19.07.2019 Drucksache 6/7481Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 31. Juli 2019 Antragsverfahren nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) in Thüringen Die Kleine Anfrage 3917 vom 3. Juni 2019 hat folgenden Wortlaut: Das Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten ermöglicht Betroffenen einer vorsätzlichen Gewalttat, hierzu zählen auch sexualisierte Gewalttaten, und der dadurch erlittenen gesundheitlichen Schädigung , die Gewährung von Entschädigungsleistungen, wenn sie ihren Anspruch auf Opferentschädigung geltend machen. Für die Antragsverfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz ist das Thüringer Landesverwaltungsamt die zuständige Behörde, wenn die Gewalttat in Thüringen erfolgte. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie gestaltet sich das Antragsverfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz in Thüringen? 2. Wie lange dauert die Bearbeitung eines Antrags nach dem Opferentschädigungsgesetz im Durchschnitt? 3. Nach welchen juristischen und fachlichen Kriterien und von wem werden Fachgutachterinnen für die Bewertung der gesundheitlichen Schädigung der Antragstellerin bestellt? 4. Sind die Sachbearbeiterinnen der Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz geschult im Umgang mit geschlechtsspezifischer Gewalt und traumatisierten Menschen? 5. Nahmen Thüringer Bedienstete an den Workshops oder Vorträgen des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum Bereich Opferentschädigung teil und wenn ja, wie gestaltete sich die Teilnahme seit dem Jahr 2009? 6. Wie viele der in Thüringen gestellten Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz wurden seit dem Jahr 2009 bewilligt? 7. Wie viele der in Thüringen gestellten Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz wurden seit dem Jahr 2009 abgelehnt? 8. Wie viele Sachbearbeiterinnen sind im Thüringer Landesverwaltungsamt mit der Bearbeitung der Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz betraut? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Stange (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7481 9. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung zu dem Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zum "Entwurf eines Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts"? 10. Welche Auffassung vertitt die Landesregierung zur Stellungnahme der Bundeskoordination Spezialisierter Fachberatung gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend? Das Thüringer Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 18. Juli 2019 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Bei Verfahren nach dem Opferentschädigungsgesetz handelt es sich um Antragsverfahren, das heißt, die Behörde wird auf Antrag tätig. Für die Antragstellung ist ein formloser Antrag ausreichend. Es kann aber auch das auf der Internetseite des Thüringer Landesverwaltungsamtes hinterlegte Antragsformular genutzt werden. Soweit von einem formlosen Antrag Gebrauch gemacht wird, erfolgt nach Antragseingang die Übersendung des Antragsformulars. Soweit dem Antrag nicht bereits alle erforderlichen Unterlagen beigefügt sind, wird der Antragsteller gebeten, diese nachzureichen. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens ist eine Sachverhaltsaufklärung durchzuführen. Deshalb werden in Abhängigkeit von den Umständen des jeweiligen Einzelfalles Befundberichte von Ärzten, staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten sowie weitere Unterlagen von den die antragstellende Person behandelnden Ärzten angefordert. Soweit alle entscheidungsrelevanten Tatsachen vorliegen und die Anspruchsvoraussetzungen zu bejahen sind, erfolgt eine Bewertung der gesundheitlichen Schädigung durch den Versorgungsärztlichen Dienst. Dabei ist in der überwiegenden Zahl der Antragsverfahren für die abschließende Bewertung des geltend gemachten Gesundheitsschadens die Erstellung eines fachärztlichen Gutachtens durch entsprechende Fachgutachter erforderlich. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen psychische Gesundheitsschäden geltend gemacht werden. Nach Eingang der Versorgungsärztlichen Stellungnahme und abschließenden Prüfung ergeht die Entscheidung . Wichtig ist in diesem Zusammenhang, auf das Angebot der OEG-Traumaambulanzen in Thüringen hinzuweisen. Opfer von Gewalttaten erleiden häufig psychotraumatische Belastungen. Wesentliches Ergebnis von medizinischen Studien ist, dass die Opfer möglichst frühzeitig einer qualifizierten Untersuchung unterzogen werden sollten, damit erforderliche Maßnahmen der Stabilisierung sowie Therapien schnellstmöglich eingeleitet werden können und damit einer Chronifizierung des Leidens beziehungsweise der Ausbildung psychischer Folgeerkrankungen entgegengewirkt werden kann. Derartige "Sofortmaßnahmen" sind im System der gesetzlichen Krankenversicherung jedoch oftmals nicht oder nur schwer realisierbar. Zur Gewährleistung einer frühzeitigen Behandlung sind daher in Thüringen neun spezielle Traumaambulanzen mit dem Ziel errichtet worden, Gewaltopfern möglichst frühzeitig eine qualifizierte psychologische Betreuung zur Verarbeitung des Erlebten zukommen zu lassen. Statistische Erhebungen haben gezeigt, dass durch derartige Maßnahmen in etwa 25 Prozent der Fälle eine vollständige Genesung erreicht werden konnte. Behandlungsschwerpunkte in den Traumaambulanzen sind: - psychotherapeutische Einzelgespräche, - Diagnostik, schwerpunktmäßig zur Abklärung des Risikos für die Entwicklung von Langzeitfolgen und erforderlicher therapeutischer Maßnahmen sowie - die Behandlung bestehender Belastungssymptome. Mit der Errichtung von Traumaambulanzen für Opfer von Gewalttaten erhält dieser Personenkreis in Thüringen schnellstmöglich (innerhalb von 72 Stunden nach Eintritt des schädigenden Ereignisses) qualifizierte Hilfe bereits vor Abschluss eines OEG-Antragsverfahrens. Durch die in der Fläche verteilten Traumaambulanzen wird sichergestellt, dass Opfer von Gewalttaten künftig eine erste psychologische Betreuung in Anspruch nehmen können, ohne weite Anfahrtswege auf sich nehmen zu müssen. 3 Drucksache 6/7481Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 2.: Die durchschnittliche Bearbeitungszeit von OEG-Anträgen liegt derzeit bei etwa 14 Monaten. Für die Ermittlung der Bearbeitungszeit eines OEG-Antrags gilt die Zeitspanne ab Antragseingang bis zur Bescheiderteilung. Eine Einflussnahme auf die Bearbeitungsdauer durch das Thüringer Landesverwaltungsamt - die für den Vollzug des Opferentschädigungsgesetzes zuständige Behörde - ist nur bedingt möglich. Im Vorfeld der Bescheiderteilung ist in der überwiegenden Zahl der Fälle eine umfassende Sachverhaltsaufklärung durchzuführen, auf die besondere Sorgfalt zu verwenden ist. Die dabei insbesondere notwendige Beiziehung von medizinischen Unterlagen sowie die Erstellung von Fachgutachten durch entsprechend qualifizierte Gutachterinnen/Gutachter, die in der Regel eine Untersuchung der antragstellenden Person erfordern, bedingen eine verhältnismäßig lange Bearbeitungsdauer. Konkret handelt es sich um Zeiträume von bis zu acht Monaten. Zu 3.: Die Auswahl der Gutachterinnen/Gutachter erfolgt grundsätzlich nach der Art der jeweils geltend gemachten gesundheitlichen Schädigung. Die Beauftragung erfolgt durch den Versorgungsärztlichen Dienst des Thüringer Landesverwaltungsamtes. Hierbei kommt es oftmals zu folgenden Problemen: Bei im Rahmen eines OEG-Antragsverfahrens zu erstellenden Gutachten handelt es sich um sogenannte Kausalgutachten. Das heißt, die Gutachten müssen auch eine Bewertung des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der geltend gemachten Gesundheitsstörung und der erfolgten Gewalttat beinhalten. Die Gutachten sind dementsprechend umfangreich, insbesondere wenn es sich um fachpsychiatrische Gutachten handelt. Die Gutachter/Gutachterinnen, die beauftragt werden, sind zum Teil bereits seit vielen Jahren für die Versorgungsverwaltung tätig und verfügen über entsprechende Erfahrungen in der Begutachtung. Geeignete Fachgutachterinnen/Fachgutachter zu finden, stellt ein großes Problem dar. Da die meisten Ärztinnen/Ärzte in einer Klinik oder Praxis bereits an ihrer Belastungsgrenze arbeiten, ist es nachvollziehbar, dass sie keine zusätzlichen Aufgaben in Form von Gutachtenerstellung übernehmen können. Besonders gravierend stellt sich der Gutachtermangel im Bereich der psychiatrischen Begutachtung dar. Bei der Erstellung eines fachpsychiatrischen Gutachtens muss derzeit von einer Bearbeitungszeit von acht Monaten (zum Teil auch erheblich länger) ausgegangen werden. Wenn der Antragsteller/die Antragstellerin den ersten vorgeschlagenen Termin nicht wahrnimmt oder es gar zu Mehrfachverschiebungen kommt, was in den OEG-Verfahren keine Seltenheit darstellt, können bis zum Eingang des Gutachtens auch erheblich längere Zeiträume vergehen. Zu 4.: Für den Umgang mit traumatisierten Menschen wurden vom Thüringer Landesverwaltungsamt bislang zwei Schulungen durchgeführt. Die Schulungen erfolgten durch mit der Problematik von psychischen Gesundheitsschäden vertraute und dementsprechend erfahrene Fachärzte, die auch für die zuständige Fachabteilung im Thüringer Landesverwaltungsamt fachpsychiatrische Gutachten erstellen. Bezüglich des Umgangs mit geschlechtsspezifischer Gewalt erfolgten bisher keine speziellen Schulungen. Besonders hilfreich für den Umgang mit dem in Rede stehenden Personenkreis sind auch die nunmehr langjährigen Erfahrungen aller Sachbearbeiter/-innen auf dem Gebiet des Gewaltopferentschädigungsrechts. Die Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter bearbeiten die OEG-Anträge mit sehr viel Einfühlungsvermögen unter Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen. Für die Sachbearbeiterinnen/Sachbearbeiter wurden Supervisionen durchgeführt mit dem Ziel der besseren Verarbeitung der Problematik Opferentschädigungsgesetz. Auch im Rahmen der vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales für die im Bereich der Opferentschädigung tätigen Bediensteten der Länder jährlich veranstalteten OEG-Workshops gab beziehungsweise gibt es Vorträge über "sensible Kommunikation im Umgang mit traumatisierten Menschen". Zu 5.: Bedienstete des entsprechenden Aufgabengebietes im Thüringer Landesverwaltungsamt nehmen regelmäßig an den Workshops des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales teil. Zu diesen Workshops werden die unmittelbar mit der Fallbearbeitung befassten Mitarbeiter entsandt, da diese auch den fachlichen 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7481 Austausch mit Teilnehmerinnen/Teilnehmern aus anderen Bundesländern wahrnehmen und so schwierige Fallgestaltungen von allgemeinem Interesse erörtern können. Übersichten beziehungsweise statistische Erhebungen zur Teilnahme an den Workshops des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales werden vom Thüringer Landesverwaltungsamt nicht geführt. Zu 6.: Die Fallzahlen der OEG-Anträge und die Bewilligungen beziehungsweise Ablehnungen können der nachfolgenden Tabelle entnommen werden. Jahr eingereicht Bewilligungen Ablehnungen 2009 444 50 452 2010 388 40 435 2011 356 34 268 2012 284 30 319 2013 299 32 262 2014 294 25 236 2015 234 22 264 2016 300 25 189 2017 267 25 207 2018 257 74 179 Zu den Angaben in der Tabelle ist anzumerken, dass bei den Daten im Hinblick auf erfolgte Bewilligungen sowie Ablehnungen auch Entscheidungen über offene Antragsverfahren aus den jeweiligen Vorjahren berücksichtigt worden sind. Zu 7.: Siehe Antwort zu Frage 6. Zu 8.: Das Opferentschädigungsgesetz wird dezentral an drei Standorten (Gera, Suhl, Weimar) bearbeitet. Damit sollen die Wege für die Antragsteller/-innen für eventuell persönliche Vorsprachen so kurz wie möglich gehalten werden. Lediglich die Aufgabenbereiche "Versorgungsärztlicher Dienst" (Gera und Suhl) sowie "Bearbeitung von Widerspruchs- und Klageverfahren" (Suhl) sind zentralisiert. Der personelle Einsatz stellt sich wie folgt dar: a) Verwaltungsverfahren Insgesamt zwölf Bedienstete an den drei Standorten nehmen die Aufgabe mit unterschiedlichen Stellenanteilen wahr. b) Versorgungsärztlicher Dienst Das Aufgabengebiet ist mit drei Ärztinnen und drei weiteren Bediensteten mit unterschiedlichen Stellenanteilen besetzt. c) Bearbeitung von Widerspruchs- und Klageverfahren In diesem Aufgabenbereich sind vier Bedienstete mit unterschiedlichen Stellenanteilen beschäftigt. Zu 9.: Im Dezember 2018 wurde den Ländern der Referentenentwurf zum Sozialen Entschädigungsrecht (SGB XIV-E) vorgelegt. Die Länder haben bis zum 31. Januar 2019 ihre Stellungnahmen beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales abgegeben. Das Kabinett hat sich Ende Juni 2019 mit der Reform des Sozialen Entschädigungsrechts befasst. Im September 2019 soll der Entwurf im Plenum des Bundesrates beraten werden. 5 Drucksache 6/7481Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Eine abschließende Stellungnahme kann derzeit nicht abgegeben werden, da der Meinungsbildungsprozess noch nicht abgeschlossen ist. Der Gesetzentwurf liegt Thüringen mittlerweile vor und wird geprüft. Derzeit gibt es diesbezüglich auch verschiedene Bund-Länder-Referentenbesprechungen. Zum vorgelegten Gesetzentwurf lässt sich jedoch sagen, dass sich dieser grundsätzlich an den Regelungen aus dem Bundesversorgungsgesetz und dem Opferentschädigungsgesetz orientiert und die Leistungen für die Betroffenen erweitert und verbessert. Zu10.: Die Bundeskoordinierung spezialisierter Fachberatungen gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend (BKSF) ist eine politische Interessenvertretung der spezialisierten Fachberatungsstellen, die gegen sexualisierte Gewalt in Kindheit und Jugend arbeiten. Eine ausdrückliche Nennung von Opfern sexueller Gewalt ist aus fachlicher Sicht nicht notwendig, da diese Opfergruppe vom "Gewaltbegriff" in § 1 Abs. 3 Nr. 1 SGB XIV-E bereits mit umfasst ist. Der im Juni 2019 vorgelegte Gesetzentwurf enthält diesbezüglich auch keine Änderungen. Nach § 122 SGB XIV-E soll ein "Fachbeirat Soziale Entschädigung" gegründet werden, welcher aus verschiedenen Mitgliedern besteht. Danach hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ein Vorschlagsrecht zur Benennung eines Mitglieds für die Wahrnehmung der Interessen der Betroffenen von sexualisierter Gewalt in Kindheit und Jugend. In Vertretung Feierabend Staatssekretärin Antragsverfahren nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz - OEG) in Thüringen Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu10.: