18.07.2019 Drucksache 6/7479Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 29. Juli 2019 Die Situation von Kindern und Jugendlichen als pflegende Angehörige in Thüringen Die Kleine Anfrage 3908 vom 27. Mai 2019 hat folgenden Wortlaut: Wenn Eltern, Geschwister oder Großeltern schwer oder chronisch erkranken, übernehmen regelmäßig auch Kinder und Jugendliche deren Pflege und Versorgung. Die auch als "Young Carer" bezeichneten betroffenen Kinder beziehungsweise Jugendlichen übernehmen dann Haushaltstätigkeiten, kümmern sich um gesunde Geschwister oder leisten "klassische" Pflegetätigkeiten, die üblicherweise in den Zusammenhang mit Erwachsenenpflege gebracht werden. Die Kinder und Jugendlichen selbst reden aus Furcht, beispielsweise vor Stigmatisierung oder Ausgrenzung, oft nicht über die Aufgaben, die sie in der Familie übernehmen müssen. So bleiben die Zusammenhänge der Öffentlichkeit weitgehend verborgen. Dies gilt umso mehr, wenn Fachpersonen (wie Lehrer oder Schulsozialarbeiter) nicht hinreichend sensibilisiert und geschult sind. So werden betroffene Kinder und Jugendliche oft nicht identifiziert und bedarfsgerechte Hilfsangebote bleiben aus. Die Belastungen der Betroffenen haben nicht selten negative körperliche, psychische, soziale oder schulische Folgen. Dies bestätigt auch der Abschlussbericht des Projekts "Die Situation von Kindern und Jugendlichen als pflegende Angehörige" des Departments für Pflegewissenschaft der Universität Witten/Herdecke . Demnach seien in den letzten Jahren zunehmend Initiativen entstanden, welche die Unterstützung für Kinder von chronisch kranken Angehörigen anbieten. Die meisten dieser Initiativen adressierten jedoch ausschließlich Kinder psychisch kranker Eltern. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene bis zum 21. Geburtstag übernehmen seit 2009 nach Kenntnis der Landesregierung in Thüringen eine Pflegeverantwortung (bitte nach Altersgruppen, Landkreisen und Jahren aufschlüsseln)? 2. Wie viele Haushalte von Alleinerziehenden sind nach Kenntnis der Landesregierung in Thüringen seit 2009 betroffen (bitte nach Altersgruppen, Landkreisen und Jahren aufschlüsseln)? 3. Welche Unterstützungsmöglichkeiten gibt es für betroffene Thüringer Familien? 4. Welche Maßnahmen plant die Landesregierung, um ein flächendeckendes Unterstützungsangebot für Kinder und Jugendliche, die körperlich kranke Angehörige pflegen, sicherzustellen? 5. Welche Materialien, die altersgemäß aufklären, wurden für betroffene Kinder und Jugendliche nach Kenntnis der Landesregierung seit 2009 herausgegeben und wie erreichen diese Materialien die Zielgruppen? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Herold (AfD) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7479 6. Welche Maßnahmen für betroffene Kinder und Jugendliche werden von den Schulen in Thüringen ergriffen , um die Teilnahme am Schulunterricht und schulischen Veranstaltung optimal zu ermöglichen? 7. Was wurde unternommen, um in die Ausbildung von Erziehern und Lehrern die Kenntnisse zu integrieren , die es erleichtern, betroffenen Kindern und Jugendlichen zu helfen? 8. In welchem Ausmaß wird das Thema in den Fortbildungsangeboten für Erzieher, Lehrer und Schulpsychologen in Thüringen berücksichtigt? 9. Welche öffentlichen Aufklärungsmaßnahmen zum Thema "Kinder und Jugendliche als pflegende Angehörige " wurden von Seiten der Landesregierung in der fünften und sechsten Legislaturperiode ergriffen? 10. Welche privat organisierten Hilfsangebote für sogenannte "Young Carer" wurden in den vergangenen zehn Jahren aus Landesmitteln in ihrer Arbeit unterstützt (bitte nach Jahren und Organisationen aufschlüsseln )? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 17. Juli 2019 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Kinder, die einen oder mehrere Angehörige pflegen, sind besonderen Belastungen ausgesetzt. Neben der Problematik der Stigmatisierung, den Schuldgefühlen spielt auch die sogenannte Parentifizierung eine erhebliche Rolle. Familien und insbesondere die Kinder benötigen daher besondere psychosoziale Unterstützungsleistungen . Zu 1.: Statistische Angaben zu Kindern und Jugendlichen als pflegende Angehörige liegen weder dem Fachministerium , noch dem Thüringer Landesamt für Statistik oder den Pflegekassen vor. In der Regel haben die Pflegekassen keine Kenntnis über Kinder/Jugendliche, die in die Pflege/Betreuung in der Familie involviert sind. Es sei denn, es gibt einen gezielten Hinweis aus den betroffenen Familien oder vom Arzt oder anderen Behörden. Dies ist aber sehr selten der Fall. Zu 2.. Auf die Antwort zu Frage 1 wird verwiesen. Zu 3.: Neben den klassischen Erziehungs- und Familienberatungsstellen gemäß § 28 des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) und der Möglichkeit der Inanspruchnahme von Leistungen der Jugendhilfe und den unten ausgeführten notwendigen pflegerischen Unterstützungsleistungen können Kinder psychisch kranker Eltern auf das Gruppenangebot der Seelensteine in Erfurt zurückgreifen. Neben der spielerischen Psychoedukation erhalten auch ratsuchende Elternteile hier Hilfestellung. So bieten die Erfurter Seelensteine neben einem wöchentlichen Elternkurs ebenso jeden 2. Dienstag im Monat ab 14 Uhr im Katholischen Krankenhaus eine Familiensprechstunde für ratsuchende psychisch kranke Eltern an. Im Recht der Pflegeversicherung geht es in erster Linie um Leistungen für die Pflegebedürftigen selbst. Für Betroffene besteht in jedem Fall als erstes Unterstützungsangebot die Möglichkeit der Aufklärung und Auskunft (§ 7 SGB XI) sowie aufsuchenden Pflegeberatung (§ 7a SGB XI) durch die Pflegekasse. Entscheidend ist hier die Bereitschaft der Familie, Hilfsangebote anzunehmen, ob durch die Pflegekasse und/oder das Jugendamt. Nach Information der AOK PLUS wird durch die Pflegekasse der Kontakt zum Jugendamt gesucht, um gezielte Hilfe und Unterstützung nutzbar zu machen. Für den Bereich der Pflege wird immer der erste Schritt sein, gezielte Hilfen zu organisieren, wie die Einbeziehung eines Pflegedienstes, einer Tagespflege oder Entlastungsleistungen, um eine Entlastung für das Kind/den Jugendlichen zu schaffen. 3 Drucksache 6/7479Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Exemplarisch wird im Folgenden auf mögliche Hilfeleistungen der Pflegeversicherung nach dem SGB XI eingegangen: So erhalten Pflegebedürftige ab Pflegegrad 2 aus der Pflegeversicherung ein monatliches Pflegegeld, um damit die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung in geeigneter Weise selbst sicherzustellen (§ 37 SGB XI). Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass sich Pflegebedürftige von einem ambulanten Pflegedienst in der eigenen Häuslichkeit betreuen lassen. Um die professionelle Pflege dieser Dienste finanzieren zu können, erhalten die Betroffenen von ihrer Pflegekasse die sogenannten Pflegesachleistungen (§ 36 SGB XI). Die Leistungsansprüche bei Pflegegrad 1 ergeben sich aus § 28 a SGB XI. Dazu gehören zum Beispiel Beratungsleistungen , die Versorgung mit Pflegehilfsmitteln oder Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes . Wie bereits erwähnt, haben Betroffene (Pflegebedürftige) weiterhin einen Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch einen Pflegeberater ihrer Pflegekasse nach § 7a SGB XI. Auf Wunsch erfolgt die Pflegeberatung auch gegenüber den Angehörigen oder unter deren Einbeziehung. Sie kann entsprechend den Vorstellungen des Pflegebedürftigen in der häuslichen Umgebung durchgeführt werden. Zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen nach § 45 b SGB XI werden als Zuschuss aus der Pflegeversicherung gewährt. Alle Pflegebedürftigen, die eine Einstufung in einen Pflegegrad erhalten haben und in der eigenen Häuslichkeit leben, können den Entlastungsbetrag von 125 Euro pro Monat nutzen, welcher zweckgebunden einzusetzen ist. Die Leistungen sollen zum Beispiel dazu beitragen, dass die Anspruchsberechtigten und ihre Angehörigen im Haushalt unterstützt werden, sie im Alltag eine Begleitung erhalten, etwa beim Arztbesuch, oder die Angehörigen als Pflegende entlastet werden (zum Beispiel durch Angebote zur Unterstützung im Alltag aber auch für Leistungen der Tages- und Nachtpflege sowie Kurzzeitpflege). Zur Unterstützung von Familien in Thüringen hat die Landesregierung zum 1. Januar 2019 das Landesprogramm "Solidarisches Zusammenleben der Generationen" auf den Weg gebracht. Ziel ist die Sicherung, Stärkung und Initiierung einer den jeweiligen regionalen Voraussetzungen entsprechenden und an den Bedarfen von Familien orientierten Infrastruktur, welche das Zusammenleben der Generationen sowie die Eigenverantwortung der Landkreise und kreisfreien Städte stärkt. Ab dem Jahr 2020 soll das Landesprogramm im Hinblick auf "Pflege" erweitert werden. Dies kann, sofern dies in der Sozialplanung berücksichtigt wird, auch Unterstützungsleistungen für Kinder und Jugendliche als pflegende Angehörige einschließen. Zu 4.: Derartige Pläne existieren nicht, auf die Ausführungen zu Frage 3 wird verwiesen. Durch die gesetzlichen Regelungen der Sozialgesetzbücher, die Gesundheit, Pflege sowie die Kinder- und Jugendhilfe regeln, sollen Minderjährige von nicht altersgemäßen Pflichten entbunden werden. Nichts destotrotz ist ein Pflegefall in der Regel für Familienmitglieder, auch für Kinder, immer belastend. Hierzu greifen Angebote der Jugendämter , der Jugendhilfe und trialogische Prozesse in der ärztlichen Versorgung oder soziale Unterstützungsmaßnahmen im Landesprogramm "Solidarisches Zusammenleben der Generationen" vor Ort. Zu 5.: Im Rahmen des bundesweiten Schulprogramms "MindMatters" können Materialien und Unterrichtseinheiten in Thüringer Schulen bereitgestellt werden. Diese Materialien haben die Förderung der psychischen Gesundheit von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern sowie nicht unterrichtendem Personal zum Ziel. Hierbei können die Verbundenheit mit der Schule, die soziale Unterstützung, das Selbstwertgefühl , das Selbstvertrauen und das Gefühl der Einflussnahme (Partizipation) gestärkt werden. Die Materialien können dabei im Fachunterricht als Unterrichts- sowie Schulentwicklungsmodul von den Lehrern/Lehrerinnen eingesetzt werden Seit dem Jahr 2018 wird das Programm durch die Landesvereinigung für Gesundheitsförderung Thüringen e.V. (AGETHUR) koordiniert. Die AGETHUR führt in Kooperation mit einer Vertreterin der Unfallkasse Thüringen Fortbildungen für Lehrer /Lehrerinnen und weitere Fachkräfte an Schulen durch. Durch die Fortbildungen werden die Lehrer/Leh- 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7479 rerinnen und weitere Fachkräfte befähigt, ausgewählte Unterrichtseinheiten und Module des Programms "MindMatters", wie zum Beispiel "Mit Stress umgehen - im Gleichgewicht bleiben" eigenständig im Unterricht einzusetzen. Die Fortbildungen werden thüringenweit angeboten und Materialien, die von der BAR- MER Landesvertretung Thüringen finanziert werden, werden den Schulen bereitgestellt. Diese Materialien können unterstützend von Lehrern/Lehrerinnen und weiteren schulischen Fachkräften verwendet werden. Ein weiteres Schulprogramm stellt das Projekt "Verrückt? Na und!" als ein Projekt für Schülerinnen/Schüler ab der 8. Klassenstufe dar. Dieses hat die Förderung der seelischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zum Ziel. Das Projekt wurde von Irrsinnig Menschlich e.V. entwickelt und wird in der BARMER und gesundheitsziele.de geführt. In Thüringen existiert das Projekt seit dem Jahr 2013 und soll flächendeckend in über sogenannte Regionalgruppen etabliert werden. Der Aufbau der Regionalgruppen wird in Thüringen von der AGETHUR koordiniert . Derzeit existieren neun Regionalgruppen in Thüringen (Stadt Erfurt, Stadt Jena, Stadt Weimar, Altenburger Land, Stadt Nordhausen, Landkreis Hildburghausen, Wartburgkreis/Stadt Eisenach, Saale-Holzland -Kreis). Teilweise sind die Regionalgruppen bei den Gesundheitsämtern angesiedelt, teilweise liegt die Zuständigkeit bei freien Trägern, wie zum Beispiel Leistungserbringern der Suchthilfe. Zu 6.: Es wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Zu 7.: Es wird auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Zu 8.: Auf die Antwort zu Frage 5 wird verwiesen. Zu 9.: Hierzu liegen keine Informationen vor. Zu 10.: Es wird auf die in den Fragen 3 und 5 genannten Projekte verwiesen. Werner Ministerin Die Situation von Kindern und Jugendlichen als pflegende Angehörige in Thüringen Ich frage die Landesregierung: Vorbemerkung: Zu 1.: Zu 2.. Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: