21.05.2015 Drucksache 6/638Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 4. Juni 2015 Akzeptanz für die Energiewende schaffen Die Kleine Anfrage 195 vom 4. März 2015 hat folgenden Wortlaut: Anfang 2014 erzeugten in Thüringen 675 Windenergieanlagen mit 1.900 Mitarbeitern insgesamt 993 Megawatt Leistung Windstrom. Laut Koalitionsvertrag vom November 2014 plant die neue Landesregierung, zukünftig ein Prozent der Landesfläche als Vorrangflächen für die Produktion von Windstrom bereitzustellen. Das Landesentwicklungsprogramm Thüringen 2025 legt die räumlichen Rahmenbedingungen für die Entwicklung der erneuerbaren Energien fest. So sollen Flächen für einen Stromverbrauch von mindestens 45 Prozent aus erneuerbaren Energien im Jahr 2020 ausgewiesen werden, davon die Hälfte Windstrom. Seine Produktion soll sich im Vergleich zu 2010 auf 2.900 Gigawattstunde pro Jahr verdreifachen. Zur konkreten Realisierung dieser Vorgaben wird für 2015 ein Windenergieerlass erwartet, in welchem die Voraussetzungen für den Ausbau von Windenergieanlagen im Wald und auch Beteiligungsmodelle für Anwohner und Kommunen Formulierung finden. Laut Schätzungen des Naturschutzbundes Deutschlands e.V. kommen 100.000 Vögel pro Jahr durch Windkraftanlagen ums Leben. Gefährdet seien neben Seeadlern auch Störche, Kraniche und Uhus. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Unfälle, abfallende Rotorblätter, Brände und Ölaustritte gab es im Jahr 2014 an den installierten Windenergieanlagen? 2. Sind Menschen bei den unter Frage 1 erfragten Ereignissen zu Schaden gekommen? 3. Gibt es Zahlen aus Thüringen, wie viele Vögel getötet wurden und gibt es Möglichkeiten, die Windenergieanlagen für Tiere ungefährlicher zu machen? 4. Wie wird sich nach Einschätzung der Landesregierung die bis zum Jahr 2020 geplante verdreifachte Produktion von Windstrom auf die Anzahl der in dieser Branche Beschäftigten auswirken? 5. Welche Beteiligungsmodelle sind für Anwohner und Kommunen geplant bzw. bereits vorhanden? 6. In welcher Höhe wurden Fördermittel vom Freistaat Thüringen im Jahr 2014 an private Windkraftanlagenbetreiber ausgezahlt? 7. Wie hoch in Prozent ist diese Förderung in Bezug zu den Gesamtinvestitionen der privaten Windkraftanlagenbetreiber ? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Rudy (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Umwelt, Energie und Naturschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/638 8. Wie hoch sind derzeit die Erzeugerkosten von Energie aus Windkraft pro Kilowattstunde in Thüringen? 9. Ist angesichts der Steigerung der Leistungsfähigkeit der Windenergieanlagen nach Einschätzung der Landesregierung zu erwarten, dass der Erzeugerpreis sinken wird? Das Thüringer Ministerium für Umwelt, Energie und Naturschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 20. Mai 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Im Jahr 2014 gab es nach Kenntnis der zuständigen Behörden vier Vorkommnisse an Windenergieanlagen in Thüringen: 2 x Austritt von Getriebeöl, 1 x Schaden an einem Rotorblatt (Blitzschlag), 1 x Betriebsstörung (Getriebeschaden); austretendes Öl verblieb im Innenraum der Anlage und trat nicht in die Umwelt aus. Zu 2.: Bei den unter Frage 1 aufgeführten Vorkommnissen kamen keine Personen zu Schaden. Zu 3.: An der staatlichen Vogelschutzwarte in Brandenburg wird die bundes- und europaweite Datensammlung für Anflugopfer an Windenergieanlagen (WEA) geführt. Seit 2002 sind dort für Thüringen 77 Schlagopfer registriert, darunter 17 Rotmilane (Stand: Dezember 2014). Diese Angaben basieren auf Zufallsfunden, da in Thüringen keine systematischen Schlagopfersuchen über längere Zeiträume durchgeführt werden/wurden . Aus Einzelversuchen abgeleitete Schätzungen legen eine Dunkelziffer von 1:10 nahe. Diese Dunkelziffer ist auf die geringe Entdeckungswahrscheinlichkeit (Bodenbedeckung/-bearbeitung) und Abtragraten (Prädatoren) zurückzuführen. Für eine exemplarische Darstellung eines vergleichsweise gut untersuchten Standortes wird auf die Antwort (Drucksache 5/3177) zur Kleinen Anfrage 1642 "Windpark WangenheimHochheim - gefährliche Flugmanöver?" verwiesen. Aus Sicht des Vogelschutzes ist eine geeignete Standortwahl die wichtigste Maßnahme, um den Bau bzw. den Betrieb von Windenergieanlagen für Tiere ungefährlicher zu machen. Diese zielt darauf ab, die Anlagen möglichst nicht in der Nähe von Brutvorkommen bzw. anderen Habitaten/Flugkorridoren mit überdurchschnittlich hohen Flugaktivitäten zu errichten bzw. zu betreiben. Die Abstandsempfehlungen der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten haben sich hier als wertvolle Hilfe in der Vollzugspraxis erwiesen. Weiterhin stellt das temporäre Abschalten von Windenergieanlagen eine wirksame Maßnahme dar, um Kollisionen zu verhindern. Allerdings muss diese Maßnahme auch vor dem Hintergrund eines wirtschaftlichen Betriebs bzw. der Zweckbestimmung der Anlage bewertet werden. Großer Forschungsbedarf besteht noch hinsichtlich der Wirksamkeit von Vermeidungs- und Vergrämungsmaßnahmen. Diese zielen entweder darauf ab, den Vorhabenstandort für die betroffenen Vogelarten unattraktiv zu machen und/oder die betroffenen Arten vom Vorhabenstandort wegzulocken. Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen konnte bisher noch nicht grundsätzlich auf wissenschaftlicher Basis nachgewiesen werden. Sie hängt wahrscheinlich von der Situation im Einzelfall ab und wird daher in der Regel auch auf dieser Ebene bewertet. Zu den häufigsten Vergrämungsmaßnahmen gehört die unattraktive Gestaltung des Mastfußbereichs und der Zuwegung von Windenergieanlagen (Mastfußbrache, wassergebundene Schotterdecke). Zu den häufigsten Ablenkmaßnahmen gehören Nahrungsflächen, die abseits vom Windpark angelegt werden. Zu 4.: Nach einer Studie im Auftrag der Bundesregierung (GWS, 2014) belief sich die Bruttobeschäftigung im Bereich Windenergie im Jahr 2013 auf 2390 von insgesamt 11.460 im Bereich der erneuerbaren Energien in Thüringen tätigen Personen. Konkrete weiterführende Aussagen zu den Beschäftigungseffekten der angestrebten Verdreifachung der für Windenergieanlagen zur Verfügung stehenden Flächen können gegenwärtig noch nicht getroffen werden. Ohnehin würde eine Verkürzung der Betrachtung auf diesen Aspekt weder der Bedeutung der erfolgreichen Umsetzung der Energiewende für den Freistaat und seine Bürger noch den erheblich weiter reichenden wirtschaftlichen Effekten gerecht. 3 Drucksache 6/638Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode So summiert sich zum Beispiel die vom Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW, 2013) ermittelte direkte Wertschöpfung durch erneuerbare Energien in Deutschland bundesweit auf rund 16,9 Milliarden Euro. Davon entfallen 4,8 Milliarden Euro bzw. 29 Prozent auf die Gewinne der Unternehmen nach Steuern . Die Nettoeinkommen der Beschäftigten machen einen Anteil von 30 Prozent an der gesamten Wertschöpfung aus. Die kommunale Wertschöpfung beträgt rund 11,1 Milliarden Euro, was bedeutet, dass 66 Prozent der gesamten Wertschöpfung verteilt über das Bundesgebiet den Kommunen zu Gute kommt. Den Landeshaushalten fließen knapp 1,3 Milliarden Euro an Steuereinnahmen zu, was einem Anteil von rund acht Prozent entspricht. Weitere 4,5 Milliarden Euro bzw. knapp 27 Prozent sind Steuern und sonstige Abgaben an den Bund. Das gleiche Institut berechnete im Auftrag des baden-württembergischen Umweltministeriums in einer Studie die lokalen Effekte einer durchschnittlichen Windenergieanlage mit 2.000 Kilowatt mit im Mittel 2.000 Stunden pro Jahr (Vollaststunden). Nach den Sätzen des Jahres 2012 konnte diese im Betrieb einen Gewinn nach Steuern von durchschnittlich 16.287 Euro erzielen, ein Nettoeinkommen von 12.107 Euro generieren sowie 1.448 Euro Steuern an die Kommune sowie 3.297 Euro an das Land abführen. Die gesamte Wertschöpfung für die Kommune lag bei 29.842 Euro, die für das Land bei 33.139 Euro. Selbstverständlich handelt es sich bei diesen Zahlen um Durchschnittswerte, denn die Ergebnisse der Anwendung der Wertschöpfungsindikatoren sind in hohem Maße bedingt durch das Vorhandensein von ortsansässigen Unternehmen mit Hauptsitz in der Kommune und der Ermittlung ihrer den erneuerbaren Energien zuzuordnenden Aktivitäten entlang der Erneuerbaren-Energien-Wertschöpfungsketten. Einfacher gesagt: Die erreichbaren Werte hängen maßgeblich vom Sitz der jeweiligen Lieferanten und Dienstleister ab sowie auch und vor allem natürlich vom Sitz des Anlagenbetreibers, der im günstigsten Fall z. B. die Stadtwerke oder die Bürgergenossenschaft vor Ort ist. Zu 5.: Die Energiewende ist in großen Teilen ein dezentrales Vorhaben, bei dem bürgerschaftliche Erzeugungsund Beteiligungsmodelle stark an Bedeutung gewinnen. Wie aus der Antwort auf Frage 4 zu erkennen, existieren vielfältige Möglichkeiten vor Ort Vorteile aus der Erzeugung erneuerbarer Energien zu ziehen. Die Landesregierung strebt die Etablierung und Nutzung einer breiten Palette von Lösungen an, um den spezifischen Bedingungen der einzelnen Projekte bestmöglich zu genügen. So sind neben der inzwischen verbreiteten Variante einer Bürgerenergiegenossenschaft z. B. auch Interessengemeinschaften von Flächeneignern gegründet worden, die in Gemeinsamkeit durch ihre Flächenanteile ihre Positionen und die der Kommunen in Verhandlungen mit Projektierungsunternehmen besser durchsetzen können. Es gibt Vertragsmodelle, nach denen Eigentümergemeinschaften Anteile an Pachterträgen oder sonstigen Einnahmen an Kommunen abtreten. Mit einer freiwilligen Selbstverpflichtung können auch Unternehmen selbst die Einbeziehung von Kommunen und Bürgern in die Windparkplanung und deren finanzielle Beteiligung an den Anlagen sicherstellen. Zur Ermöglichung einer finanziellen Beteiligung von Kommunen an Windkraftanlagen und zur Unterstützung von Erneuerbaren-Energien-Projekten allgemein wiederum werden in Kooperation mit der Thüringer Aufbaubank und auch den in Thüringen ansässigen Geschäftsbanken geeignete Finanzierungsinstrumente entwickelt. Vor dem Hintergrund der Vielfalt und Komplexität der Problemstellungen für die Akteure vor Ort wird die Thüringer Energie- und GreenTech-Agentur (ThEGA) mit der "Servicestelle Wind" ihre bisherigen Beratungsaktivitäten für Bürger, lokale Bürgerinitiativen und Bürgerenergiegenossenschaften sowie Kommunen nochmals deutlich ausweiten. Sie unterstützt bei der Verhandlung mit Projektierungsunternehmen und hilft bei der Durchführung von Planungs- und Genehmigungsverfahren. Ziel ist stets, eine größtmögliche Wertschöpfung vor Ort zu erreichen. Zu 6.: Eine solche Förderung hat nicht stattgefunden. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/638 Zu 7.: Siehe Antwort zu Frage 6. Zu 8.: Die spezifischen Stromgestehungskosten sind stark von der Standortqualität und zudem vom Jahresverlauf der Witterung abhängig. Sie werden, dargestellt in Cent pro Kilowattstunde, als Quotient der jeweiligen Jahreskosten und der im Betrachtungsjahr produzierten Strommenge berechnet. Die Deutsche WindGuard ermittelt regelmäßig (2012, 2013, 2014) die Höhe der Stromgestehungskosten in Sensitivitätsanalysen für verschiedene Standortqualitäten (jedoch nicht für Bundesländer) auf Basis des Referenzertrags. Die Spannweite beginnt bei 60 Prozent Standortqualität für windschwache und endet bei 150 Prozent für sehr windstarke Standorte. Hieraus resultieren Stromgestehungskosten im Bereich von 11 Cent pro Kilowattstunde bis 6,25 Cent pro Kilowattstunde. Zu sehr ähnlichen Ergebnissen kam das Institut Fraunhofer ISE in einer entsprechenden Studie. Zu 9.: Die Landesregierung nimmt eigene Einschätzungen solcher Art nicht vor. Eine Studie im Auftrag des Bundesverbandes Windenergie (2014, Kostensituation der Windenergie an Land in Deutschland) geht von Kosteneffekten im Zusammenhang mit der Skalierung von Anlagen aus. Siegesmund Ministerin