30.04.2019 Drucksache 6/7159Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 14. Mai 2019 Polizeilicher Umgang mit Journalisten bei Veranstaltung der neonazistischen Szene in Fretterode - Teil I Die Kleine Anfrage 3668 - korrigierte Fassung - vom 29. November 2018 hat folgenden Wortlaut: Am 8. November 2018 fand in Fretterode in einem Privathaus eine als "Zeitzeugenvortrag" beworbene Veranstaltung mit einem ehemaligen Mitglied der Leibstandarte SS Adolf Hitler und späterem Mitglied der 12. SS-Panzerdivision statt. Dieser Zeitzeuge wurde als einer der Täter des Massakers von Ascq, bei dem 86 Franzosen erschossen wurden, im Jahr 1949 vom Militärgericht Metz zum Tode verurteilt, die Strafe wurde jedoch nie vollstreckt. Zum "Zeitzeugenvortrag" reisten circa 120 Neonazis an, die Anreise zu der als "privat" deklarierten Veranstaltung wurde unter anderem durch mehrere Journalisten begleitet. Laut Aussagen von Journalisten sowie einem Pressebericht im Göttinger Tageblatt kam es unter anderem zu verbalen Drohungen von Neonazis gegen die anwesenden Journalisten, ebenso gab es mehrere Versuche von Neonazis , die Arbeit der Journalisten zu be- und verhindern. Weiterhin beschwerten sich Neonazis bei der anwesenden Thüringer Polizei über die Journalisten, woraufhin laut Pressebericht der Polizeiführer die Journalisten aufgefordert habe, das Fotografieren zu unterlassen und mit Platzverweis und Löschung der Bilder drohte. Ebenso seien die Personalien der anwesenden Journalisten, darunter einer der beiden, die im April 2018 bei einem Angriff durch Neonazis in Fretterode schwer verletzt wurden, durch die Polizei gefordert wurden. Wie das Göttinger Tageblatt weiter schreibt, sollen diese an den Beschwerdeführer, der Veranstalter und Hausbesitzer, weitergegeben werden, um diesem, so der Polizeiführer, entsprechend dem Thüringer Polizeiaufgabengesetz den Schutz privater Rechte gewährleisten zu können und um gegen eine mögliche Veröffentlichung der Bilder vorzugehen. Vor einer Sicherstellung der Kamera oder der Vernichtung der Bilder wertet die Polizei die Weitergabe der Personalien als das "mildeste Mittel". Der Journalist könne seiner Tätigkeit so weiter nachgehen, heißt es weiter. Das Blatt zitiert auch die örtliche Polizeipressesprecherin : "Wenn er zu einem späteren Zeitpunkt doch widerrechtlich die gefertigten Aufnahmen von Besuchern veröffentlichen sollte, haben die Geschädigten die Möglichkeiten, ihre rechtlichen Interessen durchzusetzen , und die Polizei stellt dann die erhobenen und entsprechend dem Polizeiaufgabengesetz und der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung erhobenen und gespeicherten Daten den Berechtigten zur Verfügung". Weiter heißt es beim Göttinger Tageblatt: "Um möglichen Verstößen gegen das Kunsturhebergesetz (Recht am eigenen Bild) vorzubeugen, hätten sich die Polizisten nach dem Polizeiaufgabengesetz entschlossen, das Fotografieren zu verbieten und entsprechend dem Thüringer Polizeiaufgabengesetz mit der Sicherstellung der Kamera und Vernichtung der Aufnahmen zu drohen." Die Zeitung zitiert ein weiteres Mal die Pressesprecherin mit den Worten "Ein Journalist fertigt Fotos, nicht um sie privat für sich zu verwerten , sondern über ein Ereignis, auch mit Bildern zu berichten ... Immer im Kontext zur privaten Veranstaltung bestand hier eine Gefahr für die anreisenden Besucher, dass ihre von ihnen gefertigten Fotos gleich oder zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht werden." K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten König-Preuss (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7159 Ich frage die Landesregierung: 1. Wie und wann bekam die Polizei Kenntnis von der als privat deklarierten Veranstaltung und ab welchem Zeitpunkt war sie vor Ort präsent? 2. Gab es eine Gefahrenprognose für die vorbeschriebene Veranstaltung und wenn ja, wie lautete diese? 3. Was war der Einsatzbefehl für die eingesetzten Polizeibeamten? 4. Gab es im Vorfeld der Veranstaltung Absprachen zwischen der Polizei und dem Veranstalter? 5. Welche konkreten Anforderungen beziehungsweise Aufforderungen ergingen von den Teilnehmern der Veranstaltung auf dem Privatgrundstück an die Polizei und wie reagierte sie jeweils darauf? 6. Ist es nach Kenntnis der Landesregierung zutreffend, dass die Thüringer Polizei die anwesenden Journalisten aufforderte, das Fotografieren einzustellen und mit der Sicherstellung der Kamera und Vernichtung der Aufnahmen drohte und wenn ja, auf welcher Grundlage und mit welcher Begründung erfolgte dies? 7. Ist es nach Kenntnis der Landesregierung zutreffend, dass die Thüringer Polizei beabsichtigte, die Personalien der anwesenden Journalisten aufzunehmen, um diese an den Veranstalter beziehungsweise andere anwesende Neonazis weiterzugeben, den Schutz persönlicher Rechte gewährleisten zu können und um gegen eine mögliche Veröffentlichung der Bilder vorzugehen? 8. Welche Bewertung lag der Einschätzung des Polizeiführers zugrunde, dass die Situation des § 2 Satz 2 Polizeiaufgabengesetz vorliegt, nämlich "gerichtlicher Schutz nicht rechtzeitig zu erlangen ist und [wenn] ohne polizeiliche Hilfe die Verwirklichung des Rechts vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde" und wie bewertet die Landesregierung dies? 9. Welche rechtliche Grundlage lag der Aussage der genannten Pressesprecherin zugrunde, dass die Polizei die "entsprechend dem Polizeiaufgabengesetz und der Europäischen Datenschutz-Grundverordnung erhobenen und gespeicherten Daten den Berechtigten zur Verfügung" stellt und wie ist diese mit der Datenschutzrichtlinie für die Bereiche Justiz und Inneres (JI-Richtlinie) sowie mit dem Medienprivileg (Artikel 85 Datenschutz-Grundverordnung in Verbindung mit § 6 Thüringer Landesmediengesetz) vereinbar? 10. Wurden am oder nach dem 8. November 2018 Strafanzeigen im Zusammenhang mit dem Einsatz der Journalisten in Fretterode erstattet, wenn ja, von wem beziehungsweise gegen wen und aus welchem Anlass? 11. Welche Daten wurden am 8. November 2018 von den anwesenden Journalisten durch die Polizei erhoben , wo wurden diese gespeichert und wie wurden diese weiter verarbeitet? 12. Wurden inzwischen bereits Daten der Journalisten an den Veranstalter oder andere bei der Veranstaltung anwesende Neonazis durch die Polizei weitergereicht, wenn ja, welche Art von Daten waren dies und wann wurden sie weitergereicht? Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Landesregierung mit Schreiben vom 25. April 2019 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Polizei erhielt am 5. November 2018 telefonisch Kenntnis von der Veranstaltung. Der polizeiliche Einsatz in Fretterode begann am 8. November 2018 gegen 17:00 Uhr. Zu 2.: Es lagen keine konkreten Erkenntnisse zu Gefahren für die Veranstaltung oder von der Veranstaltung ausgehend vor. Aufgrund eines Angriffs auf Journalisten am 29. April 2018 im Bereich Fretterode entschloss sich die zuständige Polizeidienstelle dennoch zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung polizeiliche Maßnahmen vor Ort durchzuführen. 3 Drucksache 6/7159Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 3.: Die eingesetzten Polizeikräfte hatten den Auftrag, Störungen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung im Zusammenhang mit der Veranstaltung zu verhindern beziehungsweise zu unterbinden und deren Teilnehmer sowie weitere anwesende Personen, einschließlich Journalisten und Unbeteiligte, zu schützen. Zu 4.: Am 8. November 2018 nahm die Polizei telefonischen Kontakt mit dem Veranstalter auf, um Erkenntnisse zum Charakter der Veranstaltung und Teilnehmerzahlen zu erlangen. Weitere Absprachen zwischen Polizei und Veranstalter gab es nicht. Zu 5.: Der Polizei wurde mitgeteilt, dass Journalisten Fotos ankommender Veranstaltungsteilnehmer sowie über die Grundstücksmauer hinweg auf ein Privatgrundstück anfertigten. Die betroffenen Journalisten wurden seitens der anwesenden Polizeibeamten darauf hingewiesen, dass es sich um eine private Veranstaltung handelt. Darüber hinaus wurde die Gesetzeslage bezüglich des Rechts am eigenen Bild erläutert. Zu 6.: Aufgrund vermehrter Beschwerden von Veranstaltungsteilnehmern bei den eingesetzten Polizeibeamten über ein unzulässiges Fotografieren wurden die betroffenen Journalisten aufgefordert, Fotoaufnahmen, welche sich gegen das Recht auf das eigene Bild beziehungsweise die Privatsphäre richten, zu unterlassen. Bei einem Nichtnachkommen wurde die Sicherstellung der Kameras beziehungsweise die Löschung der Bilder angedroht. Ein allgemeines Verbot zu fotografieren wurde nicht ausgesprochen. Eine Beschlagnahme der Kameras beziehungsweise die Löschung der Bilder erfolgte nicht. Der Polizeiführer stützte diese Maßnahmen nach zweimaliger Rücksprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft in Mühlhausen auf die Aufgabe zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten gemäß § 2 Abs. 1 Polizeiaufgabengesetz (PAG) sowie unter Berücksichtigung der in Absatz 2 genannten Voraussetzungen auf die Aufgabe zum Schutz privater Rechte. Die Befugnis ergibt sich aus § 12 PAG. Zu 7.: Die Aufnahme der Personalien der betroffenen Journalisten erfolgte zunächst nur für den polizeilichen Vorgang zur Sicherung von zivil- und/oder strafrechtlichen Ansprüchen. So standen mögliche zivilrechtliche Unterlassungsansprüche seitens der Veranstaltungsteilnehmer gemäß § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch im Raum. Eine nachfolgende Weitergabe der Personalien wäre nach Gesetz nur bei berechtigten Ansprüchen erfolgt. Zu 8.: Veranstaltungsteilnehmer beschwerten sich bei der Polizei über Fotoaufnahmen von ihnen beziehungsweise über die Grundstücksmauer hinweg auf ein Privatgrundstück. Der Polizeiführer schätzte nach Rücksprache mit der zuständigen Staatsanwaltschaft Mühlhausen ein, dass ohne Handeln der vor Ort eingesetzten Polizeibeamten rechtliche Ansprüche im Zusammenhang mit dem Kunsturhebergesetz zumindest nur wesentlich erschwert zu verwirklichen gewesen wären, lägen die Daten der handelnden Journalisten nicht vor. Eine Identitätsfeststellung kann sich, sofern der polizeiliche Aufgabenbereich nach § 2 Abs. 2 PAG im Einzelfall eröffnet ist, nach §14 Abs. 1 Nr. 7 PAG richten. Demnach darf die Polizei die Identität einer Person zum Schutz privater Rechte feststellen. Zu 9.: Im vorliegenden Fall kam es zu keiner Datenübermittlung. Insofern besteht zur Datenschutzrichtlinie für die Bereiche Justiz und Inneres (JI-Richtlinie) sowie zu dem Medienprivileg (Artikel 85 Datenschutz-Grundverordnung in Verbindung mit § 6 Thüringer Landesmediengesetz) keine Diskrepanz. Sofern ein Betroffener eine zivilrechtliche Überprüfung journalistischen Verhaltens veranlassen möchte, wird er gleichwohl bestimmte Angaben dafür benötigen. Als rechtliche Grundlagen können grundsätzlich die §§ 2 Abs. 2 (Aufgaben der Polizei), 14 Abs. 1 Nr. 7 (Identitätsfeststellung) und 41 Abs. 2 PAG (Datenübermittlung ) in Betracht kommen. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7159 Zu 10.: Es wurden weder am noch nach dem 8. November 2018 Strafanzeigen aufgenommen. Zu 11.: Von den betroffenen Journalisten wurden die Namen und die Presseagentur/Medienerreichbarkeit im Einsatzprotokollsystem der Thüringer Polizei gespeichert. Eine weitere Verarbeitung der Daten erfolgte nicht. Zu 12.: Es wurden keine Daten übermittelt. Maier Minister Polizeilicher Umgang mit Journalisten bei Veranstaltung der neonazistischen Szene in Fretterode - Teil I Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: Zu 11.: Zu 12.: