03.06.2015 Drucksache 6/676Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 23. Juni 2015 Psychosoziale Versorgung von Flüchtlingen in Thüringen Die Kleine Anfrage 269 vom 15. April 2015 hat folgenden Wortlaut: Die große Anzahl von Flüchtlingen ist für Kommunen und soziale Einrichtungen eine große Herausforderung , zumal Flüchtlinge oft schwer traumatisiert sind. Die Betroffenen und ihre Angehörigen brauchen schnelle Hilfe von Stellen, die auf die Bedürfnisse traumatisierter und anderweitig psychisch belasteter Flüchtlinge spezialisiert sind. Die einzige Anlaufstelle für eine unkomplizierte therapeutische Behandlung und psychosoziale Betreuung für Flüchtlinge in Thüringen ist das Psychosoziale Zentrum für Flüchtlinge in Jena unter Trägerschaft des Vereins Refugio Thüringen e.V. Infolgedessen gibt es lange Wartelisten, weil die Nachfrage die Behandlungskapazitäten übersteigt. Der formal bestehende Versorgungsanspruch für besonders schutzbedürftige Flüchtlinge durch die Bindung an EU-Richtlinien, an den UN-Sozialpakt sowie weitere internationale Menschenrechtskonventionen (und eingeschränkt auf Grundlage des Asylbewerberleistungsgesetzes) kann in der Praxis nur unter Schwierigkeiten eingelöst werden. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie ist das Psychosoziale Zentrum für Flüchtlinge in Jena ausgestattet? a) Wie viele Personalstellen sind vorhanden (bitte aufschlüsseln nach Psychologinnen und Psycholo- gen/Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern, Leitungs -/Verwaltungskräften)? b) Welche finanziellen Mittel stellt das Land dem Zentrum zur Verfügung? c) Wie gestalten sich die Räumlichkeiten des Zentrums (Größe, Räume, Ausstattung)? 2. Hält die Landesregierung die psychosoziale Versorgungsstruktur von Flüchtlingen in Thüringen für ausreichend? 3. Plant die Landesregierung weitere Einrichtungen zur psychosozialen Betreuung von Flüchtlingen bzw. ist ein Ausbau des vorhandenen Zentrums in Jena geplant? 4. Sieht die Landesregierung Möglichkeiten, niedergelassene Psychotherapeuten verstärkt in die psychosoziale Betreuung von Flüchtlingen einzubinden (Netzwerkarbeit, Sensibilisierung, Fortbildung)? 5. Sieht die Landesregierung Möglichkeiten, die von Kreis zu Kreis sehr unterschiedlichen strukturellen Barrieren (Ausstellung von Behandlungsscheinen durch zuständige Leistungsträger, d.h. Sozialämter und Krankenkassen) abzubauen? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Meißner (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/676 Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 3. Juni 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1.a): Nach Angaben des Psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge sind dort aktuell rechnerisch 3,15 Vollzeitbeschäftigte (VbE) tätig, davon eine Politologin (Koordination/Leitung des Zentrums), zwei Psychologische Psychotherapeuten, zwei Sozialarbeiter, ein Soziologe (speziell für den Themenbereich unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) und eine Verwaltungskraft. Zu 1.b): Das von Refugio Thüringen e.V. geführte Psychosoziale Zentrum in Jena wird vom Freistaat Thüringen über die in die Zuständigkeit des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz fallende "Richtlinie zur Gewährung von Zuwendungen des Freistaats Thüringen für die Förderung der Integration von Menschen mit Migrationshintergrund" seit sechs Jahren unterstützt. So wurden etwa in den Jahren 2012 18.000 Euro, 2013 23.000 Euro und 2014 23.000 Euro auf Basis der Richtlinie zur Verfügung gestellt. Für 2015 hat Refugio Thüringen e.V. eine Förderung aus dem vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verwalteten Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) der EU und eine Kofinanzierung aus der genannten Förderrichtlinie des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz beantragt. Über die AMIF-Förderung und zeitgleich über die Landesförderung soll nach aktuellem Stand im zweiten Quartal 2015 entschieden werden. Zur Zwischenfinanzierung wurde ein aus der Stiftung FamilienSinn finanzierter Fördermittelbescheid über 25.000 Euro an den Trägerverein Refugio Thüringen e.V. übergeben. Zu 1.c): Das Zentrum verfügt aktuell über fünf Räume mit insgesamt 117 Quadratmeter. Die Räume verfügen über die für Bürotätigkeiten sowie die Kommunikations- und Beratungstätigkeit erforderliche Möblierung und technische Ausstattung. Zu 2.: Für die ambulante Behandlung traumatisierter Flüchtlinge sind die niedergelassenen ärztlichen Psychotherapeuten , die psychologischen Psychotherapeuten und die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zuständig. Darüber hinaus stehen die Psychiatrischen Kliniken durch ihren regionalen Versorgungsauftrag einschließlich der Psychiatrischen Institutsambulanzen für die Behandlung zur Verfügung. Damit wird sowohl die ambulante Versorgung als auch die Notfallversorgung flächendeckend in Thüringen vorgehalten. Zur Ergänzung dieses Regelangebots sind Behandlungszentren für traumatisierte Flüchtlinge wie das Psychosoziale Zentrum in Jena sehr wichtig und verdienen finanzielle Unterstützung durch Bund und Länder. Die weitere Kofinanzierung dieser Behandlungszentren durch Bundesmittel ist Gegenstand einer von Thüringen unterstützten Forderung der 10. Integrationsministerkonferenz 2015. Eine besondere Herausforderung sind die mit der psychotherapeutischen Versorgung von Flüchtlingen verbundenen spezifischen Anforderungen an die Therapeuten, bedingt durch die komplexe psychosoziale Belastungssituation, die kulturellen Besonderheiten der Herkunftsländer und die in der Regel gegebenen Sprachunterschiede. Um die Sprachbarrieren bei der psychosozialen Betreuung von Flüchtlingen abzubauen, hat die 10. Integrationsministerkonferenz 2015 die Bundesregierung gebeten, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, damit die für die Behandlung von gesetzlich versicherten psychisch erkrankten oder traumatisierten Migrantinnen und Migranten durch Fachärzte und Therapeuten notwendige Sprachmittlung sichergestellt und vergütet wird. Zu 3.: Die Landesregierung prüft die Möglichkeit, das für die Behandlung von Flüchtlingen spezialisierte Angebot des Refugio Thüringen e.V. bedarfsgerecht an weiteren Standorten in Thüringen vorzuhalten, etwa in den Regionen, die durch den Standort einer Erstaufnahmeeinrichtung bzw. durch den Verteilungsschlüssel zur Aufnahme von Flüchtlingen einen erhöhten Betreuungsbedarf aufweisen. Dabei wird auch eine Einbindung der vorhandenen psychotherapeutischen Behandlungsangebote des stationären Klinikbereiches überprüft. Der Refugio Thüringen e.V. wurde gebeten, ein entsprechendes Konzept zur Ausweitung seines Angebots vorzuschlagen. 3 Drucksache 6/676Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 4.: Die Landesregierung wird in Zusammenarbeit mit der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer und der Kassenärztlichen Vereinigung Thüringen Möglichkeiten für eine verstärkte Einbindung der genannten Therapeuten prüfen. Zu 5.: Über die in der Frage so bezeichneten "…von Kreis zu Kreis sehr unterschiedlichen strukturellen Barrieren …" ist der Landesregierung nichts bekannt. Soweit hier die Tätigkeit der zuständigen Leistungsbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angesprochen ist, ist festzustellen, dass die Leistungsbewilligung auf gesetzlichen Grundlagen erfolgt. Gesetzgeberische und administrative Maßnahmen des Landes bedingen jedenfalls keine derartigen Verschiedenheiten. Unabhängig davon unterstützt die Landesregierung Initiativen auf Bundesebene zur Schaffung von gesetzlichen Grundlagen für die Einführung einer Gesundheitskarte für Asylbewerber und setzt sich für eine bundeseinheitliche Regelung ein. Lauinger Minister