10.07.2015 Drucksache 6/880Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 24. Juli 2015 Polizeibeamte als Opfer von Gewalt Die Kleine Anfrage 266 vom 15. April 2015 hat folgenden Wortlaut: Wie Medienberichten zu entnehmen war, ist die Zahl der Übergriffe auf Polizisten in Thüringen wachsend. Jeder vierte Polizist in Thüringen war 2014 Opfer von Bedrohung, Widerstand, Körperverletzung oder Raub. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie viele tätliche Angriffe (physische Gewalt) wurden gegen Thüringer Polizeibeamte 2014 verübt? 2. Was war der Anlass des jeweiligen polizeilichen Einsatzes? 3. Wie viele Beamte wurden dabei verletzt (bitte Aufschlüsselung nach "weiter dienstfähig", "vorübergehend dienstunfähig", "dauerhaft dienstunfähig")? 4. Wie viele Straftaten insgesamt (bitte Aufschlüsselung nach Straftatbeständen) wurden gegen Thüringer Polizeibeamte im Einsatz 2014 verübt? 5. Wie hoch war dabei die Aufklärungsquote (bitte Aufschlüsselung nach Straftatbeständen)? 6. Welche Entwicklung gibt es bei der Anzahl der genannten Fälle zu den Fragen 1 und 2 in den letzten fünf Jahren und wie erklärt sich die Landesregierung diese Entwicklung? 7. Hält die Landesregierung die Fürsorgepflichten des Dienstherren in den beschriebenen Fällen, insbesondere hinsichtlich a) Aus- und Fortbildung, unter besonderer Berücksichtigung von Trainings von Verhaltensweisen in diesen Gefahrensituationen, b) Ausstattung und c) Rechtslage, für ausreichend erfüllt? 8. Sind der Landesregierung Fälle bekannt, in denen Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes Opfer einer Gewalttat wurden und von ihnen ein Schadens- bzw. Schmerzensgeld beispielsweise wegen Vermögenslosigkeit des Täters nicht beigetrieben werden konnte? Wenn ja, wird diesen Beschäftigten seitens des Dienstherrn im Rahmen der Fürsorgepflicht ein äquivalenter Schadens- und Schmerzensgeldausgleich gewährt? Wenn nein, warum nicht? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Walk (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Inneres und Kommunales 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/880 Das Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales hat die Kleine Anfrage namens der Lan desregierung mit Schreiben vom 9. Juli 2015 wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte (nachfolgend "Polizeivollzugsbeamte" genannt) ist geprägt durch einen komplexen Wahrnehmungs- und Bewertungsprozess, der sich messbar insbesondere in der Polizeilichen Kriminalstatistik widerspiegelt. Polizeivollzugsbeamte werden bundesweit einheitlich seit dem 1. Januar 2011 in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) als Opfer erfasst. Hinreichend differenzierte Aussagen zur Entwicklung des Phänomenbereichs auf Grundlage dieser opferspezifisch ausgefilterten Daten sind folglich erst ab dem Berichtsjahr 2011 möglich. Begriffe wie etwa "tätlicher Angriff" oder "physische Gewalt" stellen keine Erfassungskriterien in der PKS dar. Über die PKS-Recherche lassen sich lediglich die Straftaten zum Nachteil von Polizeivollzugsbeamten (im Dienst) auszählen. Die in der Anlage Tabelle 1 aufgeführten Delikte können im Sinne der Frage als "tätliche Angriffe" bzw. Versuche derartiger Angriffe auf Polizeivollzugsbeamte gewertet werden. Zu 2.: Die Anlässe für die jeweiligen polizeilichen Einsätze werden nicht gesondert statistisch erfasst. Bei der operativen Tätigkeit der Polizei handelt es sich insgesamt um ein variierendes gefahrenträchtiges Einsatzspektrum . Dazu zählen insbesondere Einsätze aus Anlass von Versammlungs- und Veranstaltungslagen, regional typischen Festen, Sportereignissen sowie Einsätze im täglichen Streifen- und Einzeldienst mit der gesamten Facettenvielfalt des polizeilichen Alltags. Zu 3.: Eine derartige statistische Erfassung in der PKS existiert nicht. Sofern die Polizeivollzugsbeamten die Anerkennung eines Dienstunfalls beantragen, wird in diesem Zusammenhang auch die Kategorie "Tätlichkeiten" erfasst. Dabei handelt es sich um Angriffe Dritter, die unmittelbar zu Verletzungen oder zu Erkrankungen geführt haben. Auf dieser Grundlage wurden im Jahr 2014 insgesamt 87 "Tätlichkeiten" im Rahmen der Anerkennung von Dienstunfällen erfasst. Zu 4.: In der PKS wurden im Jahr 2014 insgesamt 1.177 Straftaten (Opferdelikt laut PKS) mit der Opferspezifik "Polizeivollzugsbeamter" registriert (vgl. Anlage Tabelle 2). Zu 5.: Die Anzahl der aufgeklärten Fälle nach Straftatbeständen (absolut und relativ) ist in der in Antwort zu Frage 4 genannten Tabelle eingearbeitet. Zu 6.: Im Betrachtungszeitraum haben Straftaten, die als "tätliche Angriffe" gewertet werden können, zugenommen . Die Aufklärungsquote ist dabei gleichmäßig hoch (vgl. Anlage Tabellen 3.1 bis 3.4). Im Bereich der Straftaten gegen das Leben ist ein Anstieg zu verzeichnen. So sind in den vergangenen zwei Jahren fünf Angriffe auf Polizeivollzugsbeamte als versuchte Tötungsdelikte klassifiziert worden. Die Körperverletzungsdelikte und Widerstandshandlungen zeigen im Betrachtungszeitraum einen Anstieg, der sich auch in den Fallzahlen insgesamt deutlich niederschlägt. In der Gesamtbetrachtung ist somit festzuhalten , dass die Gewalt gegen Polizeivollzugsbeamte zugenommen hat. Bei der Entwicklung der dargestellten Fallzahlen ist jedoch zu beachten, dass die Einführung eines neuen Erfassungskriteriums (Opferspezifik) einer gewissen "Anlaufzeit" bedarf, bevor eine statistische Aussagekraft erreicht werden kann. Auf die Antworten zu den Fragen 1 und 2 wird zudem verwiesen. 3 Drucksache 6/880Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 7.: Die Landesregierung versteht die Bekämpfung der Kriminalität im Allgemeinen sowie im phänomenspezifischen Kontext als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und Verantwortung. Als Dienstherr hat das Land gegenüber den Polizeivollzugsbeamten wegen ihrer gefahrenträchtigen Tätigkeit eine besondere Fürsorgepflicht. Diese erstreckt sich bereichsübergreifend unter anderem auf die Ausund Fortbildung, die Ausstattung mit Führungs- und Einsatzmitteln sowie die Rechtslage. a) Aus- und Fortbildung In der Ausbildung zum mittleren Dienst erfolgt bereits eine umfangreiche Vermittlung von theoretischen und praxisorientierten Kenntnissen, die durch Handlungsübungen sowie wiederholtes Verhaltens- und Kommunikationstraining begleitet sind. Die Polizeianwärter werden befähigt, Situationen mit dem gewaltbereiten Gegenüber, insbesondere in Alltagssituationen des Einsatz- und Streifendienstes, recht- und verhältnismäßig zu beherrschen und gegebenenfalls spezielle Selbstverteidigungstechniken zur Anwendung zu bringen. Die Vermittlung der komplexen Kenntnisse und Befähigungen setzt sich unvermindert bei der Ausbildung zum gehobenen Dienst fort. Das polizeiliche Handlungstraining für Studierende wird in Form des Polizeieinsatztrainings (PET) realisiert. Es ist permanenter Bestandteil des Studiengangs Bachelor of Arts "Polizeivollzugsdienst ". Das erfolgreiche Bestehen implementierter Module des PET ist Voraussetzung zur Graduierung. In den zahlreichen Trainingseinheiten werden Anwärter und Aufstiegsbeamte im Verlaufe der Ausbildung anhand praktischer Sachverhalte, welche regelmäßig realen Situationen angepasst werden, kontinuierlich in der erforderlichen Handlungskompetenz gestärkt. Grundlagen sind neben den gesetzlichen Regelungen auch die einschlägigen Polizeidienstvorschriften und Leitfäden zum Thema Eigensicherung. Im Rahmen der dezentralen Fortbildung ist der Themenkomplex wesentlicher Bestandteil des Dienstunterrichts und des PET. In Kombination von Selbstverteidigung, Nichtschießen/Schießen und Dienstsport zur allgemeinen körperlichen Fitness werden die Bediensteten befähigt, zweckmäßig und angemessen auf Ereignisse mit physischer oder psychischer Konfrontation zu reagieren. Der Bereich Aus- und Fortbildung wird im Bezugszusammenhang regelmäßig unter Einbeziehung aktueller Erkenntnisse evaluiert und angepasst. b) Ausstattung Eine bedarfsgerechte Ausstattung trägt wesentlich dazu bei, dass die Polizeivollzugsbeamten in ihrer Tätigkeit vor Gefahren und Angriffen geschützt werden. So verfügen jede Beamtin und jeder Beamte der Thüringer Polizei über eine individuelle Schutzausrüstung. Zur Schutzausrüstung gehören insbesondere Dienstwaffe, persönlich angepasste ballistische Schutzweste sowie besondere Körperschutzausstattungen für geschlossene Einheiten. Bei der Ausstattung der Thüringer Polizei orientiert sich die Landesregierung an bundeseinheitlichen Standards und stimmt sich eng mit dem Bund und den Ländern ab. Es liegt im besonderen Interesse der Landesregierung, die Thüringer Polizei durch eine bedarfsgerechte Ausstattung vor Gefahren in Einsätzen zu schützen. c) Rechtslage Zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben stehen der Thüringer Polizei die erforderlichen Befugnisse zur Verfügung . Dem Schutz der Polizeibeamten dienen insbesondere die in der Anlage genannten Straftatbestände. Hinsichtlich versorgungsrechtlicher Komponenten finden die Bestimmungen des Thüringer Beamtenversorgungsgesetzes (ThürBeamtVG) Anwendung. Danach werden grundsätzlich alle Folgekosten eines Dienstunfalls vom Dienstherrn übernommen und im Fall der Versetzung in den Ruhestand infolge eines entsprechenden Dienstunfalls ein Unfallruhegehalt bzw. bei einem qualifizierten Dienstunfall ein erhöhtes Unfallruhegehalt gewährt. Insbesondere mit dem erhöhten Unfallruhegehalt, das gemäß § 33 Abs. 2 ThürBeamtVG auch gewährt wird, wenn der Beamte in Ausübung des Dienstes durch einen rechtswidrigen Angriff oder außerhalb seines Dienstes durch einen Angriff im Sinne des § 26 Abs. 4 ThürBeamtVG einen Dienstunfall mit den in § 33 Abs. 1 ThürBeamtVG genannten Folgen erleidet, wird der Absicherung der von tätlichen Angriffen betroffenen Beamten besonders Rechnung getragen werden. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/880 Die Landesregierung hält die Fürsorgepflicht des Dienstherrn in den beschriebenen Fällen für ausreichend erfüllt. Zu 8.: Zu den Fällen, in denen Beamte oder Angestellte des öffentlichen Dienstes (außer Polizei) Opfer einer Gewalttat wurden, werden keine Statistiken geführt. Im Ergebnis einer auf Nachfrage basierenden Erhebung sind der Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren keine Fälle im Sinne der Fragestellung bekannt geworden. Dr. Poppenhäger Minister Anlage*) *) Hinweis: Auf den Abdruck der Anlage wurde verzichtet. Ein Exemplar mit Anlage erhielten jeweils die Fraktionen und die Landtagsbibliothek . Des Weiteren kann sie im Abgeordneteninformationssystem unter der oben genannten Drucksachennummer sowie im Internet unter der Adresse: www.parldok.thueringen.de eingesehen werden. 1 Anlage zur Kleinen Anfrage Nr. 266 „Polizeibeamte als Opfer von Gewalt“ Tabelle 1 „tätliche Angriffe“ auf Polizeivollzugsbeamte im Jahr 2014 Straftat erfasste Fälle davon Versuche Aufklärung in % Mord 1 1 100 Totschlag 3 3 100 Raubdelikte 4 2 100 Körperverletzung mit Todesfolge 0 0 0 gefährliche u. schwere Körperverletzung 37 14 70,3 einfache Körperverletzung 154 38 98,1 Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte 885 0 98,2 Tabelle 2 Straftaten insgesamt gegen Polizeivollzugsbeamte im Jahr 2014 Gesamtübersicht erfasste Fälle davon aufgeklärte Versuche Fälle Straftat Anzahl Anteil in % Anzahl Anteil In % Anzahl Anteil In % Straftaten insgesamt 1.177 100 59 5 1.143 97,1 Straftaten gegen das Leben 4 0,3 4 100 4 100 Mord 1 0,1 1 100 1 100 Totschlag 3 0,3 3 100 3 100 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung 3 0,3 0 0 2 66,7 Exhibitionistische Handlung 3 0,3 0 0 2 66,7 Rohheitsdelikte u. Straftaten gegen die persönl. Freiheit 282 24 55 19,5 266 94,3 Raub 2 0,2 2 100 2 100 Räuberischer Diebstahl 1 0,1 0 0 1 100 Räuberische Erpressung 1 0,1 0 0 1 100 gef. und schw. Körperverletzung 37 3,1 14 37,8 26 70,3 vors. einfache Körperverletzung 154 13,1 38 24,7 151 98,1 2 fahrlässige Körperverletzung 4 0,3 0 0 4 100 Nötigung 24 2 1 4,2 22 91,7 Bedrohung 58 4,9 0 0 58 100 Nachstellung (Stalking) 1 0,1 0 0 1 100 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte 887 75,4 0 0 871 98,2 Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte 885 75,2 0 0 869 98,2 Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (ohne PVB) 2 0,2 0 0 2 100 Sonstige Straftaten im Amt 1 0,1 0 0 0 100 Körperverletzung im Amt 1 0,1 0 0 0 100 Tabelle 3.1 bis 3.4 „tätliche Angriffe“ auf Polizeivollzugsbeamte 2011 bis 2014 Tabelle 3.1 2011 Straftat erfasste Fälle davon Versuche Aufklärung in % Mord 0 0 0 Totschlag 0 0 0 Raubdelikte 0 0 0 Körperverletzung mit Todesfolge 0 0 0 gefährliche u. schwere Körperverletzung 18 4 66,7 einfache Körperverletzung 39 7 97,4 Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte 409 0 99,0 Tabelle 3.2 2012 Straftat erfasste Fälle davon Versuche Aufklärung in % Mord 0 0 0 Totschlag 0 0 0 Raubdelikte 1 0 100 Körperverletzung mit Todesfolge 0 0 0 gefährliche u. schwere Körperverletzung 68 31 82,4 einfache Körperverletzung 109 25 99,1 Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte 662 0 98,9 3 Tabelle 3.3 2013 Straftat erfasste Fälle davon Versuche Aufklärung in % Mord 0 0 0 Totschlag 1 1 100 Raubdelikte 1 0 100 Körperverletzung mit Todesfolge 0 0 0 gefährliche u. schwere Körperverletzung 45 28 71,1 einfache Körperverletzung 108 35 97,2 Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte 779 0 98,8 Tabelle 3.4 2014 Straftat 2014 erfasste Fälle davon Versuche Aufklärung in % Mord 1 1 100 Totschlag 3 3 100 Raubdelikte 4 2 100 Körperverletzung mit Todesfolge 0 0 0 gefährliche u. schwere Körperverletzung 37 14 70,3 einfache Körperverletzung 154 38 98,1 Widerstand gegen Polizeivollzugsbeamte 885 0 98,2