09.08.2018 Drucksache 6/6024Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 22. August 2018 Aktivitäten der Muslimbruderschaft in Thüringen Die Kleine Anfrage 3084 vom 29. Mai 2018 hat folgenden Wortlaut: Das Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen hat eine zunehmende Tätigkeit der Muslimbruderschaft (MB) in dem Bundesland festgestellt. Gängige Strategie der Gruppierung sei, "Einfluss auf eine islamische Gemeinde in organisatorischer oder ideologischer Hinsicht zu gewinnen und hierbei aus taktischen Gründen auf erkennbare Bezüge zur MB absichtsvoll zu verzichten". Bei der im Jahr 2016 in Dresden gegründeten "Sächsischen Begegnungsstätte gUG" (SBS) lägen "tatsächliche Anhaltspunkte" vor, dass die Organisation Kontakte zur MB habe (vergleiche Hintergrundbericht des Landesamtes für Verfassungsschutz vom 4. Juli 2017 mit dem Titel: "Legalistischer Islamismus auf Expansionskurs in Sachsen - Die sächsische Begegnungsstätte und ihre Verbindungen zur Muslimbruderschaft", Seite 1 und Sächsischer Verfassungsschutzbericht 2016). Über einen führenden Kopf der SBS heißt es, "er habe über einen längeren Zeitraum [...] im Internet zahlreiche Beiträge veröffentlicht, in denen Aktivitäten der MB dargestellt wurden" (vergleiche zuvor genannter Hintergrundbericht, Seite 3). Auf der lnternetseite der SBS werden unter der Rubrik "Filiale" mehrere multikulturelle Begegnungsstätten angeführt. "Betrachtet man die Dynamik, mit der in jüngster Zeit in ganz Sachsen neue islamische Gebetsstätten der SBS entstanden sind, ist davon auszugehen, dass die SBS ihren Expansionskurs fortsetzen [...] wird" (vergleiche zuvor genannter Hintergrundbericht, Seite 7). Tatsächlich warnt etwa der Verfassungsschutz Brandenburg inzwischen vor Bestrebungen der SBS, in diesem Bundesland Fuß zu fassen (vergleiche Online-Artikel des Potsdamer Tagesspiegels vom 8. Mai 2018 mit dem Titel: "Muslimbrüder suchen Einfluss auf Flüchtlinge"). Nach Informationen der Fraktion der AfD ist auch der Freistaat Thüringen von dieser Entwicklung betroffen . Das Amt für Verfassungsschutz Thüringen sieht in den letzten drei Jahren einen deutlichen Zuwachs der radikalislamischen Szene von rund 150 auf 200 Personen (vergleiche Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2016, Seite 101). Einzelne seien dabei dem Umfeld der Muslimbruderschaft zuzuordnen. "Aufgrund seiner zentralen Lage innerhalb Deutschlands bietet Thüringen auch einen möglichen Rückzugsraum und Treffort für Anhänger der islamistischen Szene aus dem gesamten Bundesgebiet" (vergleiche Verfassungsschutzbericht Freistaat Thüringen 2016, Seite 105). Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Kenntnisse über Tätigkeiten der Muslimbruderschaft beziehungsweise von Personen aus deren Umfeld in Thüringen besitzt die Landesregierung (bitte nach Art und Umfang der Tätigkeiten und deren Entwicklung seit dem Jahr 2014 darstellen)? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Herold (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/6024 2. Welche regionalen Schwerpunkte besitzen die Tätigkeiten der Muslimbruderschaft in Thüringen (bitte angeben, um welche Einrichtungen es sich gegebenenfalls handelt; im Falle von Einzelpersonen, bitte angeben, bei welchen Einrichtungen oder Veranstaltungen sie beteiligt waren oder sind)? 3. Laufen mit Blick auf Aktivitäten der Muslimbruderschaft in Thüringen Ermittlungsverfahren und wenn ja, seit wann laufen diese Verfahren und dauern sie gegebenenfalls noch an? 4. Besitzt die Landesregierung Kenntnisse über Tätigkeiten der Muslimbruderschaft beziehungsweise von Personen aus deren Umfeld in Meiningen und wenn ja, welche Kenntnisse sind das und auf welchen Quellen beruhen sie? Wenn nein, warum nicht? 5. Besitzt die Landesregegierung Kenntnisse über einen in Meiningen im Februar 2018 von Flüchtlingen vorgestellten Verein, der sich stellvertretend für Muslime im Landkreis einsetzen soll, und wenn ja, welche ? Sind der Landesregierung Kontakte von Mitgliedern des Vereins zur Muslimbruderschaft bekannt? 6. Wird die Tätigkeit von Vorstandsmitgliedern des unter Frage 5 erfragten Vereins einschließlich der Tätigkeit von Vorstandsmitgliedern der oben genannten SBS vom Amt für Verfassungsschutz Thüringen beobachtet und wenn ja, mit welcher Begründung? Welche Kenntnisse haben sich aus der Beobachtung zu deren Tätigkeit in Thüringen ergeben? Wenn nein, warum nicht? 7. Beobachtet das Amt für Verfassungsschutz Thüringen weitere Mitglieder des unter Frage 5 erfragten Vereins und wenn ja, wie viele und mit welcher Begründung? Welche Erkenntnisse haben sich aus dieser Beobachtung ergeben? Wenn nein, warum nicht? 8. Wurde der unter Frage 5 erfragte Verein aus Mitteln des Freistaats Thüringen gefördert und wenn ja, aus welchem Haushaltstitel, seit wann, wie lange, mit welchem Betrag und mit welcher Begründung? Welche Projekte des Vereins wurden gefördert? Nahm der Verein an Veranstaltungen teil, die vom Freistaat Thüringen gefördert wurden? Wurde der Verein durch sonstige Mittel des Freistaats (wie beispielsweise Lottomittel) gefördert? 9. Wie bewertet die Landesregierung Tätigkeiten und Ziele der Muslimbruderschaft? Welche Strategie verfolgt sie im Umgang mit der Muslimbruderschaft? 10. Wie bewertet die Landesregierung Tätigkeiten und Ziele der radikalislamischen Szene in Thüringen? Wie viele Personen zählt sie zu dieser Szene? Welche Gruppierungen mit jeweils wie vielen Personen sind der Landesregierung bekannt und wie hat sich die Szene seit dem Jahr 2014 entwickelt (bitte nach Jahresscheiben sowie nach Personenzahl und Gruppierungen gesondert ausweisen)? Welche Strategie verfolgt die Landesregierung im Umgang mit der radikalislamischen Szene? Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 7. August 2018 wie folgt beantwortet: Zu 1. und 2.: Bislang gibt es in Thüringen keine gefestigten islamistischen Strukturen und nur eine lose Anzahl von Anhängern islamistischer Gruppierungen. Dies gilt auch für die "Muslimbruderschaft" (MB), der lediglich Einzelpersonen nahe stehen. Der Landesregierung liegen keine Erkenntnisse über bis ins Jahr 2014 zurückreichende Aktivitäten der MB in Thüringen vor. Ende 2017 kam es im Südwestthüringer Raum zu einer Vereinsgründung, an der eine nicht in Thüringen wohnhafte Person mit Bezügen zur MB und der 2016 gegründeten MB-nahen "Sächsischen Begegnungsstätte gUG" (SBS) beteiligt war. Der Landesregierung liegen bisher keine konkreten Erkenntnisse vor, dass der Verein selbst Bezüge zur MB aufweist. 3 Drucksache 6/6024Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 3.: Derzeit sind keine staatsschutzrelevanten Ermittlungsverfahren in Thüringen im Zusammenhang mit Aktivitäten der MB anhängig. Zu 4.: Auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 wird verwiesen. Zu 5.: Der Verein ist der Landesregierung bekannt. Inwieweit Kontakte von Mitgliedern des Vereins zur MB bestehen , wird aktuell durch die Sicherheitsbehörden geprüft. Um deren Ermittlungsergebnisse nicht zu gefährden , sieht die Landesregierung von näheren Angaben unter Verweis auf Artikel 67 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Verfassung des Freistaats Thüringen ab. Zu 6.: Das Amt für Verfassungsschutz beobachtet Personenzusammenschlüsse, das heißt Parteien, Vereine oder andere Gruppierungen, zu denen konkrete Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorliegen (§ 4 Abs. 1 Thüringer Verfassungsschutzgesetz). Insofern wird bezüglich des Vereins auf die Antworten zu den Fragen 1, 2 und 5 verwiesen. Einzelpersonen unterliegen einer Beobachtung nur in gesetzlich eng umschriebenen Ausnahmefällen (Anwendung von Gewalt, § 6 Abs. 1 Satz 3 Thüringer Verfassungsschutzgesetz). Ein derartiges Agieren ist bei Vorstandsmitgliedern des Vereins derzeit nicht erkennbar. Sofern Aktivitäten von Mitgliedern der SBS innerhalb Thüringens festgestellt werden, unterfallen diese auf der Grundlage des § 4 Abs. 1 Thüringer Verfassungsschutzgesetz dem Beobachtungsauftrag des Amtes für Verfassungsschutz. Zu 7.: Auf die Antwort zu Frage 6 wird verwiesen. Zu 8.: Der Verein wurde nicht durch Haushaltsmittel des Freistaats Thüringen gefördert. Es wurden auch keine sogenannten Lottomittel an ihn ausgereicht. Ob der Verein an Veranstaltungen teilgenommen hat, die durch den Freistaat gefördert wurden, ist nicht bekannt. Zu 9.: Nach Kenntnis der Landesregierung gilt die MB als einflussreichste islamistische Bewegung weltweit. Ihr Ziel ist die Errichtung eines "bürgerlichen Staates mit islamischen Werten". Richtschnur ihres Handelns ist eine strenge Lesart des Korans und die Anwendung der Scharia, was einen Verstoß gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes darstellt. Die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) ist die wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der MB in Deutschland mit Hauptsitz in Köln und mehreren islamischen Zentren in den alten Bundesländern. Sie verfolgt eine an der MB-Ideologie ausgerichtete Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich. Die Aktivitäten der IGD-Zentren sind geeignet, eine ablehnende Haltung gegenüber westlichen Werten zu verstärken und eine Distanz zur Demokratie zu fördern. Es ist festzustellen, dass der MB/IGD in den neuen Bundesländern das vorhandene Vakuum an islamischer Infrastruktur nutzt und auch dort Aktivitäten durch Gründungen von islamischen Kulturvereinen und Moscheeräumen entfaltet. Bestrebungen, die auf die Ablehnung und Beseitigung der Grundwerte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung hinwirken, werden von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachtet. Sie stellen den politischen Entscheidungsträgern Lageeinschätzungen zur Verfügung, damit diese die erforderlichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergreifen beziehungsweise möglichen Fehlentwicklungen frühzeitig entgegenwirken können. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/6024 Im Übrigen wird auf die Antwort zu den Fragen 1 und 2 verwiesen. Zu 10.: Die "radikalislamische Szene" ist keine Begrifflichkeit des Verfassungsschutzes und gehört dementsprechend nicht zu seinem Beobachtungsspektrum. Von daher wird die Frage dahingehend interpretiert, dass nach extremistischen Bestrebungen gefragt wird. Als extremistisch werden die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Hinsichtlich der als extremistisch einzustufenden islamistischen Szene wird auf die veröffentlichten Verfassungsschutzberichte der Jahre 2014/2015 und 2016* sowie auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 verwiesen . In den Jahren 2014 bis 2016 war in Thüringen eine leicht steigende Tendenz des islamistischen Personenpotentials zu verzeichnen. Im Jahr 2017 gab es keine signifikanten Veränderungen. Die Entwicklung im Jahr 2018 bleibt abzuwarten. Islamistische Bestrebungen in Thüringen werden vom Amt für Verfassungsschutz beobachtet. Dort wurde ein Hinweistelefon "Islamismus/Islamistischer Terrorismus" eingerichtet, über das verdächtig erscheinende Sachverhalte weitergeleitet werden können. Die Thüringer Sicherheitsbehörden verfolgen auf der Grundlage eines kontinuierlichen Informations- und Erfahrungsaustausches einen ganzheitlichen ressortübergreifenden Ansatz zur Prävention gegen islamistische Bestrebungen im Freistaat sowie deren Internetpropaganda. Hinsichtlich repressiver Maßnahmen werden alle rechtsstaatlichen Möglichkeiten ausgeschöpft. Darüber hinaus bieten die Sicherheitsbehörden zahlreiche Informationsveranstaltungen, Tagungen und Fachvorträge an, um das Bewusstsein für islamistische Propaganda und für Hinweise auf eine entsprechende Radikalisierung in der breiten Bevölkerung zu schärfen und dem präventiv entgegenzuwirken. In der Landespolizeidirektion wurde im Jahr 2013 als Ansprechpartner für Thüringer Polizeidienststellen eine Stabsstelle Polizeiliche Extremismusprävention (PEP) eingerichtet. Im Rahmen des Demokratiezentrums des Landesprogramms für Demokratie, Toleranz und Weltoffenheit wird in Trägerschaft des Violence Prevention Networks e. V. eine Beratungsstelle "Islam" gefördert. Insgesamt erfordert eine nachhaltige Präventionsstruktur eine ressortübergreifende und gesamtgesellschaftliche Zusammenarbeit, bei der von den Sicherheitsbehörden unternommene Maßnahmen nur einen Teil eines umfassenden und zusammenwirkenden Maßnahmenkatalogs mit einem alle Expertisen berücksichtigenden Ansatz und gesamtgesellschaftlicher Zielrichtung darstellen. Maier Minister Endnote: * Siehe unter www.thueringen.de/th3/verfassungsschutz. Aktivitäten der Muslimbruderschaft in Thüringen Ich frage die Landesregierung: Zu 1. und 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: Endnote: