09.05.2019 Drucksache 6/7204Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 29. Mai 2019 Angemessene Erinnerung an das Jubiläum "100 Jahre Gründung des Landes Thüringen " am 1. Mai 2020 sowie an das 30-jährige Jubiläum der Wiedergründung des Landes Thüringen am 3. Oktober 2020 Die Kleine Anfrage 3788 vom 26. März 2019 hat folgenden Wortlaut: Am 1. Mai 1920 schlossen sich die sieben thüringischen Volks- beziehungsweise Freistaaten Sachsen- Weimar-Eisenach, Sachsen-Meiningen, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Gotha, Schwarzburg-Rudolstadt, Schwarzburg-Sondershausen und der Volksstaat Reuß - ohne den ehemaligen Freistaat Coburg und die preußischen Gebiete Thüringens - auf der Grundlage des Reichsgesetzes vom 30. April 1920 zum Land Thüringen mit der Hauptstadt Weimar zusammen. Nach dem Verlust seiner Eigenstaatlichkeit im Nationalsozialismus und seiner vollständigen Auflösung im Zuge der Verwaltungsreform in der DDR im Jahre 1952 wurde das Land Thüringen im Ergebnis der friedlichen Revolution in den Jahren 1989/1990 auf der Grundlage des Ländereinführungsgesetzes vom 22. Juli 1990 mit Wirkung vom 3. Oktober 1990 wiedergebildet. Damit sind das Jahr 2020 und insbesondere die beiden Daten 1. Mai 2020 und 3. Oktober 2020 von besonderer identitätsstiftender Bedeutung für die Bevölkerung in Thüringen, an die mit entsprechenden Projekten und öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen analog zum 70-jährigen Jubiläum des Landes Nordrhein -Westfalen zu erinnern ist. Ich frage die Landesregierung: 1. Welche identitätsstiftende Bedeutung für die Bevölkerung Thüringens misst die Landesregierung der Gründung des Landes Thüringen am 1. Mai 1920 sowie seiner Wiedergründung am 3. Oktober 1990 bei? 2. Welchen politischen Stellenwert haben nach Auffassung der Landesregierung die beiden Gründungsdaten ? 3. Beabsichtigt die Landesregierung eigene Aktivitäten im Zusammenhang mit dem 100-jährigen Jubiläum des Landes Thüringen in einem vergleichbaren Umfang zu dem im Jahre 2016 betriebenen Aufwand seitens der Landesregierung für die Durchführung des Großereignisses "70 Jahre Nordrhein-Westfalen "? Falls nein, warum nicht? 4. Welche konkreten Projekte, Maßnahmen und öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen sind seitens der Landesregierung im Zusammenhang mit dem 100-jährigen Jubiläum der Gründung des Landes Thüringen geplant beziehungsweise werden durch sie unterstützt? Welche Projekte, Maßnahmen und Veranstaltungen sind konkret für den 1. Mai 2020 vorgesehen? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Kellner (CDU) und A n t w o r t der Thüringer Staatskanzlei 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7204 5. Welche konkreten Projekte, Maßnahmen und öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen werden seitens der Landesregierung im Kontext des 30-jährigen Jubiläums der Wiedergründung des Landes Thüringen für den 3. Oktober 2020 vorbereitet beziehungsweise durch sie gefördert? Welche Projekte, Maßnahmen und Veranstaltungen sind konkret für den 3. Oktober 2020 geplant? 6. Welche Abstimmungen beziehungsweise Absprachen zur Durchführung von öffentlichkeits-wirksamen Veranstaltungen und Maßnahmen anlässlich der beiden Gründungsjubiläen hat die Landesregierung bisher mit den verschiedenen Akteuren aus Kultur, Wissenschaft und Wirtschaft im Land geführt, um eine Unterstützung und insbesondere die fachliche Expertise für eine angemessene Erinnerung an die beiden Jubiläen abzusichern? Die Thüringer Staatskanzlei hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 8. Mai 2019 wie folgt beantwortet: Ich möchte zunächst vorausschicken, dass die Landesregierung die Jubiläen der Landesgründungen als Teil der in den Jahren 2018 bis 2020 stattfindenden Verfassungs- und Staatsjubiläen betrachtet. Diese sind geeignet, auf die historischen Grundlagen unseres staatlichen Zusammenlebens, seine Anfeindungen und seine heutige Relevanz hinzuweisen. Insbesondere die beiden Landesjubiläen müssen in einem gemeinsamen Kontext betrachtet werden. Zwar besteht keine formalrechtliche Kontinuität zwischen dem Land Thüringen von 1920, das bis 1952 beziehungsweise 1968 bestand, und dem heutigen Freistaat, mit dem Ländereinführungsgesetz vom 22. Juli 1990 hat jedoch der Gesetzgeber ohne Zweifel auf die alte Grenzziehung und Bezeichnung Bezug genommen. Ich gehe davon aus, dass das Jubiläumsjahr auch Anlass bieten wird, auf die Erweiterung des Thüringer Gebiets durch den ehemaligen preußischen Regierungsbezirk Erfurt im Jahr 1945 Bezug zu nehmen. Die Landesgründung von 1990 ist zudem nicht ohne die Friedliche Revolution zu denken, deren Jubiläum in diesem Jahr gefeiert wird. Zivilgesellschaft und Staat haben zu diesem Anlass ein umfangreiches Programm zusammengestellt. Zu 1. und 2.: Die Fragen 1 und 2 beantworte ich gemeinsam. Die Gründungen selbst sind Ausdruck einer demokratischen Ermächtigung, die mit Reformwillen und Optimismus einerseits, mit der Sorge vor der Zukunft andererseits verbunden war. In der konstituierenden Sitzung des Volksrates von Thüringen am 16. Dezember 1919, der den Zusammenschluss zum Land Thüringen vorbereitete, wird dieses in den Wortmeldungen deutlich. "Der neue Staat, zu dessen Gründung Sie berufen sind, wird ein Land werden, das sich im Kranze der deutschen Länder sehen lassen kann", so Staatsminister Paulssen. Aber bereits in seiner Eröffnungsansprache wird die schwierige Nahrungsmittelversorgung thematisiert und damit ein Schlaglicht auf die Zeitumstände nur kurze Zeit nach dem Ersten Weltkrieg geworfen. Mit dem Beschluss über die Gründung der Länder in der DDR, aber auch durch die Wiederherstellung autonomer kommunaler Strukturen war der bei weiten Teilen der Bevölkerung desavouierte Zentralismus durchbrochen und zugleich die Grundlage für einen schnellen Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland nach Artikel 23 Grundgesetz (alt) hergestellt worden. Die Länder waren allerdings nach dem Beitritt nicht nur mit den Folgen des wirtschaftlichen Zusammenbruchs und der gesellschaftlichen Umwälzungen konfrontiert, sondern waren auch der Notwendigkeit ausgesetzt, funktionierende Verwaltungen aufzubauen, um als gleichberechtigte föderale Partner wahrgenommen zu werden. Der 3. Oktober 1990, um die Frage nach den Daten konkret zu beantworten, steht, bezogen auf den hier zu Kontext stehenden Zusammenhang der Landesgründung, verdichtet für die genannten Chancen und Risiken des Transformationsprozesses aus föderaler Perspektive. Der 1. Mai 1920 zeigt, dass sich aus freien Stücken in kürzester Zeit, weniger als ein Jahr nach der Verabschiedung einer Verfassung für den Gesamtstaat , Länder zu einer umfassenden Neustrukturierung bereitgefunden haben. Der Zusammenschluss nur wenige Woche nach dem rechtsextremen Putschversuch von Freikorpsverbänden unter Walther von Lüttwitz und Wolfgang Kapp, der auch in den Thüringer Staaten Opfer gefordert hat, deutet auf die schwierige politische Lage in der sich die junge Weimarer Republik befand und die 1923/1924 schwerwiegende Folgen für das neue Land Thüringen entfalten sollte. Die über das Land verteilten Orte des politischen Geschehens stellen eine Chance dar, die Geschichte des republikanisch-demokratischen Aufbruchs auf dem Gebiet unseres Bundeslandes auch abseits der Zentren zu vermitteln. Eine Befassung der Menschen in Thüringen mit den Landesjubiläen kann allerdings nicht 3 Drucksache 6/7204Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode verordnet werden; dies erscheint in einer freiheitlichen Gesellschaft abwegig. Die Landesregierung kann lediglich Aufmerksamkeit erzeugen, um die Sichtbarkeit für dieses Thema im Kontext anderer Kultur- und Freizeitangebote zu erhöhen. Der republikanisch-demokratische Verfassungsstaat kann zwar die grundsätzliche Zustimmung zu seiner Verfassungsordnung einfordern, sollte allerdings, auch mit Blick auf das Menschenbild des souveränen, vernunftbegabten Individuums bezüglich weitergehender, verordneter Zugehörigkeitsbekenntnisse im Sinne einer Identitätsstiftung zurückhaltend verfahren. Gesellschaften sind überdies einem steten Wandel unterworfen . Dies gilt nicht zuletzt für Thüringen. Die Thüringer Bevölkerung von 1990 und erst recht die von 1920 sind mit der heutigen nicht identisch. Weg- und Zuzug haben zu erheblichen Veränderungen geführt. Künstliche Schranken, zum Beispiel durch ein Identitätskonstrukt, können sich auf die Teilhabe an sozialen , kulturellen und politischen Prozessen negativ auswirken. Es ist das Bestreben der Landesregierung, Angebote bereitzustellen, die zu einer Entwicklung oder Weiterentwicklung eines hinterfragenden, kritischen Geschichtsbewusstseins beitragen. Damit wird ein Beitrag zur Stärkung der Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger und zur Weiterentwicklung demokratischer Partizipation geleistet. Zu 3. bis 5.: Die Fragen 3, 4 und 5 beantworte ich gemeinsam. Die Landesregierung beabsichtigt, die Landesjubiläen mit einem Festakt auf Einladung des Ministerpräsidenten zu begehen. Die Ergänzung um bürgeroffene Formate ist angedacht. Die genaue Ausplanung erfolgt in den nächsten Wochen. Derzeit liegen der Thüringer Staatskanzlei Förderanträge seitens zivilgesellschaftlicher Kulturträger aus unterschiedlichen Sparten vor, die geeignet sind, ein vielfältiges und regional breit gestreutes Angebot zu gewährleisten . Eine abschließende Förderentscheidung ist allerdings noch nicht getroffen. Zudem ist davon auszugehen, dass zur Antragsfrist für das kommende Jahr im Oktober weitere Förderanträge aus dem Bereich der Kultur und Kunst eingehen werden. So wurde zum Beispiel gegenüber dem Museumsverband auf dieses Thema aufmerksam gemacht; entsprechende museale Projekte sollen bevorzugt unterstützt werden. Im Bereich der Landesverwaltung wird das Thüringer Landesarchiv eine auf das Thema orientierte Dokumentenausstellung in Weimar zeigen. Zudem wurde in den vergangenen Jahren durch das Landesarchiv in Kooperation mit der Friedrich-Schiller-Universität (FSU) Jena das Portal "thulex.de" aufgebaut, das es interessierten Laien oder auch Schülerinnen und Schülern im Rahmen des Unterrichts ermöglicht, sich mit der politischen Geschichte Thüringens in der Gründungszeit des Landes zu beschäftigen. Mit Fokus auf die Entwicklung des neueren Landes Thüringen wird das Landesamt für Statistik am 1. Oktober 2020 eine Festschrift unter dem Titel "30 Jahre Freistaat Thüringen im Spiegel der amtlichen Statistik" veröffentlichen. Im Geschäftsbereich des Thüringer Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport (TMBJS) haben Abstimmungen zu schulischen und außerschulischen Aktivitäten für die beiden Landesjubiläen im Schuljahr 2019/2020 begonnen. So plant das Thüringer Institut für Lehrerfortbildung, Lehrplanentwicklung und Medien (ThILLM) zur Ausstellung "Krieg im Äther" (18. Juli bis 20. September 2019) gemeinsam mit dem Stadtmuseum Neustadt /Orla Aktivitäten. Hierbei hat das ThILLM mit den Ausstellungskuratoren ein gleichnamiges Medienobjekt entwickelt, das Thüringer Schulen kostenfrei zum Download zur Verfügung stehen soll. Das TMBJS verweist außerdem darauf, dass für die Unterrichtsfächer des gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeldes die Themen der beiden Jubiläen zu den Kernbereichen in der Kompetenzentwicklung gehören, zu denen auf der Basis der geltenden Lehrpläne Fortbildungsveranstaltungen und Materialien angeboten werden . Weitere Maßnahmen im Geschäftsbereich des TMBJS können folgen, sobald der Landeshaushalt 2020 in Kraft getreten ist. Konkrete Erkenntnisse zu Art und Umfang der Feierlichkeiten in Nordrhein-Westfalen liegen der Landesregierung nicht vor. Zu 6.: Die Landesregierung hat im Bereich der Staatskanzlei einen Fachbeirat für die Verfassungs- und Landesjubiläen 2018 bis 2020 gebildet. Diesem gehören an: • Prof. Dr. Carola Dietze, Inhaberin des Lehrstuhls für Neuere Geschichte an der FSU Jena 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7204 • Prof. Dr. Michael Dreyer, Leiter des Arbeitsbereichs für Politische Theorie und Ideengeschichte an der FSU Jena und Vorsitzender des Vereins Weimarer Republik e.V. • PD Dr. Stefan Gerber, Leiter der Forschungsstelle für Neuere Regionalgeschichte an der FSU Jena und Mitglied des Vorstands der Historischen Kommission für Thüringen e.V. • Prof. Dr. Anke John, Inhaberin der Professur für Geschichtsdidaktik an der FSU Jena • Dr. Bernhard Post, ehem. Leiter des Landesarchivs und Mitglied des Vorstands der Historischen Kommission für Thüringen e.V. Die betreffenden Personen sind nicht nur aufgrund ihrer institutionellen Zusammenhänge, sondern auch aufgrund ihrer einschlägigen Publikationen für die hier geforderte beratende Tätigkeit geeignet. Darüber hinaus steht die Staatskanzlei mit den antragstellenden Einrichtungen und ausgewählten Verbänden , zum Beispiel dem Museumsverband, in Verbindung. Prof. Dr. Hoff Minister Angemessene Erinnerung an das Jubiläum "100 Jahre Gründung des Landes Thüringen" am 1. Mai 2020 sowie an das 30-jährige Jubiläum der Wiedergründung des Landes Thüringen am 3. Oktober 2020 Ich frage die Landesregierung: Zu 1. und 2.: Zu 3. bis 5.: Zu 6.: