20.05.2019 Drucksache 6/7238Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 12. Juni 2019 Zunahme von Masernerkrankungen: Gefahr für Thüringen? Die Kleine Anfrage 3798 vom 1. April 2019 hat folgenden Wortlaut: Laut Medienberichten steigt die Zahl der Maserninfektionen in Deutschland an, auch weltweit nehmen laut Weltgesundheitsorganisation und dem UN-Kinderhilfswerk Unicef die Fälle zu. In Thüringen kam es in der Vergangenheit zu größeren Masernausbrüchen, zum Beispiel an Schulen in Erfurt und Jena. Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Gefahren sieht die Landesregierung in den Masernausbrüchen in einigen Bundesländern für Thüringen? 2. Welche Vorbereitungen hat die Landesregierung gegebenenfalls getroffen beziehungsweise welche Gegenmaßnahmen plant sie? 3. Wie viele Fälle von Masern wurden seit Jahresbeginn in Thüringen festgestellt? 4. Wie hat sich die Zahl der Masernerkrankungen in Thüringen in den vergangenen fünf Jahren in Thüringen entwickelt? 5. Wie viel Prozent der Thüringerinnen und Thüringer sind nach Kenntnis der Landesregierung gegen Masern geimpft und wie hat sich diese Zahl in den vergangenen fünf Jahren entwickelt (bitte aufschlüsseln nach Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen)? 6. Gibt es hinsichtlich der Impfquote regionale Unterschiede in Thüringen, und falls ja, welche? 7. Wie steht die Landesregierung zu einer Impfpflicht gegen Masern? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 20. Mai 2019 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Masern sind mit einer Übertragungsrate von nahezu 100 Prozent eine hochansteckende Erkrankung, die bereits bei flüchtigem Kontakt, zum Beispiel in öffentlichen Verkehrsmitteln, übertragen werden kann. K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Zippel (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7238 Mit Masern infizierte Personen können Masernviren bereits fünf Tage vor Auftreten des maserntypischen Exanthems auf ungeschützte Personen übertragen. Infizierte Reisende aus anderen Bundesländern oder beispielsweise Berufspendler können die Erkrankung somit weiterverbreiten, auch wenn sie selbst offensichtlich noch gar nicht an Masern erkrankt sind. Beim vermehrten Auftreten von Masernerkrankungen in anderen Bundesländern besteht daher immer auch ein potentielles Ansteckungsrisiko für die Thüringer Bevölkerung . Dieses Risiko betrifft Personen, die nicht oder nicht vollständig gegen Masern geimpft sind und in der Vergangenheit noch nicht an den Masern erkrankt waren. Besonders gefährdet sind Säuglinge, die noch nicht gegen Masern geimpft werden können. Aufgrund der für einen Herdenschutz nicht ausreichenden Impfquoten (siehe Antwort zur Frage 5), sind in Thüringen insbesondere Kleinkinder gefährdet. Trifft die Infektion auf Kohorten mit besonders geringen Impfquoten, zum Beispiel in anthroposophisch ausgerichteten Schulen und Kindertageseinrichtungen, kann es zu größeren Erkrankungsgeschehen kommen. Dies zeigten zum Beispiel die Ausbrüche in Jena und Erfurt in den Jahren 2013 und 2015. Auch bei Jugendlichen und nach dem Jahr 1970 geborenen Erwachsenen bestehen Impflücken, dies zeigt der in den vergangenen Jahren deutlich gestiegene Anteil an Erkrankungsfällen in dieser Altersgruppe. Zu 2.: In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu größeren Masernausbrüchen in Thüringen und anderen Bundesländern. Bei gesamtdeutscher Betrachtung der Erkrankungszahlen ist in den Jahren 2018 und 2019 (Stand: 8. April 2019) keine signifikant erhöhte Masernaktivität im Vergleich zu den Vorjahren festzustellen . Die gesetzliche Meldepflicht gemäß §§ 6 und 7 Infektionsschutzgesetz sowie die Benachrichtigungspflicht gemäß § 34 Abs. 6 Infektionsschutzgesetz stellen wichtige Instrumente dar, um ein frühzeitiges Handeln der Gesundheitsämter im Sinne von Maßnahmen der Ausbruchsverhinderung beziehungsweise -bekämpfung zu ermöglichen. Eine Maßnahme, um Impfquoten in der Thüringer Bevölkerung nachhaltig zu erhöhen, ist eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit. Einen wichtigen Beitrag leistet hier das Thüringer Impfportal *, welches zielgruppenspezifisch, transparent und leicht verständlich über Schutzimpfungen informiert. Die enge Verzahnung mit der Forschung ist bei diesem Projekt bundesweit einzigartig. Darüber hinaus wurden im Rahmen der Kampagne "Impfen 60+" 40.000 Flyer an etwa 600 Arztpraxen und Apotheken in Thüringen versandt, weitere 280.000 Flyer lagen Zeitschriften und Tageszeitungen bei. Des Weiteren hat sich die Einführung des Erinnerungswesens für die sogenannten "U-Vorsorgeuntersuchungen ", die immer auch eine Überprüfung des Impfstatus und eine Impfberatung beinhalten, in Thüringen bewährt. Dies belegen die außerordentlich hohen Teilnahmequoten. Zu 3.: Mit Stand 6. Mai 2019 wurden in Thüringen im Jahr 2019 bislang drei Masernerkrankungen gemeldet. Zu 4.: Die Entwicklung der Erkrankungszahlen seit dem Jahr 2014 ist in Tabelle 1 dargestellt. Tabelle 1: Gemeldete Masernfälle in Thüringen, Stand: 06.05.2019, (Quelle: survstat@RKI) Meldejahr Fallzahl 2014 0 2015 169 2016 35 2017 6 2018 1 2019 3 Zu 5.: Impfquoten werden im Rahmen der Vorsorgeuntersuchungen des kinder- und jugendärztlichen Dienstes der Gesundheitsämter erhoben. Aufgrund der Teilnahmequote von 100 Prozent ergeben insbesondere die im Rahmen der Schuleingangsuntersuchungen gewonnenen Daten ein repräsentatives Bild der Impfquoten (Tabelle 2). 3 Drucksache 6/7238Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Tabelle 2: Masern-Impfquoten (in Prozent) in Thüringen (vollständiger Impfschutz, zwei Impfdosen), Daten der Schuleingangsuntersuchungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes, Quelle: Landesverwaltungsamt Schuljahr Impfpass vorgelegt (in Prozent) Impfquote* 2013/2014 94,6 93,6 2014/2015 94,3 93,4 2015/2016 93,5 92,8 2016/2017 92,8 93,1 2017/2018 92,9 93,2 * es wurden nur die Kinder berücksichtigt, von denen ein Impfpass vorlag Das Robert Koch-Institut wertet darüber hinaus Abrechnungsdaten der Krankenkassen aus und veröffentlicht regelmäßig die daraus berechneten Impfquoten. Bislang erfolgt diese Auswertung in Bezug auf die Masernimpfung nur für Kinder im Alter von 24, 36, 48 und 72 Monaten. Da nicht für alle Geburtsjahrgänge Daten aller Altersgruppen verfügbar sind, beschränkt sich Tabelle 3 der besseren Vergleichbarkeit halber auf die Daten von Kindern im Alter von 24 Monaten für die Geburtsjahrgänge 2010 bis 2014. In diesem Alter sollte gemäß der Empfehlung der Ständigen Impfkommission ein vollständiger Masernimpfschutz (entspricht zwei Impfdosen) vorliegen. Die Thüringer Impfquoten lagen hier in den betrachteten Geburtsjahrgängen immer unter dem Bundesdurchschnitt. Ein Vergleich der KV-Abrechnungsdaten mit den Daten der Schuleingangsuntersuchungen zeigt, dass in Thüringen viele Kinder zu spät und nicht entsprechend den Altersempfehlungen der Ständigen Impfkommission geimpft werden. Für weitere Altersgruppen erfolgt keine regelhafte Erhebung von Impfquoten. Tabelle 3: Masern-Impfquoten (in Prozent) in Thüringen im Alter von 24 Monaten (vollständiger Impfschutz, zwei Impfdosen ), Daten der KV-Impfsurveillance, Quelle: www.vacmap.de Geburtsjahrgang Thüringen Deutschland 2010 68,5 71,1 2011 65,3 70,4 2012 67,7 71,3 2013 69,5 73,7 2014 70,6 73,9 Zu 6.: Sowohl bei den im Rahmen der Untersuchungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes gewonnenen Daten (Anlage), als auch bei den Daten der KV-Impfsurveillance (Abbildung 1) fallen deutliche regionale Unterschiede auf. Insbesondere die Landkreise Hildburghausen und Altenburger Land zeigen in beiden Erhebungen sehr niedrige Impfquoten. In anderen Regionen gibt es dagegen Unterschiede zwischen den betrachteten Altersgruppen. So zeigte beispielsweise Gera bei den Zweijährigen die niedrigste Impfquote von nur 53,2 Prozent, während die Impfquote bei den Schulanfängern nur knapp unter 95 Prozent lag. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7238 Seite 3 von 5 dass in Thüringen viele Kinder zu spät und nicht entsprechend den Altersempfehlungen der STIKO geimpft werden. Für weitere Altersgruppen erfolgt keine regelhafte Erhebung von Impfquoten. Tab. 3: Masern-Impfquoten (in %) in Thüringen im Alter von 24 Monaten (vollständiger Impfschutz , zwei Impfdosen), Daten der KV-Impfsurveillance, Quelle: www.vacmap.de Geburtsjahrgang Thüringen Deutschland 2010 68,5 71,1 2011 65,3 70,4 2012 67,7 71,3 2013 69,5 73,7 2014 70,6 73,9 Zu 6.: Sowohl bei den im Rahmen der Untersuchungen des Öffentlichen Gesundheitsdienstes gewonnenen Daten (Anlage 1), als auch bei den Daten der KV-Impfsurveillance (Abb. 1) fallen deutliche regionale Unterschiede auf. Insbesondere die Landkreise Hildburghausen und Altenburger Land zeigen in beiden Erhebungen sehr niedrige Impfquoten. In anderen Regionen gibt es dagegen Unterschiede zwischen den betrachteten Altersgruppen. So zeigte beispielsweise Gera bei den 2-Jährigen die niedrigste Impfquote von nur 53,2 %, während die Impfquote bei den Schulanfängern nur knapp unter 95 % lag. 84,3 83,6 79,8 76,2 75,8 75,6 75,0 74,7 73,5 71,9 71,1 71,0 69,8 68,8 67,7 67,2 66,9 64,3 63,9 63,3 55,9 55,8 53,2 0,0 10,0 20,0 30,0 40,0 50,0 60,0 70,0 80,0 90,0 100,0 Abbildung 1: Regionale Unterschiede bei den Masern-Impfquoten (in Prozent) in Thüringen, Geburtsjahrgang 2014, Alter von 24 Monaten (vollständiger Impfschutz, zwei Impfdosen), Daten der KV-Impfsurveillance, das WHO-Ziel (95 Prozent ) ist als rote Linie dargestellt, Quelle: www.vacmap.de Zu 7.: Außer Frage steht, dass eine verpflichtende Masernimpfung zu einer signifikanten Erhöhung der Masern- Impfquoten und somit zur schnelleren Erreichung des WHO-Ziels einer Impfquote von 95 Prozent beitragen kann. Allerdings müsste zunächst geklärt werden, ob die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für die Regelung einer allgemeinen Impfpflicht im Falle der Masern überhaupt erfüllt sind. Bei der ethischen Bewertung einer Impfpflicht muss letztlich auch die komplexe Frage beantwortet werden, ob der Schutz nicht impffähiger Personen (zum Beispiel Säuglinge) vor den Masern höher bewertet wird als die individuellen Freiheitsrechte von zu impfenden Personen beziehungsweise deren Sorgeberechtigter. Darüber hinaus sind auch mögliche negative psychologische Effekte einer Impfpflicht abzuwägen. So lassen Studien den Schluss zu, dass durch eine Impfpflicht gegen bestimmte Krankheiten die Bereitschaft für andere, freiwillige Impfungen sinken kann (Betsch C, Böhm R: Detrimental effects of introducing partial compulsory vaccination : experimental evidence. The European Journal of Public Health 2016; 26 (3), S. 378 bis 381). Negative Einstellungen gegenüber Impfungen könnten durch Zwangsmaßnahmen noch verstärkt werden. Somit kann die Akzeptanz von Schutzimpfungen in der Bevölkerung sinken. Die vorliegenden Daten zeigen, dass ein Hauptgrund für die zu geringen Masernimpfquoten die häufig zu späte Impfung der Kinder in Thüringen ist. Dies kann daran liegen, dass Impftermine aufgrund falscher Kontraindikationen (zum Beispiel leichte Erkältung) zu oft verschoben oder sie schlicht vergessen werden. Eltern , die Impfungen ihrer Kinder aus pseudowissenschaftlichen, religiösen oder weltanschaulichen Gründen kategorisch ablehnen, sind in Deutschland dagegen eine sehr kleine Minderheit. Vor der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht, sollten aus Sicht der Thüringer Landesregierung auch andere Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die Impfquoten zu erhöhen. Beispielhaft können hier angeführt werden: Verbesserungen beim Zugang zu Schutzimpfungen, positive Anreize (zum Beispiel Vergünstigungen, Bonus- 5 Drucksache 6/7238Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode programme) bis hin zu Abschreckungsmaßnahmen (zum Beispiel Beteiligung an den Behandlungskosten bei impfpräventablen Krankheiten) oder der Erschwerung des Zugangs zu Kindertagesstätten oder anderen öffentlichen Einrichtungen. Das Kabinett hat am 16. April 2019 Einigung darüber hergestellt, die Fraktionen des Thüringer Landtags zu bitten, bei den beiden derzeit im Landtag vorliegenden Gesetzesverfahren, der Novelle des Kita-Gesetzes und die Novelle des Schulgesetzes, Regelungen zu treffen, mit denen ein Nachweis der von der Ständigen Impfkommission des Robert Koch-Instituts empfohlenen Schutzimpfungen erfolgen soll. Eine Bundesratsinitiative für entsprechend bundesweit einheitliche Regelungen soll initiiert respektive als Mitantragsteller unterstützt werden. Werner Ministerin Endnote: * Vergleiche http://www.thüringen-impft.de 6 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7238 Anlage S uh l E rf ur t W ei m ar Je na G er a E is en ac h E ic hs fe ld N or dh au se n K yf fh äu se rk re is U ns tr ut -H ai ni ch -K re is W ar tb ur gk re is S ch m al ka ld en - M ei ni ng en G ot ha Ilm -K re is S öm m er da W ei m ar er La nd S aa le - H ol zl an d - K re is G re iz S aa le - O rl a- K re is S aa lfe ld - R ud ol st ad t S on ne be rg H ild bu rg h au se n A lte nb ur ge r La nd A lte rs ge re ch te r Im pf sc hu tz g eg en M as er n un te r 91 ,5 91 ,5 b is u nt er 9 2, 5 92 ,5 b is u nt er 9 3, 5 93 ,5 b is u nt er 9 4, 5 94 ,5 u nd m eh r Th ür in ge r E in sc hu lu ng sk in de r 2 01 7 Im pf qu ot en in P ro ze nt Q ue lle : T hü rin ge r La nd es ve rw al tu ng sa m t / T hü rin ge r La nd es am t f ür S ta tis tik / T hü rin ge r G es un dh ei ts äm te r Zunahme von Masernerkrankungen: Gefahr für Thüringen? Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Endnote: Anlage