08.07.2019 Drucksache 6/7489Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 17. Juli 2019 Zweiter Bodycam-Pilotversuch bei der Thüringer Polizei - nachgefragt Die Kleine Anfrage 3877 vom 17. Mai 2019 hat folgenden Wortlaut: Vom Frühjahr bis zum Herbst 2017 fand bei der Thüringer Polizei ein erstes Pilotprojekt Bodycam statt. Nach jedem Einsatz sollten die Kameraträger ihre subjektiven Wahrnehmungen in einen Erhebungsbogen eintragen . Vom 23. August bis 27. September 2017 wurden ebenso im Rahmen einer deutschlandweiten Online -Umfrage lnternetnutzer zu ihrer subjektiven Meinung bezüglich der Bodycam von der Universität Koblenz -Landau befragt. Ebenso wurden nach Abschluss des ersten Pilotprojekts auch die Kameraträger in den Testdienststellen der Thüringer Polizei selber durch die Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Fachbereich Polizei, bezüglich ihrer subjektiven Meinung zur Bodycam befragt. Eine objektive Überprüfung, inwiefern der Einsatz von Bodycams tatsächlich Gewalt gegen Polizisten reduziert, fand meiner Auffassung nach nicht statt. Nach dem ersten Pilotversuch zur Bodycam startete im Dezember 2018 ein zweiter Pilotversuch in Thüringen. Die Landesregierung antwortete dazu bereits in den Drucksachen 6/4165, 6/4599 und 6/6817 auf meine Kleinen Anfragen zu den Bodycam-Pilotversuchen. Zuletzt wurde am 18. Februar 2019 durch die Landesregierung mitgeteilt, dass ein zweiter Trageversuch im Bereich des Einsatz- und Streifendienstes in den lnspektionsdiensten Erfurt-Nord, Erfurt-Süd, Gera, Gotha, Jena und der Polizeiinspektion Sonneberg durchgeführt werden würde und Kameras in den jeweiligen Einsatzzügen der Landespolizeiinspektionen Verwendung fänden. Die Erarbeitung einer Forschungskonzeption durch die Friedrich-Schiller- Universität Jena sollte am Ende des ersten Quartals 2019 abgeschlossen sein. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Bodycams sind in den jeweiligen Dienststellen seit dem 1. Dezember 2018 im Rahmen des zweiten Pilotprojekts im Einsatz (bitte darstellen nach Dienststellen und Anzahl der Kameras)? 2. Wie viele Polizeibeamte sind mit den Bodycams in den jeweiligen Dienststellen seit dem 1. Dezember 2018 im Rahmen des zweiten Pilotprojekts im Einsatz (bitte darstellen nach Dienststellen und Anzahl der Beamten)? 3. Inwiefern unterscheidet sich das zweite Pilotprojekt hinsichtlich der wissenschaftlichen Begleitung zum ersten Test beziehungsweise welche wissenschaftliche Begleitung findet nunmehr konkret statt? 4. Welchen konkreten Inhalt und Umfang hat die Begleitung durch Mitarbeiter der Friedrich-Schiller-Universität Jena und wie viele Mitarbeiter sind damit befasst? 5. Zu welchem Zeitpunkt wurde die Begleitung durch Mitarbeiter der Friedrich-Schiller-Universität Jena begonnen ? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Dittes (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7489 6. Inwiefern wurden im Vorfeld des zweiten Pilotprojekts die Methodik, Vergleichbarkeit und Objektivierbarkeit der gewonnenen Daten ausgewertet, um deren Qualität in der Fortführung der Erprobung im zweiten Pilotprojekt zu erhöhen? 7. Werden beim zweiten Pilotprojekt Kontrollgruppen (ohne Bodycams) an gleichen oder ähnlich strukturierten Orten nach wissenschaftlichen Standards eingesetzt und in die Auswertung einbezogen, wenn ja, in welcher Art? 8. Auf welche Weise wird beim zweiten Pilotprojekt die tatsächliche Wirksamkeit der Bodycam in Abgrenzung zur subjektiven Wahrnehmung der Trägerinnen und Träger ermittelt? 9. Wie ist die Auswertung der Messergebnisse unter Einbeziehung welcher wissenschaftlichen Evaluationsstelle konkret geplant und nach welcher Methodik und welchen Vergleichszeiträumen/-größen sollen mögliche Auswirkungen des Pilotversuchs mit Blick auf eine Veränderung der Angriffe und Widerstandsdelikte gegen Polizeibeamte bemessen werden? 10. Erfolgt die Speicherung der Daten aus dem zweiten Pilotprojekt auf Dockingstationen, auf lokalen Servern des Freistaats Thüringen/der Thüringer Polizei oder auf Cloud-Systemen, wenn ja, wer ist Betreiber dieser Speichermedien? 11. Erfolgt im zweiten Pilotprojekt a) eine Anwenderbefragung der Kameraträger, b) eine Dokumentation und Kategorisierung der einzelnen Aufnahmen, c) der Einsatz von Erhebungsbögen und d) eine Auswertematrix? Wenn ja, inwiefern weichen diese Erhebungen zum ersten Pilotprojekt in Thüringen ab beziehungsweise inwiefern werden diese Erhebungen verändert? Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 5. Juli 2019 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Seit dem 1. Dezember 2018 sind zur Durchführung des zweiten Pilotprojektes insgesamt 76 Geräte im Einsatz . Die Verteilung nach Dienststellen und Anzahl ist der folgenden Übersicht zu entnehmen: Dienststelle Anzahl Landespolizeiinspektion (LPI) Erfurt, Inspektionsdienst (ID) Nord 10 LPI Erfurt, ID Süd 10 LPI Gera, ID 10 LPI Gotha, ID 10 LPI Jena, ID 10 LPI Saalfeld, Polizeiinspektion Sonneberg 6 LPI Erfurt, Einsatzzug 4 LPI Gera, Einsatzzug 4 LPI Jena, Einsatzzug 4 LPI Gotha, Einsatzzug 4 LPI Saalfeld, Einsatzzug 4 Zu 2.: Grundlegend ist das Tragen der Kamerasysteme für die Beamten im Einsatz- und Streifendienst sowie der Einsatzzüge in der zweiten Projektphase verpflichtend. Der Einsatz der Kamerasysteme ist jedoch nur durch geschulte Beamtinnen und Beamte vorgesehen. Hierzu wurden in den oben aufgeführten Dienststellen insgesamt 448 Beamtinnen und Beamte des Einsatz- und Streifendienstes und insgesamt 155 Beamtinnen und Beamte der Einsatzzüge beschult. 3 Drucksache 6/7489Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Die Verteilung nach Dienststellen und Anzahl sind der folgenden Übersicht zu entnehmen: Dienststelle Anzahl Landespolizeiinspektion (LPI) Erfurt, Inspektionsdienst (ID) Nord 100 LPI Erfurt, ID Süd 87 LPI Gera, ID 85 LPI Gotha, ID 73 LPI Jena, ID 60 LPI Saalfeld, Polizeiinspektion Sonneberg 43 LPI Erfurt, Einsatzzug 31 LPI Gera, Einsatzzug 31 LPI Jena, Einsatzzug 31 LPI Gotha, Einsatzzug 31 LPI Saalfeld, Einsatzzug 31 Zu 3.: Die wissenschaftliche Begleitung des ersten Trageversuchs erfolgte mittels folgender Elemente: • Erhebungsbogen und Auswertematrix der Projektgruppe • Befragung der Kameraträger durch die Verwaltungsfachhochschule Meiningen, Fachbereich Polizei • Onlineumfrage der Bevölkerung durch das Methodenzentrum der Universität Koblenz-Landau Mit dem zweiten Trageversuch erfolgt nunmehr eine kontinuierliche wissenschaftliche Untersuchung. Mit dem Institut für Psychologie, Bereich Allgemeine Psychologie, der Friedrich-Schiller-Universität Jena konnte hierfür ein unabhängiger und kompetenter Partner gewonnen werden. Zielrichtung und Design der wissenschaftlichen Untersuchungen ist die Untersuchung der Wirkung des Einsatzmittels in seiner Gesamtheit und dessen Effekt für die polizeiliche Aufgabenerfüllung. Entgegen der wissenschaftlichen Betrachtung im ersten Trageversuch wurde die damalige starke Fokussierung ausschließlich auf die präventive Wirkung gegenwärtig auf den Gesamtkomplex von Wirkfaktoren ausgedehnt. Hierzu zählen neben der präventiven und deeskalierenden Wirkung (Prävention) ebenso die Erhöhung der Sicherheit der Beamten (Eigenschutz) sowie die mögliche Verbesserung der Beweissicherung im Strafverfahren (Repression). Die Kritik an der Methodik der Untersuchungen in der ersten Phase des Projektes wurde den Wissenschaftlern zur Beachtung bekannt gegeben. Zu 4.: Die wissenschaftliche Begleitung der zweiten Pilotprojektphase erfolgt durch den Leiter des unter Frage 3 benannten Bereiches. Seinem Team gehören zwei weitere Mitarbeiter (stellvertretender Projektleiter sowie eine wissenschaftliche Mitarbeiterin) an. Wie bereits in Antwort zu Frage 3 ausgeführt, liegt das Augenmerk hierbei neben der präventiven und deeskalierenden Wirkung ebenso auf der Erhöhung der Sicherheit der Polizeibeamtinnen und -beamten sowie auf der möglichen Verbesserung von Beweislagen innerhalb eines Strafverfahrens. Die Erhebung der Daten startete am 20. Mai 2019. Der Abschluss der Erhebung ist für September 2019 geplant. Hiernach erfolgt eine Bewertung des Datenmaterials hinsichtlich der wissenschaftlichen Verwertbarkeit. Eine Verlängerung der Datenerhebung im Rahmen des von der Landesregierung vorgegebenen Zeitrahmens von zwei Jahren ist möglich. Zu 5.: Im November 2018 erfolgten erste Abstimmungen sowie die Auftragsprüfung zwischen dem Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales sowie der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Zum 28. Januar 2019 begann die Vorarbeit einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin. Am 1. April 2019 erfolgte die vertragliche Arbeitsaufnahme im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/7489 Zu 6.: Die im Vorfeld des zweiten Trageversuchs gewonnenen Daten wurden hinsichtlich ihrer Methodik, Vergleichbarkeit , Objektivität sowie nach weiteren wissenschaftlichen Standards durch die Projektleitung der Friedrich-Schiller-Universität Jena gesichtet. Aufgrund dessen dienten die zuvor gewonnenen Daten zum Teil als Grundlage für das aktuelle Forschungsdesign. Ebenso werden bestimmte Methoden in abgewandelter Form weitergeführt. Zu 7.: Ja, es gibt innerhalb der aktuellen Untersuchung eine Kontrollbedingung ohne Nutzung der Bodycam. Die Erhebung mittels einer Experimental- sowie einer Kontrollbedingung startete am 3. Juni 2019. Die Einteilung erfolgt mittels eines Messwiederholungsdesigns. Diese Form des Designs birgt den Vorteil, dass durch den Vergleich der Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten mit sich selbst viele potenzielle Störvariablen kontrolliert werden können. Diesbezüglich wurde für die jeweiligen teilnehmenden Inspektionsdienste und Polizeiinspektionen , angepasst an die jeweiligen Schichtpläne, eigens ein Design erstellt. Das jeweilige Design teilt die Gruppen, je nach vorliegendem Schichtplan, zum Teil nach Schichten sowie zum Teil nach Dienstgruppen auf. Insgesamt ist jedes Design jedoch so strukturiert, dass jede teilnehmende Polizeibeamtin und jeder teilnehmende Polizeibeamte für einen bestimmten Zeitraum die Kamera nutzen beziehungsweise nicht nutzen wird. Auch wird die Kamera im Zeitraum der Erhebung zum größten Teil an jedem Tag in einer Schicht (Tag- oder Nachtschicht) genutzt sowie in der jeweils anderen Schicht (Tag- oder Nachtschicht ) nicht genutzt. Anhand dessen sollen mögliche zeitabhängige Störvariablen (wie zum Beispiel besondere Ereignisse) kontrolliert werden. Zu 8.: Zum einen wird im Rahmen des zweiten Pilotprojekts die subjektive Wahrnehmung der Polizeibeamtinnen und -beamten hinsichtlich der wahrgenommenen Aggressivität sowie Kooperation des beziehungsweise der Betroffenen sowie die empfundene Sicherheit der Polizeibeamtinnen und -beamten untersucht. Zum anderen werden objektive Zahlen wie beispielsweise die Anzahl von Strafanzeigen hinsichtlich erlebter Widerstandshandlungen , Beleidigungen oder Körperverletzungen der Polizeibeamtinnen und -beamten sowie die Anzahl von Beschwerden oder Strafanzeigen gegen Polizeibeamtinnen und -beamte betrachtet. Alle Inhalte werden im Vergleich der Experimental- und Kontrollbedingung untersucht. Zu 9.: Die Auswertung der am Ende vorliegenden Daten erfolgt durch die Mitarbeiter der Friedrich-Schiller-Universität Jena anhand geeigneter statistischer Verfahren. Die möglichen Vergleichszeiträume bestehen hierbei aus der Erhebungsphase vom 3. Juni 2019 bis mindestens September 2019. Zu 10.: Im Falle einer Beweisrelevanz der aufgezeichneten Videosequenz erfolgt eine Speicherung unter Beachtung der einschlägigen Rechtsvorschriften der Strafprozessordnung auf einem dienstlich zugelassenen externen Speichermedium (DVD/CD). Diese wird der Ermittlungsakte für die jeweilige Staatsanwaltschaft beigelegt. Weiter ist die sogenannte "Urkopie" auf sogenannten "Stand-Alone-Laptops" gespeichert, welche in jeder Pilotdienststelle vorhanden sind und über eine erforderliche Software zur Kategorisierung und Verarbeitung des Videomaterials verfügen. Eine Intranet- oder Internetverbindung besteht nicht. Die Dockingstationen dienen lediglich der Wiederaufladung der Akkus der Bodycams und der sicheren Übertragung des Videomaterials auf den beschriebenen Laptop. Nicht beweiserhebliche Dateien werden binnen 48 Stunden ab Beginn der Aufzeichnung gelöscht (§ 33 Abs. 6 Satz 3 Polizeiaufgabengesetz). Jede Speicherung und Löschung wird dokumentiert. Eine Speicherung von Daten auf Servern beziehungsweise auf Cloud-Speichern findet nicht statt. Zu 11.: a) Im Rahmen des zweiten Pilotprojekts erfolgt zum einen die Dokumentation bestimmter Daten (zum Beispiel Anzahl Strafanzeigen hinsichtlich erlebter Widerstandshandlungen). Diese Dokumentation wird mittels eines bereits bestehenden statistischen Bogens realisiert. Diesem wurden im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung lediglich bestimmte Inhalte hinzugefügt (zum Beispiel Anzahl Strafanzeigen gegen Polizeibeamtinnen beziehungsweise Polizeibeamte). Zum anderen erfolgt der Einsatz verschiedener neuer Erhebungsfragebögen für jede Beamtin beziehungsweise jeden Beamten. Diese bestehen einerseits aus einem Fragebogen zu jedem Schichtende sowie aus einem ereignisbezogenen Fragebogen . 5 Drucksache 6/7489Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode b) Eine quantitative Dokumentation der Aufnahmen erfolgt im Rahmen einer Matrix. Hier werden die Aufnahmen ebenfalls kategorisiert in "beweisrelevant" und "nicht beweisrelevant". Durch die Friedrich-Schiller -Universität Jena findet eine Betrachtung oder Kategorisierung der einzelnen Filmaufnahmen nicht statt. c) Ja, siehe hierzu die Ausführungen unter Buchstabe a). d) Die Auswertung der Daten (nicht die Videosequenzen) erfolgt durch die Friedrich-Schiller-Universität Jena. Eine Veränderung der Daten wird nicht vorgenommen. Eine Aussage zur Abweichung der aktuellen Erhebung gegenüber dem ersten Pilotprojekt kann derzeit noch nicht getroffen werden, da diese zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen ist. Maier Minister Zweiter Bodycam-Pilotversuch bei der Thüringer Polizei - nachgefragt Ich frage die Landesregierung: Zu 1.: Zu 2.: Zu 3.: Zu 4.: Zu 5.: Zu 6.: Zu 7.: Zu 8.: Zu 9.: Zu 10.: Zu 11.: