04.04.2019 Drucksache 6/7051Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 16. April 2019 Völkische Siedlungen und Aktivitäten in Thüringen - Teil I Die Kleine Anfrage 3568 vom 21. Dezember 2018 hat folgenden Wortlaut: Seit den 1950er Jahren besteht ein Großteil der völkischen Gemeinschaften in Deutschland. Rund 50 Jahre bestehen ihre Vernetzungsstrukturen. Auch in Thüringen treten Akteurinnen und Akteure der völkischen Bewegungen immer wieder in Erscheinung. In den vergangenen Jahren haben auch verschiedene Treffen oder Festivals stattgefunden. Beispielsweise hat die Anastasia-Bewegung seit dem Jahr 2015 laut Aussagen der Landesregierung (Drucksache 6/6487) vier Treffen in Thüringen organisiert. Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Kenntnisse besitzt die Landesregierung über völkische Siedlungen in Thüringen? Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über Orte in Thüringen, wo Anzeichen bezüglich des Entstehens von völkischen Siedlungen beziehungsweise "Wehrdörfern" zu erkennen sind (bitte die Orte nennen)? Welche Kenntnisse hat die Landesregierung über Aktivitäten, Immobilien, Siedlungen und Organisationen, die der völkischen Bewegung zugeordnet werden können, in Marlishausen, Guthmannshausen, Rippershausen , Haselbach und Ilfeld seit dem Jahr 2010? 2. Sind der Landesregierung Gemeinden bekannt, in denen völkische Siedlerinnen und Siedler nachweislich Einfluss auf zivilgesellschaftliche und politische Strukturen ausgeübt haben (bitte die Gemeinden nennen )? Was wurde dagegen unternommen und wie wurden die Gemeinden unterstützt? Gibt es ein Konzept , welches Thüringer Gemeinden unterstützt, wenn sie Probleme mit völkischen Ansiedlungen haben? 3. Welche Kenntnisse über Immobilien, die durch einen Personenkreis der völkischen Bewegung seit dem Jahr 2010 genutzt wurden oder werden, besitzt die Landesregierung (bitte Datum, Ort, Immobilie, Zweck, gegebenenfalls Organisationszugehörigkeit der Nutzerinnen und Nutzer nennen)? 4. Welche Veranstaltungen (seit dem Jahr 2010) des Vereins "Gedächtnisstätte" oder in den Vereinsräumlichkeiten der "Gedächtnisstätte" können dem völkischen Spektrum zugeordnet werden (bitte Datum, Name der Veranstaltung, Art der Veranstaltung, gegebenenfalls Name der Vortragenden, Workshopoder Seminarleitenden, gegebenenfalls Anzahl der Teilnehmenden nennen)? 5. Welche Kenntnisse besitzt die Landesregierung über die Anastasia-Bewegung hinsichtlich ihrer Verflechtung in die völkische Szene? Seit wann sind Aktivitäten der Anastasia-Bewegung in Thüringen zu beobachten (bitte Datum, Ort und Art der Aktivität nennen)? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Henfling (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7051 6. Welche Kenntnisse besitzt die Landesregierung über das "Urahnenerbe Germania"? Wann haben Akteure des "Urahnenerbes Germania" in Thüringen Vorträge, Seminare und Workshops angeboten (bitte Ort, Name des Vortrags, Seminars oder Workshops sowie Anzahl der Teilnehmenden nennen)? 7. Wie bewertet die Landesregierung die Relevanz der völkischen Bewegung für die extrem rechte Szene in Thüringen? Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 2. April 2019 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Bei der Beantwortung der Fragestellungen wurde der Begriff "Völkische Bewegung" ausschließlich mit Bezug zum Rechtsextremismus ausgelegt. Eine gesonderte Erfassung von "völkischen" Aktivitäten bei den Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene durch das Amt für Verfassungsschutz erfolgt nicht. Daher sind retrograde Angaben zu Veranstaltungen über die Zuordnung grundsätzlich nicht möglich. Zu 1.: Der Landesregierung liegen folgende Erkenntnisse im Sinne der Fragestellungen vor: Die Weltanschauung der "Völkischen Bewegung" geht auf das rassistisch-antisemitische Denken dieser Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts zurück, das im Nationalsozialismus seinen Höhepunkt fand. Deren Anhänger halten es für ein Naturgesetz, dass nur eine rein deutsche Abstammung den Erhalt des Volkes sichern kann und die deutsche Volksgemeinschaft allen anderen Menschengruppen überlegen sei. Die Umsetzung erfolgt dabei häufig durch sogenannte (autarke) Siedlungsprojekte im meist ländlichen Raum, die dem ungestörten Aufbau eigener Strukturen und der langfristigen Beeinflussung der Alltagskultur dienen. In Deutschland kann die im Jahr 1951 gegründete und rechtsextremistisch eingestufte Gruppierung der germanisch-heidnischen "Artgemeinschaft-Germanische-Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." dem völkischen Bereich zugeordnet werden. Sie versteht sich als Glaubensbund, der "die Kultur der nordeuropäischen Menschenart bewahren, erneuern und weiterentwickeln" will und verbindet dabei germanisch-heidnische Glaubensansätze mit rassistischen Vorstellungen und Zielen. Ihre regelmäßigen überregionalen "Gemeinschaftstagungen" zu den Tag- und Nachtgleichen sowie den Sommerbeziehungsweise Wintersonnenwenden führt die "Artgemeinschaft" im Bereich Nordthüringen in einem Ausflugs- und Ferienhotel in Harztor, Ortsteil Ilfeld unter Ausschluss der Öffentlichkeit durch. Die in geschlossenen Veranstaltungen abgehaltenen Zusammenkünfte kommen dem äußeren Anschein nach Volksfesten oder geselligen Familienveranstaltungen gleich. Unter Vorgabe germanischer Brauchtumspflege wird eine "Lagerfeuerromantik" inszeniert, die das Interesse insbesondere junger Teilnehmer an dem eindeutig rechtsextremistischen Regelwerk der "Artgemeinschaft" wecken soll. Ihre "Sittengesetze" geben vor, sich unter anderem für die "Wahrung, Einigung und Mehrung der germanischen Art" einzusetzen, "dem besseren Führer" Gefolgschaft zu leisten und eine "gleichgeartete Gattenwahl (als) Gewähr für gleichgeartete Kinder" anzustreben. Hinsichtlich weiterer Erkenntnisse zur "Artgemeinschaft" wird auf die Antwort der Landesregierung zur Kleinen Anfrage 3488 in der Drucksache 6/6665 verwiesen. Die rechtextremistische Gruppierung "Schlesische Jugend" (SJ) weist ebenfalls Bezüge zum völkischen Bereich auf. Sie ist eigenem Bekunden nach eine "Jugendorganisation, in der sich interessierte Jugendliche mit der schlesischen Kultur, den dortigen Sitten und Gebräuchen, der Mundart, der Geschichte, dem Schicksal der aus ihrer Heimat vertriebenen Menschen und allem, was noch über Schlesien zu wissen ist, beschäftigen und auseinandersetzen." Unter dem Deckmantel eines Vertriebenenverbands wird die SJ allerdings von aktiven Rechtsextremisten für Bestrebungen missbraucht, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind. Sowohl die "Schlesische Jugend - Bundesgruppe" als auch deren Landesgruppe Thüringen geben die "Bahnhofsgaststätte" in Marlishausen auf ihrer jeweiligen Internetpräsenz als Kontaktanschrift an. Die Immobilie war im Jahr 2011 von dem aus Thüringen stammenden und in Personalunion handelnden Vorsitzenden der SJ-Gruppen erworben worden. Danach fanden dort einzelne Veranstaltungen der SJ statt. Auf die Antwort der Landesregierung zur Kleinen Anfrage 925 in der Drucksache 6/2121 wird ergänzend verwiesen. Zudem bietet der rechtsextremistisch eingestufte Verein "Gedächtnisstätte e. V." Rechtsextremisten verschiedener Spektren eine Plattform zum Diskurs und mit seiner im Mai 2011 erworbenen Liegenschaft, dem 3 Drucksache 6/7051Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode ehemaligen Rittergut in Guthmannshausen, eine Begegnungsstätte. Er erfüllt damit eine wichtige organisationsübergreifende Vernetzungsfunktion innerhalb der gesamten rechtsextremistischen Szene, die auch völkisch geprägten Rechtsextremisten zur Verfügung steht. Darüber hinaus ist der Landesregierung ein Objekt in Thüringen bekannt, das für ein geplantes "Siedlungsprojekt " genutzt werden soll. Es handelt sich um ein kürzlich durch die rechtsextremistische Gruppierung "Nordadler" erworbenes Wohnhaus mit Grundstück in Hohenstein, Ortsteil Mackenrode. Die Gruppierung will über den Ankauf von Grundstücken im Bereich Mitteldeutschland und den Aufbau einer hierarchischen Organisation nach dem Vorbild der SS eine "autarke Gemeinschaft" entstehen lassen. Nach bisherigen Erkenntnissen scheinen hier allerdings völkische Beweggründe nicht im Vordergrund zu stehen. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Zu 2.: Eine "nachweisliche Einflussnahme auf zivilgesellschaftliche und politische Strukturen" in Thüringer Gemeinden ist der Landesregierung nicht bekannt. Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales stellt sowohl im Rahmen der Broschüre "Handlungsleitfaden für kommunale Entscheidungsträger in Thüringen zum Umgang mit Rechtsextremisten" Informationen für betroffene Gemeinden als auch direkte Unterstützung in konkreten Fällen beziehungsweise Sachverhalten bereit. Zu 3.: Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Zu 4.: Im Zeitraum vom 24. bis 25. März 2018 fand im Objekt des rechtsextremistischen Vereins "Gedächtnisstätte e. V." auf dem ehemaligen Rittergut in Guthmannshausen ein sogenanntes Vortragswochenende statt, bei dem von einem völkisch geprägten Teilnehmerkreis ausgegangen werden kann. Unter anderem sollte ein Vortrag zum Thema "Glaubensumbruch im Spiegel der Mythen und Märchen, insbesondere im Deutschen Volk" gehalten werden. Weitere Erkenntnisse zur Veranstaltung liegen nicht vor. Im Übrigen wird auf die Vorbemerkung verwiesen. Zu 5.: Auf die Antwort der Landesregierung zur Mündlichen Anfrage in der Drucksache 6/6487 und zur Zusatzfrage in der Drucksache 6/6594 wird verwiesen. Der Landesregierung liegen keine weiteren Erkenntnisse vor. Die Anastasia-Bewegung unterliegt nicht dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag des Amtes für Verfassungsschutz . Zu 6.: Gemäß der Internetseite www.urahnenerbe.de wurde für den 6. Mai 2018 eine Vortragsveranstaltung in Thüringen zu den Grundlagen "Urahnenerbe Germania" ohne Angabe eines konkreten Veranstaltungsortes beworben. Weitere Erkenntnisse liegen der Landesregierung nicht vor. Die Gruppierung "Urahnenerbe Germania" unterliegt nicht dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag des Amtes für Verfassungsschutz. Zu 7.: Wenngleich von einer gewissen Affinität auch Thüringer Rechtsextremisten zu den Ideen der "Völkischen Bewegung" auszugehen ist, erscheinen sie für die rechtsextremistische Szene in Thüringen insgesamt eher von untergeordneter Bedeutung zu sein. Insbesondere in den nach außen vertretenen politischen Forderungen und konkreten Bestrebungen sind allenfalls Versatzstücke der von der "Völkischen Bewegung" vertretenen Ideen feststellbar, so beispielsweise die stark rassistisch geprägte Vorstellungswelt. Maier Minister Völkische Siedlungen und Aktivitäten in Thüringen - Teil I Ich frage die Landesregierung: Vorbemerkung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: