13.11.2018 Drucksache 6/6425Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 20. November 2018 Armut in Thüringen Die Kleine Anfrage 3381 vom 1. Oktober 2018 hat folgenden Wortlaut: Armut ist ein zunehmendes Problem in unserer Gesellschaft. Auch in unserem Freistaat gibt es viele Bürgerinnen und Bürger, die von Armut betroffen sind. Ich frage die Landesregierung: 1. Gibt es mittlerweile einen allgemein anerkannten und klar definierten "Armutsbegriff"? 2. Wie errechnet sich die Armutsgrenze? 3. Welche Hilfsorganisationen, die sich speziell dieser Problematik widmen, gibt es und wie werden diese vom Land unterstützt? 4. Welche Hilfsprogramme sind öffentlich bekannt und werden von den jeweiligen Sozialhilfeträgern offensiv beworben? 5. Gibt es das ganze Land betreffend territoriale Unterschiede und Gefälle ("Armutsatlas")? 6. Wie viele Kinder im Freistaat Thüringen fallen nach der in Frage 2 genannten Formel in die Rubrik "arm"? 7. Gibt es Erhebungen und eine entsprechende Aufschlüsselung über die jeweiligen Familienverhältnisse (bitte differenzieren nach Einkommen und jeweiligem Familienstand)? 8. Wie viele Kinder werden über ihre Eltern durch Spenden der Tafeln versorgt? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 12. November 2018 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Generell wird im Rahmen der Armutsforschung und Sozialpolitik zwischen einem relativen und einem absoluten Armutsbegriff unterschieden. Relative Armut bezieht sich auf eine Unterversorgung mit materiellen und immateriellen Gütern in Relation zur jeweiligen Gesamtgesellschaft. Dahingegen umfasst die Kategorie der absoluten Armut Betroffene, die nicht in der Lage sind ihre absoluten Grundbedürfnisse (Nahrung, K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Gentele (fraktionslos) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/6425 Kleidung, Wohnung und medizinische Grundversorgung) zu befriedigen. Als international anerkannter Indikator für die materielle Lebenssituation von Menschen wird seit vielen Jahren der relative Armutsbegriff herangezogen. Armutsmessung basiert auf einem Beschluss des Ministerrats der Europäischen Gemeinschaft aus dem Jahr 1984. Demnach sind diejenigen Personen als arm anzusehen, "die über so geringe (materielle, kulturelle und soziale) Mittel verfügen, dass sie von der Lebensweise ausgeschlossen sind, die in dem Mitgliedstaat, in dem sie leben, als Minimum annehmbar ist." Allerdings ist es von besonderer Bedeutung Armut stets im gesellschaftlichen, aber auch historischen Kontext zu betrachten, um die Wirkungsweisen und verschiedene Ausformungen von Armut zu verstehen. Darüber hinaus sollte sich die Betrachtung des Phänomens Armut stets an den Lebenslagen und Lebensverläufen der einzelnen Betroffenen orientieren. Zu 2.: Die Armutsgefährdungsquote ist ein Indikator zur Messung relativer Einkommensarmut und wird - entsprechend dem EU-Standard - definiert als der Anteil der Personen, deren Äquivalenzeinkommen weniger als 60 Prozent des Medians der Äquivalenzeinkommen der Bevölkerung (in Privathaushalten) beträgt. Das Äquivalenzeinkommen ist ein auf der Basis des Haushaltsnettoeinkommens berechnetes bedarfsgewichtetes Pro-Kopf-Einkommen je Haushaltsmitglied, das ermittelt wird, indem das Haushaltsnettoeinkommen durch die Summe der Bedarfsgewichte der im Haushalt lebenden Personen geteilt wird. Nach EU-Standard wird zur Bedarfsgewichtung die neue OECD-Skala verwendet. Zu 3.: Im Freistaat Thüringen sind keine Organisationen bekannt, die sich ausschließlich mit dem Thema Armut beschäftigen. Tatsächlich haben viele Hilfsorganisationen im sozialen Bereich, wie zum Beispiel die Wohlfahrtsverbände der LIGA der freien Wohlfahrtspflege, das Thema Armut auf ihrer Agenda. Im Rahmen des Operationellen Programms für den Europäischen Sozialfonds in Thüringen werden über verschiedene Richtlinien Fördermittel ausgereicht. Zu 4.: Arbeitslosigkeit erhöht am stärksten die Armutsgefährdung. Auf der Grundlage des Koalitionsvertrages und in Abstimmung mit der Agentur für Arbeit sowie den Jobcentern leistet die Landesregierung deshalb ein umfangreiches Angebot aktiver Arbeitsmarktförderung. Dies umfasst verschiedene Maßnahmen zur sozialen und beruflichen Integration. Von sehr großer Bedeutung ist dabei der Einsatz des Europäischen Sozialfonds (ESF) im Rahmen des Operationellen Programms für Thüringen im Förderzeitraum 2014 bis 2020 (insbesondere durch die Armutspräventions -, die Aktivierungs- und die Integrationsrichtlinie). Beispielprojekte aus diesen Richtlinien sind unter anderem TIZIAN und TIZIANplus. Darüber hinausgehend hat die Landesregierung entsprechend den im Koalitionsvertrag vereinbarten programmatischen Zielstellungen in der laufenden Legislaturperiode mit den Landesrichtlinien "Öffentlich geförderte Beschäftigung" und "Arbeit für Thüringen" zwei weitere wichtige arbeitsmarktpolitische Instrumente entwickelt, die die bestehenden ESF-Programme sinnvoll ergänzen. Eine offensive Werbung für diese Programme seitens der Sozialhilfeträger ist nicht bekannt. Zu 5.: Thüringen ist in seiner räumlichen Struktur mit 23 Landkreisen und kreisfreien Städten sehr heterogen. Unterschiede zeigen sich regional in den Lebenslagen der Thüringer Bevölkerung, beispielsweise im Hinblick auf die Arbeitslosenquoten, die Höhe der verfügbaren Einkommen und die Bildungsabschlüsse. Der Thüringer Online-Sozialstrukturatlas - ThOnSA* bietet einen detaillierten Überblick auf Lebenslagen in den Landkreisen und kreisfreien Städten im Freistaat Thüringen. Die Darstellung der Lebenslagen erfolgt anhand von aussagekräftigen Indikatoren. Die Heterogenität in Thüringen nimmt mit Blick auf die Kommunen und auch auf die Sozialräume kontinuierlich zu. In der Anlage 1 befindet sich eine Darstellung über die Armutsgefährdungsquoten in den vier verschiedenen Planungsregionen in Thüringen gemessen am Landesmedian für das Jahr 2017. Zu 6.: Die Anzahl von armutsgefährdeten Personen unter 18 Jahren liegt in Thüringen im Jahr 2017 bei ca. 68.400. Dies entspricht einer Armutsgefährdungsquote von 21,2 Prozent (Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, eigene Berechnungen). 3 Drucksache 6/6425Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 7.: Zu den jeweiligen Familienverhältnissen der armutsgefährdeten Personen unter 18 Jahren für Thüringen liegen keine konkreten Informationen vor. Ein Grund dafür ist die Datenlage hinsichtlich der Untersuchung der Einkommenssituation von Familien. Der Mikrozensus beispielsweise ist für genauere Analysen der Einkommenssituation der erfassten Haushalte nur bedingt geeignet, weil das jeweilige Haushaltseinkommen dort nur sehr grob erfasst wird. Anlage 2 beinhaltet die Statistik des monatlichen Familiennettoeinkommens von Familien differenziert nach Familientyp in Thüringen auf Basis des Mikrozensus. Anlage 3 zeigt die Armutsgefährdungsquoten in Thüringen nach ausgewählten Merkmalen, hier: Haushaltstyp und Erwerbsstatus. Aufschluss darüber, wie sich die Familiensituation von Personen unter 18 Jahren darstellt, welche in einer SGB-II-Bedarfsgemeinschaft leben und somit als armutsgefährdet gelten, verdeutlicht die Anlage 4. Zu 8.: Eine konkrete Übersicht beziehungsweise Aufschlüsselung, wie viele Kinder über ihre Eltern durch Spenden der Tafeln versorgt werden, liegt der Landesregierung nicht vor. Jedoch wird auf die Antworten zu den Kleinen Anfragen 2733 und 2734 zur "Situation der Tafeln in Thüringen - Teil I und II" in den Drucksachen 6/5286 und 6/5287 hingewiesen. Werner Ministerin Endnote: * Vergleiche www.thueringen.de/thonsa. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/6425 Anlage 1 Armutsgefährdungsquoten nach Planungsregionen in Prozent gemessen am Landesmedian für Thüringen im Jahr 2017 Thüringen Armutsgefährdungsquote in Prozent Mittelthüringen 12,1 Nordthüringen 11,3 Ostthüringen 12,7 Südwestthüringen 10,6 Planungsregionen Mittelthüringen: Landkreise Sömmerda, Weimarer Land, Gotha, Ilm-Kreis, Städte Erfurt, Weimar Nordthüringen: Landkreise Eichsfeld, Nordhausen, Kyffhäuserkreis, Unstrut-Hainich-Kreis Südwestthüringen: Landkreise Wartburgkreis, Schmalkalden-Meiningen, Hildburghausen, Sonneberg, Städte Suhl, Eisenach Ostthüringen: Landkreise Saalfeld-Rudolstadt, Saale-Orla-Kreis, Saale-Holzland-Kreis, Greiz, Altenburger Land, Städte Gera, Jena Quelle: http://www.amtliche-sozialberichterstattung.de/A1armutsgefaehrdungsquoten.html Anlage 2 Familien nach monatlichem Familiennettoeinkommen und Familientyp im Jahr 2016 (Mikrozensus) in Thüringen nichteheliche Lebensgemeinschaften - einschließlich gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften / = Zahlenwert nicht sicher genug Jahr Insgesamt Davon mit einem monatlichen Familiennettoeinkommen von ... bis unter ... Euro unter 900 900 bis 1.300 1.300 bis 1.500 1.500 bis 1.700 1.700 bis 2.000 2.000 bis 2.600 2.600 bis 3.200 3.200 und mehr 1.000 Familien 2016 288 / 22 11 15 20 51 52 112 Ehepaare 2016 157 / / / 5 6 26 31 85 nichteheliche Lebensgemeinschaften 2016 51 / / / / / 9 13 21 Alleinerziehende 2016 80 / 19 9 9 12 14 8 6 erstellt am 18.10.2018 09:47 Uhr Copyright © Thüringer Landesamt für Statistik, Europaplatz 3, 99091 Erfurt - Postfach 900163, 99104 Erfurt 5 Drucksache 6/6425Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Anlage 3 Armutsgefährdungsquote nach soziodemografischen Merkmalen in Prozent in Thüringen im Jahr 2017 gemessen am Landesmedian Merkmal Armutsgefährdungsquote in Prozent Haushaltstyp Einpersonenhaushalt 24,0 Zwei Erwachsene ohne Kind 5,8 Ein(e) Erwachsene(r) mit Kind(ern) 35,1 Zwei Erwachsene und ein Kind 6,1 Zwei Erwachsene und zwei Kinder 7,2 Zwei Erwachsene und drei oder mehr Kinder 17,4 Erwerbsstatus Erwerbstätige 5,5 Erwerbslose 56,0 Nichterwerbspersonen 16,3 Personen im Alter von unter 18 Jahren 14,9 Zu den Kindern zählen Personen im Alter von unter 18 Jahren ohne Lebenspartner/-in und eigene Kinder im Haushalt. Quelle: http://www.amtliche-sozialberichterstattung.de/A1armutsgefaehrdungsquoten.html Anlage 4 Bestand Bedarfsgemeinschaften (BG) mit Kindern unter 18 Jahren nach Anzahl der Kinder und BG- Typ in Thüringen Juni 2018 © Statistik der Bundesagentur für Arbeit BG Typ Bestand BG BG insgesamt 81.189 Singlehaushalte 47.416 davon unter 18 Jahren 213 Alleinerziehende-BG 15.151 mit einem Kind 8.711 mit zwei Kindern 4.493 mit drei und mehr Kindern 1.947 Partner-BG 17.498 ohne Kinder 7.264 mit einem Kind 3.602 mit zwei Kindern 3.283 mit drei und mehr Kindern 3.349 Armut in Thüringen Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Endnote: Anlage 1 Anlage 2 Anlage 3 Anlage 4