerichten in mehrtägigen Fortbildungen zu Güterichterinnen und -richtern qualifiziert. Im Thüringer Justizministerium habe sich zudem im Januar 2011 ein "Thüringer Beirat für alternative Konfliktlösungen" etabliert. Die vorgenommene Evaluation durch Prof. Dr. Reinhard Greger und Prof. Dr. Hannes Unberath kommt deshalb in ihrem Abschlussbericht zu der Empfehlung, dieses Modell "fortzuführen und mit dem Ziel einer stärkeren Anwendung auszubauen".1 Dennoch verweist der Internetauftritt des Thüringer Justizministeriums noch immer auf 38 Güterichterinnen und -richter.2 Neben dem Modell "Güterichter" gibt es aus anderen Bundesländern, wie etwa Baden-Württemberg, positive Erfahrungen mit gerichtsexterner Mediation, insbesondere auch im Bereich des Täter-Opfer-Ausgleichs in Strafsachen. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie werden derzeit die vorhandenen Güterichterinnen und -richter in der prozessualen Praxis eingesetzt? 2. Wie ist es zu bewerten, dass Mediation von einem möglichst weiten Gestaltungsrahmen des Ergebnisses ausgeht, Richterinnen und Richter aber in ihrer Tätigkeit an Recht und Gesetz gebunden sind? 3. Welche Schlussfolgerungen wurden aus der Evaluation des Modellprojekts für Thüringen gezogen und in der Folge umgesetzt? 4. Welche Anstrengungen wurden seitens des zuständigen Ministeriums unternommen, um das Modell "Güterichter", wie im Abschlussbericht gefordert, weiter auszubauen? 5. Wie wurden die in Thüringen tätigen Güterichterinnen und -richter fortlaufend qualifiziert beziehungsweise ihre Tätigkeit evaluiert? 6. Wie plant die Landesregierung Güterichterinnen und -richter oder Formen gerichtsexterner Mediation (u.a. Täter-Opfer-Ausgleich) in Zukunft zu unterstützen? 7. Wie hat sich die Zahl der an die Güterichter überwiesenen Fälle in den Jahren 2009 bis 2013 entwickelt (bitte nach Jahresscheiben und Gerichten aufschlüsseln)? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Berninger (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/60 8. Sofern sich aus den Angaben zu Frage 7 ein Rückgang feststellen lässt, wie erklärt sich und beurteilt die Landesregierung diese Entwicklung; welche Gegenmaßnahmen hat sie gegebenenfalls eingeleitet oder plant sie? 9. Wie oft hat sich der "Thüringer Beirat für alternative Konfliktlösungen" seit seiner Gründung getroffen und welche Tätigkeiten hat er inzwischen entfaltet? 10. Wer sind die derzeitigen Mitglieder des Beirats? 11. Wie beurteilt die Landesregierung Formen gerichtsexterner Mediation im Bereich des Täter-OpferAusgleichs ? 12. Welche Erfahrungen mit gerichtsexterner Mediation gibt es nach Kenntnis der Landesregierung in Thüringen ? 13. Wie beurteilt die Landesregierung die Möglichkeiten gerichtsexterner Mediation als Ergänzung zu den existierenden Güterichterinnen und -richtern in Thüringen? 14. Wie hat sich nach Kenntnis der Landesregierung die Situation bei der gerichtsexternen, vorprozessualen und prozessbegleitenden Mediation entwickelt, insbesondere mit Blick auf die Fallzahlen bei Rechtsanwältinnen und -anwälten und die unterschiedlichen Rechtsgebiete? Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 16. Dezember 2014 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Das Gesetz verankert in § 278 Abs. 5 Zivilprozessordnung die Möglichkeit, die Beteiligten eines gerichtlichen Verfahrens für einen gütlichen Einigungsversuch vor einen hierfür bestimmten und nicht entscheidungsbefugten Richter (Güterichter) zu verweisen. Die Regelung wurde gleichermaßen in § 36 Abs. 5 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und in § 54 Abs. 6 Arbeitsgerichtsgesetz eingefügt und die Anwendbarkeit durch eine entsprechende Aufnahme in § 202 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz, § 173 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung und § 155 Satz 1 Finanzgerichtsordnung sichergestellt. Das Güterichtermodell wurde damit in alle Verfahrensordnungen mit Ausnahme der Strafprozessordnung übernommen. Die Präsidien der Gerichte sind verpflichtet, die Verweisung an einen Güterichter durch eine Regelung im Geschäftsverteilungsplan zu ermöglichen. Die Entscheidung verbleibt allerdings bei den Präsidien der Gerichte im Rahmen der richterlichen Geschäftsverteilung. Die Umsetzung ist in den einzelnen Gerichtsbarkeiten dementsprechend unterschiedlich erfolgt. In der Arbeitsgerichtsbarkeit fungieren die Güterichter des Landesarbeitsgerichts neben der Zuständigkeit für das eigene Gericht auch als Güterichter der Arbeitsgerichte. In der Sozialgerichtsbarkeit wurden für alle Sozialgerichte und das Landessozialgericht eigene Güterichter ausgebildet, die jeweils für das eigene Gericht zuständig sind. In der Verwaltungsgerichtsbarkeit sind die Güterichter jeweils für das eigene Gericht zuständig. Das Finanzgericht hat Güterichter für den eigenen Bereich. In der ordentlichen Gerichtsbarkeit wurden unterschiedliche Regelungen getroffen. Teilweise kooperieren Gerichte, die keinen eigenen Güterichter bestimmt haben, mit Gerichten mit eigenen Güterichtern. Teilweise sind Güterichter nur für den eigenen Bereich tätig. Die konkrete Regelung ist von der jeweils gültigen richterlichen Geschäftsverteilung abhängig. Zu 2.: Im Güterichterverfahren löst sich das adversatorische Zweiparteiensystem des Prozesses auf. Die Parteien verfolgen das gemeinsame Ziel, eine konsensuale Lösung zu finden. Auch nicht am Prozess beteiligte Personen können eingebunden werden. Richter und Prozessbevollmächtigte nehmen im Güterichterverfahren eine andere Rolle ein. Der Güterichter ist Richter, aber nicht Entscheider. Die Rechtsanwälte stehen ihrer Partei beratend zur Seite. Die Parteien erarbeiten ihre Lösung innerhalb unserer geltenden Rechtsordnung selbst. Zu 3.: Im Thüringer Modellprojekt wurde von Anfang an darauf gesetzt, dass der Güterichter nicht auf eine bestimmte Methode der Konfliktlösung festgelegt ist. Anders als ein auf vertraglicher Grundlage tätig werdender Mediator schuldet er den Parteien nicht ein nach den anerkannten Grundsätzen der Mediation geführtes 3 Drucksache 6/60Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Verfahren. Sein Tätigwerden beruht auf dem Ersuchen des Prozessgerichts, eine Güteverhandlung durchzuführen . Wie er hierbei vorgeht, entscheidet er selbst in Abstimmung mit den Parteien. Ihm steht hierbei das ganze Spektrum der konsensualen Konfliktlösung (einschließlich der Mediation) offen. Dieser Ansatz hat sich als förderlich und richtig erwiesen und wurde im Gesetzgebungsverfahren des Bundes konsequent von Thüringen vertreten. Das in Thüringen versuchsweise praktizierte Modell trat im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens des Bundes an die Stelle einer ursprünglich geplanten gesetzlichen Verankerung der in zahlreichen Ländern praktizierten ausschließlichen richterlichen Mediation und gilt nunmehr bundesweit. Zu 4.: Das Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vom 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1577) ist am 26. Juli 2012 in Kraft getreten. Die Präsidien der Gerichte sind bundesweit verpflichtet, die Verweisung an einen Güterichter zu ermöglichen. Dem Thüringer Justizministerium oblag in Abstimmung mit den anderen Bundesländern die Schaffung der Rahmenbedingungen. Diese in erster Linie organisatorische Umsetzung erforderte zahlreiche Länderabstimmungen, die nur in einem zeitlichen Nachlauf zum Inkrafttreten des Gesetzes möglich waren. Die neuen Güterichterverfahren wurden zwischenzeitlich in die bestehenden Regelungen der Aktenordnung, der Statistik und in die Vorgaben für die Geschäftsautomation integriert. Daneben wurden weitere Richterinnen und Richter für eine Güterichtertätigkeit qualifiziert, um ein flächendeckendes Angebot zu ermöglichen. Zu 5.: In Thüringen werden kontinuierlich Güterichterinnen und Güterichter aus- und fortgebildet. So fanden im Rahmen der Zentralen Fortbildung des Thüringer Justizministeriums 2013 und 2014 insgesamt vier Tagungen (Grundkurse, Aufbaukurs und Supervision) für Güterichter statt. Zudem hat das Thüringer Justizministerium in den Jahren 2013 und 2014 jeweils eine Tagung an der Deutschen Richterakademie, einer gemeinsamen Bildungseinrichtung des Bundes und der Länder, für Güterichter durchgeführt. Zu 6.: Das Angebot für gerichtsinterne Streitbeilegung durch Güterichter wird durch weitere Richterqualifizierungen beständig weiter ausgebaut. Die außergerichtlichen Formen der Konfliktbeilegung werden gemeinsam mit den Partnern im Rahmen der "Kooperationsvereinbarung zur Verbreitung alternativer Konfliktlösungen" unterstützt. Auf die Antwort zu Frage 9 wird verwiesen. Zu 7.: Zahl der in Thüringen vor dem Güterichter durchgeführten Verfahren 2009 2010 2011 2012 2013 Ordentliche Gerichtsbarkeit davon 77 79 104 83 104 Oberlandesgericht 8 14 11 3 6 Landgerichte 61 55 90 75 87 Amtsgerichte 8 12 3 5 11 Verwaltungsgerichtsbarkeit davon 3 8 7 8 15 Oberverwaltungsgericht 0 0 0 0 0 Verwaltungsgerichte 3 8 7 8 15 Sozialgerichtsbarkeit davon 0 0 0 0 3 Landessozialgericht 0 0 0 0 0 Sozialgerichte 0 0 0 0 3 Arbeitsgerichtsbarkeit davon 70 64 53 25 92 Landesarbeitsgericht 70 64 53 25 92 Finanzgericht 0 0 0 0 10 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/60 Zu 8.: Die vor dem Güterichter erledigten Verfahren stellen einen Bruchteil der gerichtlichen Tätigkeit dar. Es handelt sich um ein spezielles Angebot für geeignete Verfahren. Die Zahlen liegen im Rahmen der Erwartungen , da es nicht das Thüringer Ziel war und ist, möglichst viele Verfahren, die einer vergleichsweisen Lösung zugänglich erscheinen, in die Güterichterzuständigkeit zu überführen, da das Güterichterverfahren zur Befriedigung besonders komplexer und schwieriger Verfahren eingesetzt wird. Bei den Gerichten wird schon immer ein gewichtiger Teil der Verfahren durch den Abschluss eines gerichtlichen Vergleichs erledigt. Thüringen verfolgt auch weiterhin den Ansatz möglichst komplexe und schwierige Verfahren durch die Güterichter nachhaltig befrieden zu lassen. Dabei steht nicht die Quantität im Vordergrund, sondern die Qualität. Zu 9.: Der Beirat hat sich seit seiner Gründung neunmal getroffen. Im Mittelpunkt stand die Umsetzung des Mediationsgesetzes , die Vorbereitung öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen zur weiteren Bekanntmachung der Möglichkeiten der alternativen Konfliktlösung und der Aufbau einer Internetplattform. Am 21. Mai 2014 wurde die Tätigkeit des Beirats durch Abschluss einer Kooperationsvereinbarung auf eine neue rechtliche Grundlage gestellt. Zu 10.: Kooperationspartner sind die Industrie- und Handelskammern Erfurt, Ostthüringen zu Gera und Südthüringen, das Thüringer Oberlandesgericht, das Thüringer Justizministerium, der DGB, die Architektenkammer Thüringen , die Rechtsanwaltskammer Thüringen, die Notarkammer Thüringen, die Ingenieurkammer Thüringen und die Steuerberaterkammer Thüringen. Als wissenschaftlicher Berater fungiert Herr Prof. Dr. Reinhard Greger. Zu 11.: Die Mediation kann im Bereich des Täter-Opfer-Ausgleichs eine sinnvolle Ergänzung sein. Entscheidend sind allerdings die Umstände des Einzelfalles. Zu 12.: Erfahrungen mit gerichtsexterner Mediation werden nicht statistisch erhoben. Eine repräsentative Aussage kann daher nicht getroffen werden. Zu 13.: Die gerichtsexterne Mediation steht nicht in Konkurrenz zum gerichtsinternen Güterichterangebot. Beide Angebote ergänzen sich. Zu 14.: Fallzahlen sind nicht bekannt. Lauinger Minister Endnote 1 Greger, Reinhard/Unberath, Hannes: Thüringer Projekt Güterichter. Abschlussbericht Teil II: Bewertungen und Schlussfolgerungen, Seite 38. 2 http://www.thueringen.de/th4/justiz/LL/konsensualekonfliktloesung/gueterichter/anlaufstellen/, letzter Zugriff 10. Oktober 2014. Text