27.05.2015 Drucksache 6/657Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 10. Juni 2015 Suizide in Thüringen Die Kleine Anfrage 182 vom 26. Februar 2015 hat folgenden Wortlaut: Nach den Zahlen des Thüringer Landesamtes für Statistik sind die Zahlen der Suizide im Freistaat in den letzten zehn Jahren zurückgegangen oder auf gleichem Niveau geblieben. Laut dem Thüringer Landesamt für Statistik liegt das Sterbealter weiblicher Suizidantinnen bei druchschnittlich 63,3 Jahren und männlichen Suizidanten bei 59,5 Jahren. Ich frage die Landesregierung: 1. Welche bekannten Ursachen liegen den Suiziden zu Grunde? 2. Welche Präventions- und Früherkennungsangebote hinsichtlich suizidaler Fälle bestehen (bitte nach Altersgruppen und Geschlecht)? 3. Welche Angebote wurden bereits verworfen und welche sind geplant? 4. Wie sind soziale Träger und die Religionsgemeinschaften bei Präventions- und Früherkennungsangeboten eingebunden? 5. Wie viele Suizidversuche wurden in den letzten zehn Jahren in Thüringen festgestellt (bitte in Jahresscheiben nach Altersgruppen und Geschlecht)? 6. Welche ärztliche und psychologische Unterstützung von welchen Stellen erhalten Menschen, die einen Suizidversuch überlebt haben? 7. Wie wird das soziale Umfeld von Suizidanten, insbesondere Familienangehörige, Arbeitskollegen und Mitschüler, betreut? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 26. Mai 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Der weitaus größte Teil der Menschen, die einen Suizid versuchen oder begehen, leidet nach Einschätzung von Sachverständigen unter einer psychischen Störung. Das Suizidrisiko wird erhöht durch Depression , Abhängigkeitserkrankungen, Schizophrenie sowie Persönlichkeits- und Anpassungsstörungen. Wei- K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Mühlbauer (SPD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/657 tere Ursachen für einen Suizid können Missbrauch von Alkohol, Drogen oder Medikamenten, mangelnde soziale Unterstützung, Einsamkeit, Verlusterlebnisse (z. B. des Lebenspartners), Lebenskrisen und Hoffnungslosigkeit sein. Zu 2. und 3.: Die Fragen 2 und 3 werden wegen des Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet. Systematische Erkenntnisse über geschlechtsspezifische Präventions- oder Früherkennungsangebote liegen nicht vor. Auch im Bereich der Jugendhilfe existieren keine eigenen Präventions- und Früherkennungsangebote . Unabhängig von Alter und Geschlecht können allerdings solche Maßnahmen als suizidpräventiv angesehen werden, die auf die Vorbeugung, Erkennung und Behandlung psychischer Störungen abzielen. So gehört die Diagnostik von Suizidalität zu den elementaren Untersuchungen bei Menschen mit psychischen Störungen. Menschen mit stark erhöhtem Suizidrisiko können in den psychiatrischen Kliniken der Thüringer Krankenhäuser behandelt und geschützt werden. Eine sehr gut ausgebaute und vernetzte gemeindepsychiatrische Versorgung, einschließlich Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen, ist ein wichtiger Baustein der Suizidprävention. Sofern Betroffene nicht selbst ausreichend für ihre Sicherheit sorgen können, kann eine Unterbringung oder vorläufige Unterbringung durch die Sozialpsychiatrischen Dienste nach §§ 7, 9 des Thüringer Gesetzes zur Hilfe und Unterbringung psychisch kranker Menschen (ThürPsychKG) angeordnet werden. Suizidpräventiv wirken auch Maßnahmen, die Suizidhandlungen an besonders gefährdeten Orten erschweren (beispielsweise Zugangsbarrieren an bestimmten Gleisanlagen, überstiegsichere Absperrungen an bestimmten hohen Gebäuden u.ä.). Für pflegebedürftige ältere Menschen wirkt eine bedürfnisgerechte Altenpflege auch suizidpräventiv. Über weitere sich gegebenenfalls in Planung befindliche Präventions- und Früherkennungsangebote hinsichtlich Suizidprävention liegen der Landesregierung keine Informationen vor. Zu 4.: Soziale Träger bieten in den Regionen unterschiedliche Angebote: Es existieren regionale Betreuungsangebote z. B. durch die Kriseninterventionsdienste, die Sozialpsychiatrischen Dienste, den Verein Einblicke e.V. mit Sitz im Altenburger Land und die Kontakt- und Beratungsstelle Horizonte gGmbH in Altenburg, das thüringenweite Präventionsprojekt "Verrückt - Na und? Seelisch fit in Schule und Ausbildung" der Landesvereinigung für Gesundheitsförderung e.V. - AGETHUR für die Altersgruppe zwölf bis ca. 25 Jahre, der AGSUS Selbsthilfegruppe "Angehörige um Suizid" in Weimar, die "Notfallbegleitung im Landkreis Sömmerda" in Trägerschaft des Deutschen Roten Kreuzes und des Evangelischen Kirchenkreises sowie die Seelsorger kirchlicher Einrichtungen. Organisiert von den Religionsgemeinschaften der Katholischen und Evangelischen Kirche erhalten Betroffene sofortige Hilfe rund um die Uhr bei der Telefonseelsorge unter der bundeseinheitlichen, kostenlosen Rufnummer 0800-111 0 111 oder 0800-111 0 222 sowie im Internet unter der Homepage: "www.telefonseelsorge .de". Zu 5.: Die Daten zu Suizidversuchen werden statistisch nicht erhoben und erfasst. Grund dafür ist, dass selbstschädigende Handlungen absichtlich oder unabsichtlich ausgeführt werden. Es gibt keine wissenschaftlich fundierten Methoden, um Suizidversuche von anderen Formen der Selbstschädigung sicher abzugrenzen. Zu 6.: Für Menschen, die einen Suizidversuch überlebt haben, gibt es in Thüringen ein breites Behandlungsangebot. Falls die körperlichen Folgen, beispielsweise einer Verletzung oder Vergiftung, ärztlich behandelt werden müssen, stehen die Krankenhäuser und die ambulanten Arztpraxen zur Verfügung. Patienten, die einen Suizidversuch begangen haben und unter psychischen Störungen leiden, können durch Psychologische Psychotherapeuten, Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten oder psychotherapeutisch tätige Ärzte anderer Fachgebiete behandelt werden zur psychotherapeuti- 3 Drucksache 6/657Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode schen Aufarbeitung des Suizidversuchs. Die Behandlungen erfolgen in Praxen von Psychotherapeuten oder Ärzten, in psychiatrischen Krankenhäusern und in Tageskliniken der Psychiatrischen Institutsambulanzen. Zu 7.: Personen, die nach dem Suizid eines Familienangehörigen oder Arbeitskollegen psychiatrischer oder psychotherapeutischer Behandlung bedürfen, werden durch die unter Antwort zu Frage 6 genannten Behandler bzw. Einrichtungen betreut. Im Übrigen wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Für die Betreuung im schulischen Bereich existieren in allen Schulämtern amtsintern abgestimmte Meldewege im Falle von sogenannten "Besonderen Vorkommnissen", zu denen auch Suizide von Schülern und Lehrern gezählt werden. Die Schulpsychologischen Dienste haben ihre tägliche Erreichbarkeit für diese Situation abgesichert. Bei akuten Krisen an Schulen wird der Schulpsychologische Dienst meist direkt von Schulen oder von den Schulaufsichtsreferenten kontaktiert und um Unterstützung gebeten. Es finden strukturgebende Interventionen und Informationsvermittlung sowie Angebote vor Ort statt. Pädagogen und Jugendliche werden in schweren suizidalen Krisen und bei Todesfällen von den Schulpsychologen begleitet. Darüber hinaus bieten die Schulpsychologen der Staatlichen Schulämter fortlaufende Angebote zur Stärkung schulinterner Krisenteams an und wirken in verschiedenen Arbeitsgruppen u.a. an der Aktualisierung des Notfallordners "Umgang mit Krisen und Notfällen an Schulen" mit. Dieser Ordner liegt allen Thüringer Schulen vor und enthält klare Handlungsanweisungen zur sofortigen Reaktion, zum Eingreifen, zum Stabilisieren und zum Weiterbetreuen nach krisenhaften Ereignissen. Im entsprechenden Ratgeberteil des Notfallordners finden sich weiterführende Informationen, beispielsweise Gesprächshinweise für den Tag danach und Hinweise zu Risikofaktoren und zur Nachahmungsgefahr bei Suizid. Im Anschluss an Krisen und Notfälle erfolgt meist eine gemeinsame Aufarbeitung in Form von Fortbildungen oder Weiterbegleitung von Einzelpersonen oder Kollegien. Darüber hinaus werden Fortbildungen zum Umgang mit Suizid und Suizidankündigungen sowie psychologisch sinnvollem Verhalten dazu an Schulen durchgeführt. Außerdem werden die Beratungslehrer der Schulen während ihrer zweijährigen Weiterbildung von den Referenten für Schulpsychologie im Umgang mit Krisen und Notfällen geschult. Sofern Eltern (und Familien) in Folge eines Suizids oder Suizidversuchs ihres Kindes oder Jugendlichen um Hilfe und Unterstützung ersuchen, wird auf bestehende Beratungs- und Therapieangebote verwiesen. Insbesondere kommen hier - je nach Erfordernis im Einzelfall - die Angebote der Erziehungs-, Ehe-, Familien - und Lebensberatung in Betracht. Werner Ministerin