07.03.2019 Drucksache 6/6921Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 21. März 2019 Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Richtervorbehalt bei Fixierungen Die Kleine Anfrage 3608 vom 14. Januar 2019 hat folgenden Wortlaut: Das Bundesverfassungsgericht hat sich in seinem Urteil vom 24. Juli 2018 (Az.: 2 BvR 309/15 und 2 BvR 502/16) in grundsätzlicher Art und Weise mit Fragen des Richtervorbehalts bei Fixierungen eines Patienten auseinandergesetzt. Dabei hat es festgestellt, dass es sich bei der Fixierung eines Patienten um einen Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person handelt. Weiterhin führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass es sich bei einer nicht nur kurzfristigen (womit eine Zeit von unter einer halben Stunde Dauer zu verstehen ist) Fixierung um eine Freiheitsentziehung im Sinne des Artikels 104 Abs. 2 Grundgesetz handelt, welche von der richterlichen Unterbringungsanordnung nicht gedeckt ist. Um den Schutz des von einer freiheitsentziehenden Fixierung Betroffenen sicherzustellen, bedarf es nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts eines täglichen richterlichen Bereitschaftsdienstes, der den Zeitraum von 6:00 Uhr bis 21:00 Uhr abdeckt. Ich frage die Landesregierung: 1. Zu wie vielen Fixierungen von über einer halben Stunde Dauer ist es in Einrichtungen der Psychiatrie (Fachkrankenhäuser und allgemeine Krankenhäuser) und des Justizvollzugs in Thringen in der Zeit vom 1. August 2018 bis 31. Dezember 2018 gekommen (bitte aufschlüsseln nach Einrichtung, Ort der Einrichtung , Amtsgerichtsbezirk und Landgerichtsbezirk)? 2. In welchen der unter Frage 1 nachgefragten Fällen lag keine richterliche Entscheidung für die Fixierung zugrunde? 3. Was war im Einzelfall der Grund dafür, dass es bei den in Frage 2 aufgeführten Fällen nicht zu einer richterlichen Entscheidung über die Fixierung gekommen ist? 4. Welche der unter Frage 1 aufgeführten Fälle ereigneten sich a) an einem Samstag, b) an einem Sonntag, c) Montags bis Freitags jeweils vor 8 Uhr und d) Montags bis Freitags jeweils nach 16 Uhr? 5. Sieht das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz einen richterlichen Personalmehrbedarf zur Absicherung des sich aufgrund der oben zitierten Entscheidung des Bundesverfas- K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Geibert (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/6921 sungsgerichts ergebenden Bereitschaftsdienstes? Falls ja, wie bemisst sich dieser bezogen auf den jeweiligen Amtsgerichtsstandort? Falls nein, mit welcher Begründung geht das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz davon aus, dass sich kein Personalmehrbedarf ergibt? 6. Ergibt sich im nichtrichterlichen Bereich ein Personalmehrbedarf zur Absicherung des sich aufgrund der oben zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sich ergebenden Bereitschaftsdienstes? Falls ja, wie bemisst sich dieser bezogen auf den jeweiligen Amtsgerichtsstandort? Falls nein, mit welcher Begründung geht das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz davon aus, dass sich kein Personalmehrbedarf ergibt? 7. Wie und zu welchem Zeitpunkt wurde ein sich nach den Fragen 5 oder 6 ergebender Personalmehrbedarf ausgeglichen beziehungsweise zu welchem Zeitpunkt ist dies vorgesehen? 8. Wird, und falls ja, in welcher Weise, die Wahrnehmung des Bereitschaftsdienstes in den unter Frage 4 genannten Zeiten für den richterlichen und/oder den nichtrichterlichen Dienst in den Fällen ausgeglichen, in denen es nicht zu einem "Einsatz" der sich im Bereitschaftsdienst befindlichen Mitarbeiter kommt? Wie begründet das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz seine jeweilige Auffassung? 9. Ist die unter Frage 7 abgefragte Praxis bei allen Amtsgerichten einheitlich? Bei welchen Amtsgerichten gibt es eventuell Abweichungen und wie werden diese begründet? Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 6. März 2019 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 2018 (BvR 309/15 und 2 BvR 502/16) wurde festgestellt, dass es sich sowohl bei einer 5-Punkt- als auch bei einer 7-Punkt-Fixierung von nicht nur kurzfristiger Dauer um eine Freiheitsentziehung im Sinne des Artikels 104 Abs. 2 Grundgesetz handelt, die von einer richterlichen Unterbringungsanordnung nicht gedeckt ist. Vielmehr handelt es sich bei den entscheidungserheblichen Fixierungen (aufgrund der besonderen Eingriffsintensität), die eine vollständige Aufhebung der Bewegungsfähigkeit bewirken, um eigenständige Freiheitsentziehungen, die den Richtervorbehalt des Artikes 104 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz abermals auslösen. Durch die neue Rechtsprechung müssen die Fixierungen von nicht nur kurzfristiger Dauer neu betrachtet werden. Die Auswirkungen der Rechtsprechung auf die Fixierungspraxis sind derzeit noch nicht absehbar. Zweifelsohne wird wegen des Richtervorbehalts und des gesonderten Genehmigungserfordernisses aus gerichtsorganisatorischer Sicht künftig ein Aufwand verursacht. Zu 1.: Statistische Daten über die Zahl der durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erstmals im Hinblick auf ihre besondere Eingriffsintensität besonders hervorgehobenen Fixierungen von über einer halben Stunde Dauer liegen nicht vollständig vor. Die Landesjustizverwaltungen eruieren aktuell die Größenordnung der betroffenen Verfahren für etwaige organisatorische Maßnahmen. Eine bundeseinheitliche Erfassung findet hingegen derzeit nicht statt. In Thüringen wurden die Amtsgerichte gebeten, die Anzahl der Anträge, die ab dem 1. August 2018 eingehen, vorübergehend im Wege einer Sondererhebung zu zählen. Die Zählung umfasst nur die Anträge auf Fixierungsgenehmigungen aufgrund der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung. Die Daten sollen lediglich der Erfassung der Größenordnung dienen. Folgende Daten liegen dem Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz zu dem abgefragten Zeitraum vom 1. August 2018 bis zum 31. Dezember 2018 vor: 3 Drucksache 6/6921Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Standort Anzahl der Anträge im Zeitraum vom 01.08.2018 bis 31.12.2018 Landgerichtsbezirk Erfurt AG Apolda 0 Amtsgericht Arnstadt 0 Amtsgericht Erfurt 40 Amtsgericht Gotha 0 Amtsgericht Sömmerda 0 Amtsgericht Weimar 49 Landgerichtsbezirk Gera Amtsgericht Altenburg 2 Amtsgericht Gera 22 Amtsgericht Greiz 0 Amtsgericht Jena 2 Amtsgericht Pößneck 0 Amtsgericht Rudolstadt Hauptstelle Rudolstadt 4 Zweigstelle Saalfeld 14 Amtsgericht Stadtroda 25 Landgerichtsbezirk Meiningen Amtsgericht Bad Salzungen 10 Amtsgericht Eisenach 0 Amtsgericht Hildburghausen 45 Amtsgericht Meiningen 6 Amtsgericht Sonneberg 11 Amtsgericht Suhl 0 Landgerichtsbezirk Mühlhausen Landgericht Mühlhausen/Strafvollstreckungskammer 8 Amtsgericht Heilbad Heiligenstadt 0 Amtsgericht Mühlhausen 15 Amtsgericht Nordhausen 18 Amtsgericht Sondershausen 1 Summe 272 Zu 2. und 3.: Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 2 und 3 gemeinsam beantwortet. Da die Erhebung allein die Anzahl der gerichtlichen Antragstellungen erfasste, wird zunächst auf die zu Frage 1 erteilte Antwort verwiesen. Eine statistische Erhebung der gerichtlichen Entscheidungen erfolgte im Zeitraum der Erhebung nicht. Somit kann keine belastbare Aussage getroffen werden, in welchen Fällen eine Fixierung ohne richterliche Entscheidung erfolgte und etwaige Gründe hierfür. Zu 4.: Unter Bezugnahme auf die Antwort zu Frage 1 und die darin angesprochene Sondererhebung liegen folgende Informationen nur dahingehend vor, ob ein Antrag auf Fixierungsgenehmigung innerhalb oder außerhalb der üblichen Dienstzeiten einschließlich der dienstfreien Tage ab dem 1. November 2018 bearbeitet wurde. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/6921 Standort Anträge außerhalb der üblichen Dienstzeiten im Zeitraum vom 01.11.2018 bis 31.12.2018 Landgerichtsbezirk Erfurt Amtsgericht Apolda 0 Amtsgericht Arnstadt 0 Amtsgericht Erfurt 6 Amtsgericht Gotha 0 Amtsgericht Sömmerda 0 Amtsgericht Weimar 11 Landgerichtsbezirk Gera Amtsgericht Altenburg 1 Amtsgericht Gera 2 Amtsgericht Greiz 0 Amtsgericht Jena 2 Amtsgericht Pößneck 0 Amtsgericht Rudolstadt Hauptstelle Rudolstadt 3 Zweigstelle Saalfeld 0 Amtsgericht Stadtroda 0 Landgerichtsbezirk Meiningen Amtsgericht Bad Salzungen 3 Amtsgericht Eisenach 0 Amtsgericht Hildburghausen 17 Amtsgericht Meiningen 0 Amtsgericht Sonneberg 7 Amtsgericht Suhl 0 Landgerichtsbezirk Mühlhausen Landgericht Mühlhausen/Strafvollstreckungskammer 3 Amtsgericht Heilbad Heiligenstadt 0 Amtsgericht Mühlhausen 1 Amtsgericht Nordhausen 2 Amtsgericht Sondershausen 0 Summe 58 Hinsichtlich der Fixierungen in Maßregelvollzugseinrichtungen ereigneten sich die Fälle zeitlich wie folgt: a) in zwei Fällen an einem Samstag, b) in zwei Fällen an einem Sonntag, c) in vier Fällen montags bis freitags vor 8 Uhr und d) in einem Fall montags bis freitags nach 16 Uhr. Zu 5. bis 7.: Aufgrund des Sachzusammenhangs werden die Fragen 5 bis 7 gemeinsam beantwortet. Die Personalbedarfsberechnung im Bereich der Amtsgerichte wird bundeseinheitlich nach den PEBB§Y- Systemen durchgeführt. Die hierfür zuständige Kommission für Fragen der Personalbedarfsberechnung, in der alle Länder vertreten sind, hat vorläufig die durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juli 2018 neu auftretenden Verfahren zur Genehmigung einer Fixierung den Produkten "RA 360 - Unterbringungen und unterbringungsähnliche Maßnahmen (Unterbringungssachen)" im richterlichen Dienst und "MA 071 - Unterbringungen und unterbringungsähnliche Maßnahmen (Unterbringungssachen)" im mittleren und Schreibdienst zugeordnet. Danach wird der Personalbedarf für ein richterliches Verfahren mit 104 Minuten und ein Verfahren im mittleren und Schreibdienst mit 129 Minuten bewertet. 5 Drucksache 6/6921Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Vom 1. August 2018 bis 31. Dezember 2018 gingen landesweit 272 Fixierungsverfahren ein. Hochgerechnet auf ein Jahr lässt dies eine Anzahl von 653 Verfahren erwarten. Nach der PEBB§Y-Personalbedarfsberechnung ergibt dies einen landesweiten Mehrbedarf im richterlichen Bereich von 0,7 Personen und im mittleren und Schreibdienst von 0,9 Personen. Da das Verfahren noch sehr neu ist, muss hier ausdrücklich auf die Unsicherheit bei der erwarteten Geschäftsentwicklung und die vorläufige Einordnung der Fixierungsverfahren im Bereich der PEBB§Y-Produkte hingewiesen werden. Der erwartete Mehrbedarf ist durch den bestehenden Personaleinsatz gedeckt. In der PEBB§Y-Personalbedarfsberechnung werden auch Aufwände innerhalb des Bereitschaftsdienstes und für Zeiten der Rufbereitschaft berücksichtigt. Ob die geänderte Rechtslage hier zu erhöhten Aufwendungen durch eine erforderliche Ausweitung des richterlichen Bereitschaftsdienstes und der Rufbereitschaft führt, kann derzeit noch nicht abschließend beurteilt werden. Zu 8.: Hinsichtlich etwaiger Ausgleichspflichten ist rechtlich zwischen Bereitschaftszeit (welche teilweise als Arbeits - beziehungsweise Dienstzeit zu werten ist) und Rufbereitschaft (welche in der Regel nicht als Arbeitsbeziehungsweise Dienstzeit zu werten ist) zu differenzieren. • Bereitschaftszeit liegt vor, wenn sich der Beamte oder Richter innerhalb oder außerhalb der Dienststelle an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort auf Anforderung zur sofortigen Dienstaufnahme bereithalten muss. • Rufbereitschaft liegt vor, wenn sich der Betroffene an keiner vom Dienstherrn bestimmten Stelle bereithalten , sondern lediglich bereit halten muss, um sein Dienstgeschäft auf Abruf wahrnehmen zu können. Bei dem so genannten richterlichen "Bereitschaftsdienst" handelt es sich um Rufbereitschaft im vorgenannten Sinne, da der Richter seinen Aufenthaltsort zum Zeitpunkt der Erreichbarkeit frei wählen kann. Grundsätzlich ist der Richter, dem die verfassungsmäßige Aufgabe der Gewährleistung des Richtervorbehalts auch für Eilfälle obliegt, nicht nur in Bezug auf seine Tätigkeit an sich unabhängig; auch wann, in welcher Dauer, Art und Weise sowie an welchem Ort er seine Tätigkeit ausübt, entscheidet er in richterlicher Unabhängigkeit (vgl. Kissel/Mayer, GVG, 9. Aufl., § 22 Rnr. 36). Damit stellt richterliche Rufbereitschaft grundsätzlich keine Dienstzeit dar und ist grundsätzlich nicht ausgleichsfähig. Ob aufgrund der geleisteten Rufbereitschaft Entlastungen bei anderen richterlichen Aufgaben erfolgen, entscheidet das Präsidium in richterlicher Unabhängigkeit . Hinsichtlich der Berücksichtigung in der PEBB§Y-Personalbedarfsberechnung wird auf die Antwort zu Frage 7 verwiesen. Bei der Rufbereitschaft im nichtrichterlichen Dienst ist zwischen Beamten und Angestellten zu differenzieren. Für Beamte gelten für die Rufbereitschaft die Regelungen des § 11 Abs. 2 Thüringer Arbeitszeitverordnung . Danach besteht ein nach dem Maß der Bereithaltung gestaffelter Anspruch auf Freizeitausgleich für die reine Rufbereitschaft. Wird der Beamte während der Rufbereitschaft dienstlich tätig, ist die tatsächlich geleitstete Tätigkeit in vollem Umfang auf die Arbeitszeit anzurechnen. Für Angestellte findet der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) Anwendung, § 8 Abs. 5 TV-L. Danach wird für zu leistende Rufbereitschaft ein Entgelt unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme gezahlt, welches je nach Umfang der Rufbereitschaft gestaffelt ist. Zu 9.: Auf die Antwort zu Frage 7 wird Bezug genommen. Lauinger Minister Auswirkungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Richtervorbehalt bei Fixierungen Ich frage die Landesregierung: Vorbemerkung Zu 1.: Zu 2. und 3.: Zu 4.: Zu 5. bis 7.: Zu 8.: Zu 9.: