02.07.2015 Drucksache 6/846Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 21. Juli 2015 Berücksichtigung des Verpflegungsgeldes für ehemalige Polizistinnen und Polizisten und Beschäftigte des Zolls in der Deutschen Demokratischen Republik im Rahmen des Renten- bzw. Versorgungsverlaufs in Thüringen Die Kleine Anfrage 254 vom 7. April 2015 hat folgenden Wortlaut: Das Bundessozialgericht hat mit zwei Urteilen am 30. Oktober 2014 entschieden, dass das Verpflegungsgeld im Rahmen des Renten- bzw. Versorgungsverlaufs bzw. im Rahmen der Anwartschaftsüberleitung von ehemaligen Volkspolizisten (Urteil Az.: B 5 RS 1/13 R) und Angehörigen des Zolls (Urteil Az.: B 5 RS 3/14 R) zu berücksichtigen ist. Mit diesen Entscheidungen haben die versicherten Kläger in der Revisionsinstanz Recht bekommen und erhalten höhere Renten. Der erkennende Senat schließt sich in den o.g. Urteilen der Rechtsprechung des vor ihm für die Rechte der Rentenüberleitung zuständigen 4. Senats (Urteil vom 23. August 2007 - B 4 RS 4/06 R) an. Hiernach bestimmt sich der Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne von § 6 Abs. 1 Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) nach § 14 des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IV). Obwohl die Urteile als Einzelfallentscheidungen ergangen sind, können nun Betroffene mit Berufung auf diese in den genannten Punkten neue höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts eine Überprüfung und Korrektur ihrer Bescheide verlangen. Darüber hinaus bieten solche höchstrichterlichen Entscheidungen den zuständigen Rentenstellen auch die Handhabe, Bescheide in gleichgelagerten Fällen von Amts wegen zu korrigieren. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele Betroffene bzw. Berechtigte im Sinne der beiden o.g. Urteile des Bundessozialgerichts vom 30. Oktober 2014 gibt es bezogen auf den Bereich Volkspolizei und Zoll, aber auch gegebenenfalls bezogen auf andere Beschäftigungsgruppen nach Kenntnis der Landesregierung in Thüringen? 2. Wie gestalten sich die Strukturen der Zusammenarbeit zwischen Rentenversicherungsträgern bzw. sonstigen öffentlichen Stellen und Landesregierung hinsichtlich des Umgangs mit etwaigen Konsequenzen aus dem o.g. Urteil? 3. Welche Auffassung vertritt die Landesregierung zu den o.g. Urteilen des Bundessozialgerichts bzw. zur Anerkennung des gezahlten Verpflegungsgeldes als Arbeitsentgelt nach §§ 14 und 17 SGB IV in Verbindung mit § 6 Abs. 1 AAÜG? K l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Stange (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/846 4. Welche Möglichkeiten sieht die Landesregierung - auch mit Blick auf die Grundsätze der Gewaltenteilung - einen für die Betroffenen zügigen und positiven Umgang mit ruhenden Klagen bei den Thüringer Sozialgerichten zu erreichen, die in der Sache den vom Bundessozialgericht entschiedenen Fällen entsprechen ? Inwiefern könnten nach Einschätzung der Landesregierung die Rentenversicherungsträger von Amts wegen für eine positive Erledigung der Verfahren ohne Urteil, z.B. durch Erlass eines Abhilfebzw . Änderungsbescheids sorgen? 5. Wie hoch ist die Zahl der Betroffenen, die im Sinne der in Frage 4 erfragten Verfahren Klage bei den Sozialgerichten des Freistaats eingereicht und noch kein Urteil haben (bitte nach Beschäftigtengruppen Polizei/Zoll/andere trennen)? 6. Wie viele ruhende Widerspruchsverfahren zu diesem Regelungspunkt gibt es in Thüringen nach Kenntnis der Landesregierung (bitte nach Beschäftigtengruppen Polizei/Zoll/andere trennen)? 7. Welche Prognosen sind zum zukünftigen Finanzbedarf bei umfassender betroffenenfreundlicher Umsetzung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Verpflegungsgeld möglich bezogen auf Thüringen? Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 1. Juli 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Seit 1991 wurden von der Rentenstelle ca. 53.720 Entgeltfeststellungen erlassen. Eine gesonderte Nachweisführung oder Statistik für die einzelnen Beschäftigungsgruppen (Feuerwehr, Strafvollzug, Polizei) wurde von Beginn an nicht geführt. Zur Zahl der darüber hinaus noch anfallenden (zukünftigen) Antragsteller kann keine Aussage getroffen werden. Für Zeiten der Zugehörigkeit zum Zoll im gesamten Beitrittsgebiet ist die Bundesfinanzdirektion Mitte (14480 Potsdam, Großbeerenstr. 341-345) als Sonderversorgungsträger zuständig. Insoweit können für diese Betroffenen weder Aussagen zum Sachverhalt noch zu konkreten Fallzahlen erfolgen. Vorbehaltlich der noch ausstehenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugunsten der Anerkennung von Verpflegungsgeld wären grundsätzlich alle erlassenen Entgeltfeststellungen der Sonderversorgungsempfänger zu überprüfen. Zu 2.: Die Sonderversorgungsträger der Polizei der Länder und des Bundes pflegen eine enge Zusammenarbeit. Alle Sonderversorgungsträger (mit Ausnahme des Landes Brandenburg) sind aktuell der Auffassung, dass eine Einbeziehung des Verpflegungsgeldes als Arbeitsentgelt nicht in Betracht kommt. Eine davon abweichende Bewertung der Rechtslage auf Grund der Urteile des Bundessozialgerichts vom 30. Oktober 2014 durch andere Bundesländer oder Versorgungsträger ist hier nicht bekannt. Zu 3.: Die o. a. Urteile des Bundessozialgerichts haben zunächst keine Auswirkungen auf die bisherige Rechtsauffassung und Verfahrensweise. Das Bundessozialgericht stellte lediglich fest, dass das Verpflegungsgeld nur dann zu berücksichtigen sei, wenn es Arbeitsentgelt im Sinne des § 6 Abs. 1 S 1AAÜG gewesen ist. Eine Entscheidung über die Einbeziehung von Verpflegungsgeld in das Arbeitsentgelt seitens des Bundessozialgerichts steht noch aus, da nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen - wie Zahlungsmodalitäten und Zahlungszwecke unter zeitlicher und sachlicher Zuordnung der jeweils einschlägigen Regelungen des DDR-Rechts - vorliegen. Da der Sachverhalt wie o. a. durch die zuständigen Landessozialgerichte nach Auffassung des Bundessozialgerichts jedoch noch nicht voll ausermittelt ist, wurden die jeweiligen Urteile aufgehoben und die Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die jeweiligen Gerichte zurückverwiesen. Im Hinblick auf die Situation im Freistaat Thüringen verweise ich ergänzend auf das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 13. August 2014, Az.: L 2 R 120/12. Danach geht das Thüringer Landessozialgericht davon aus, dass das Verpflegungsgeld nicht als Arbeitsentgelt zu berücksichtigen ist. Vor dem Hin- 3 Drucksache 6/846Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode tergrund der o. a. Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom Oktober 2014 hat das Thüringer Landessozialgericht jedoch die Revision zugelassen. Zu 4.: Aufgrund der verfassungsrechtlich verbürgten Unabhängigkeit der Richter besteht für die Landesregierung keine Möglichkeit, Einfluss auf gerichtliche Verfahren zu nehmen. Soweit das Bundessozialgericht in einer abschließenden rechtskräftigen Entscheidung das Verpflegungsgeld dem Arbeitsentgelt zurechnet, wäre die bisherige Rechtsauffassung der Träger der Sonderversorgungssysteme gegebenenfalls zu revidieren und durch die Rentenstelle die in der Vergangenheit angefochtenen Entgeltfeststellungen zu korrigieren. Unter diesen Umständen wären die anhängigen Gerichtsverfahren gegenstandslos und ohne weiteres einzustellen. Ob die Rentenversicherungsträger auf Grund einer geänderten Rechtsprechung des Bundessozialgerichts in diesen Fällen von sich aus für Abhilfe sorgen, kann von hier nicht beurteilt werden. Zu 5.: Nach den Unterlagen der Rentenstelle sind gegenwärtig 21 Vorgänge bei den Sozialgerichten anhängig. Davon befindet sich ein Verfahren bereits beim Thüringer Landessozialgericht. Dieses Verfahren ruht gegenwärtig . Von den anderen 20 Verfahren bei den Sozialgerichten ruhen vier Verfahren. Zu 6.: Gegenwärtig liegen der Rentenstelle der Polizei 2.630 Anträge auf Einbeziehung von Verpflegungsgeld und 22 Widersprüche zu Entgeltbescheiden vor. Wegen der ausstehenden abschließenden Entscheidung des Bundessozialgerichts ruhen diese Verfahren derzeit. Zu 7.: Gemäß § 15 AAÜG erstatten die Länder dem Bund die Aufwendungen für die Leistungen aus dem Sonderversorgungssystem . Danach zahlen die Länder ihren jeweiligen Anteil am Gesamtbetrag für die Ausgaben des jeweiligen Sonderversorgungssystems gemäß dem Anteil an der Bevölkerungsdichte zur Gesamtbevölkerung des Beitrittsgebietes. Grundlage hierfür bilden die Daten des statistischen Bundesamtes. Für den Fall, dass sich das Bundessozialgericht letztendlich für die Zurechnung des Verpflegungsgeldes zum Arbeitsentgelt entscheidet, ist auf Grund der o. a. gesetzlichen Regelungen zur Höhe der Erstattung mit einer mehrjährigen Steigerung der Gesamtausgaben zu rechnen. Die konkrete Höhe wird sich in Abhängigkeit vom jeweiligen Bearbeitungsstand entwickeln. Eine Prognose über die tatsächlichen Mehrkosten bei der Erstattung an den Bund ist auf Grund der verschiedenen Einfluss nehmenden Faktoren gegenwärtig nicht möglich. Dr. Poppenhäger Minister