22.07.2015 Drucksache 6/897Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 5. August 2015 Schuldnerberatung und Verbraucherinsolvenzberatung in Thüringen - Aufgaben und Strukturen (Teil 1) Die Kleine Anfrage 306 vom 6. Mai 2015 hat folgenden Wortlaut: Durch steigende Anforderungen an finanzielle Alltagsdienstleistungen wie Miete, Telefon, Versicherungen, zunehmende rechtliche und tatsächliche Komplexität von Verträgen mit Anbietern sowie durch Unübersichtlichkeit der Angebote im Internet und vor allem durch unsichere und prekäre Lebens- und Arbeitsverhältnisse (Scheidung, befristete Arbeitsverträge) geraten Betroffene in Verschuldung. Mit Blick auf Thüringen ist dabei zu beachten, dass es mehr Menschen in schlecht bezahlten und unsicheren Arbeitsverhältnissen und auch mehr Menschen in (Langzeit-)Arbeitslosigkeit gibt als in Westdeutschland. Umso wichtiger ist eine wirksame und flächendeckende Schuldner- und Insolvenzberatung als Teil des sozialen Unterstützungs - und Auffangnetzes in Thüringen. Dabei ist auch zu bedenken, dass Schuldner- und Insolvenzberatung in der Praxis bzw. im jeweiligen konkreten Fall viele Überschneidungspunkte haben. Deshalb ist zum Beispiel auch zu klären, wie diese Tatsachen bei Fragen der Zusammenarbeit und bei den Arbeitsstrukturen der beiden Themenfelder zu berücksichtigen sind. Ich frage die Landesregierung: 1. Welche Aufgaben nehmen die Schuldnerberatungsstellen und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen in Thüringen wahr? 2. Welche dieser Aufgaben sind gesetzliche Aufgaben, welche davon sind freiwillige Aufgaben? Wie sind insbesondere gemessen an diesen Kriterien die Aufgaben der Schuldnerberatung und der Verbraucherinsolvenzberatung im Rahmen der Umsetzung der Sozialgesetzbücher (SGB), insbesondere des SGB II und des SGB XII, einzuordnen? 3. Wer sind die Aufgabenträger bzw. die Träger der Schuldnerberatungs- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen in Thüringen (bitte nach Einrichtung, Standort und Träger ausweisen)? 4. Zu Strukturen und Arbeit der Schuldnerberatung in Thüringen: a) Welche Strukturen zur Schuldnerberatung stehen in Thüringen zur Verfügung? Welche beruflichen Qualifikationen haben die Beratungspersonen? Inwiefern findet hier durch wen eine entsprechende Qualitätssicherung statt? b) Wie viele Fälle bzw. Anfragen haben die Schuldnerberatungen seit dem Jahr 2009 bearbeitet (bitte nach Jahren und gegebenenfalls auch nach Beratungsstellen ausweisen)? Inwiefern sind Aussagen zum sozialen Hintergrund der Rat suchenden Einzelpersonen oder Familien möglich? Welche WarK l e i n e A n f r a g e der Abgeordneten Skibbe (DIE LINKE) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Migration, Justiz und Verbraucherschutz 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/897 tezeiten sind der Landesregierung bekannt, die Hilfesuchende nach einem Erstkontakt mit Schuldnerberatungsstellen hinnehmen müssen bis zur Erstberatung bzw. zur Aufstellung eines wirksamen Schuldentilgungsplans (wenn bekannt, bitte nach Kreisen und kreisfreien Städten ausweisen)? c) Wie viele Stellen bzw. Stellenanteile stehen seit dem Jahr 2009 zur Schuldnerberatung in den einzelnen Einrichtungen zur Verfügung (bitte nach Einrichtung, Träger, Stellenanteilen und Jahren getrennt ausweisen)? d) Wie wurden diese Beratungsstrukturen seit dem Jahr 2009 durch öffentliche Förderung unterstützt (bitte nach einzelnen Jahren und den jeweiligen Förderbeträgen aufschlüsseln)? e) Inwiefern findet eine Zusammenarbeit der Schuldnerberatungs- bzw. Verbraucherinsolvenzberatungstellen mit Behörden und anderen Stellen und Organisationen, zum Beispiel im Rahmen der Hilfeplanung nach §§ 36, 36a SGB VIII, mit Gerichtsvollziehern, Banken und anderen statt? f) In welcher Weise unterstützt (zukünftig) die Landesregierung solche unter Buchstabe e erfragten "präventiven " bzw. "vernetzten" Hilfsangebote? Das Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 16. Juli 2015 (Eingang: 22. Juli 2015) wie folgt beantwortet: Zu 1.: Die Schuldnerberatung richtet sich an verschuldete, von Überschuldung bedrohte und überschuldete Familien und Einzelpersonen, die ohne fremde Hilfe außerstande sind, ihre wirtschaftliche und soziale Situation zu bewältigen. Schuldnerberatung soll als Teil der Sozialberatung die materielle Lebensgrundlage der betreffenden Menschen sichern helfen. Sie ist nicht als rein wirtschaftliche Beratung zu verstehen, sondern als ganzheitliches Hilfsangebot, das psychosoziale Begleitung sowie pädagogische und präventive Maßnahmen einschließt, soweit sie im Rahmen der vorhandenen Kapazitäten für die Schuldnerberatung möglich und erforderlich sind. Dabei soll auf vorhandene spezifische Beratungsangebote vor Ort zurückgegriffen werden. Die Verbraucherinsolvenzberatungsstellen in Thüringen beraten und begleiten überschuldete Personen im vorgerichtlichen Verbraucherinsolvenzverfahren, im gerichtlichen Schuldenbereinigungsverfahren und im gerichtlichen Insolvenzverfahren bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung. Dieser Auftrag ergibt sich auch aus dem Thüringer Gesetz zur Ausführung der Insolvenzordnung (ThürAGInsO), dessen § 4 Abs. 1 bestimmt: "Aufgabe der geeigneten Stelle oder Person ist die Beratung, Unterstützung und Vertretung von Schuldnern bei der Schuldenbereinigung, insbesondere bei der außergerichtlichen Einigung mit den Gläubigern auf der Grundlage eines Plans nach den Bestimmungen über das Verbraucherinsolvenzverfahren nach dem Neunten Teil der Insolvenzordnung." Die Verbraucherinsolvenzberatungsstellen sollen darüber hinaus auch das Angebot der Schuldnerberatung vorhalten, um so eine durchgängige und gleichbleibende Fallbearbeitung zu sichern. Bei 24 der insgesamt 25 in Thüringen tätigen Verbraucherinsolvenzberatungsstellen geschieht dies auch, es wird Schuldnerberatung und Verbraucherinsolvenzberatung aus einer Hand angeboten. Im Landkreis Greiz wird die allgemeine Schuldnerberatung von der Schuldnerberatungsstelle des Landratsamtes Greiz vorgehalten und die Verbraucherinsolvenzberatung von der Volkssolidarität Regionalverband Zeulenroda e. V. geleistet. Zu 2.: Gemäß § 16a Satz 1 Nr. 2 SGB II kann zur Verwirklichung einer ganzheitlichen und umfassenden Betreuung und Unterstützung bei der Eingliederung in Arbeit die Schuldnerberatung als kommunale Eingliederungsmaßnahme erbracht werden. Das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen spricht insoweit von einer Ermessensaufgabe (Urteil vom 28. April 2015, L 11 AS 255/13, Absatz-Nr. 25). Nach § 11 Abs. 5 Satz 2 SGB XII haben die Träger der Sozialhilfe im Bedarfsfall auf die Inanspruchnahme einer Schuldnerberatungsstelle hinzuwirken. § 11 Abs. 5 Satz 3 und 4 SGB XII regeln, inwieweit eine Kostenübernahme durch die Träger der Sozialhilfe erfolgt. Ferner ist die Schuldnerberatung nach dem Thüringer Justizvollzugsgesetzbuch (ThürJVollzGB) Teil des Vollzugs- und Eingliederungsplans, vgl. §§ 14, 15 Abs. 1 Nr. 19 ThürJVollzGB. 3 Drucksache 6/897Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Die Aufgaben der Verbraucherinsolvenzberatungsstellen ergeben sich aus § 305 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO) in Verbindung mit den Regelungen des Thüringer Gesetzes zur Ausführung der Insolvenzordnung (ThürAGInsO). Zu 3.: Aufgabenträger der Schuldnerberatung sind die Landkreise und kreisfreien Städte im Rahmen der kommunalen Eingliederungsleistungen nach § 16a Satz 1 Nr. 2 SGB II bzw. § 11 Abs. 5 SGB XII zur Abwendung oder Überwindung besonderer Notlagen (siehe auch Antwort zu Frage 2). Die Aufgaben der Verbraucherinsolvenzberatungsstellen ergeben sich aus dem Zusammenspiel von § 305 Abs. 1 Nr. 1 InsO und dem Thüringer Gesetz zur Ausführung der Insolvenzordnung (siehe Antwort zu Frage 2). Das für Verbraucherinsolvenzberatung zuständige Thüringer Ministerium für Migration, Justiz und Verbraucherschutz ist für die Anerkennung der geeigneten Stellen zuständig, § 1 Abs. 1 ThürAGInsO. Diese erhalten gemäß § 6 ThürAGInsO durch den Freistaat Thüringen im Rahmen der zugewiesenen Haushaltsmittel Zuwendungen für Personalkosten und Sachkosten. Aus dem Zusammenspiel der Anerkennung als geeignete Stelle im Verbraucherinsolvenzverfahren und der gewährten Förderung sind die geförderten Beratungsstellen verpflichtet, die Aufgaben der Verbraucherinsolvenzberatung zu erfüllen. Eine tabellarische Übersicht zu den Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen nebst Standortangaben ist als Anlage 1 beigefügt. Inwieweit weitere Beratungsangebote zur Schuldnerberatung existieren, ist der Landesregierung nicht bekannt , da für die Schuldnerberatung die Zuständigkeit bei den Landkreisen und kreisfreien Städten liegt. Zu 4. a: Aussagen zu Beratungsstrukturen der Schuldnerberatung können seitens der Landesregierung nicht gemacht werden, da hierfür die Zuständigkeit bei den Landkreisen und kreisfreien Städten liegt (vgl. Antwort zu Frage 3). Zu den vom Freistaat Thüringen geförderten Verbraucherinsolvenzberatungsangeboten wird bis auf den Landkreis Greiz in allen Landkreisen und kreisfreien Städten ein Angebot zur Schuldnerberatung mit vorgehalten. Zu 4. b: Hierzu liegen keine statistischen Angaben vor. Zu der Frage nach dem sozialen Hintergrund der Rat suchenden Personen oder Familien wird auf die Antwort zu Frage 1 Buchst. a in der Kleinen Anfrage 308 verwiesen . Hinsichtlich der Frage zu den Wartezeiten wird auf die Antwort zu Frage 1 Buchst. e in der Kleinen Anfrage 307 verwiesen. Zu 4. c: Entsprechende Erkenntnisse liegen der Landesregierung nicht vor, vgl. Antwort zu Frage 4 Buchst a. Zu 4. d: Zu den Schuldnerberatungsstellen liegen keine Zahlen vor. Die Beratungsstellen für Verbraucherinsolvenzberatung wurden in den vergangenen Jahren durch den Freistaat wie folgt unterstützt: 2009 1.417.526,16 Euro 2010 1.426.308,00 Euro 2011 1.361.651,48 Euro 2012 1.376.275,65 Euro 2013 1.400.904,64 Euro 2014 1.441.743,27 Euro Zu 4. e: Als ganzheitliches Angebot beschränken sich die Leistungen der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung nicht nur auf finanziell-rechtliche Inhalte, sondern schließen lebenspraktische, pädagogisch-präventive und psychosoziale Aspekte ein. 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/897 Die LIGA der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen e.V. als Zusammenschluss der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege in Thüringen, die Landesarbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung in Thüringen e.V. und das vormals für die Verbraucherinsolvenzberatung zuständige Sozialministerium haben im Jahre 2010 einheitliche "Qualitätsstandards in der Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatung in Thüringen " erarbeitet und verabschiedet. Diese Qualitätsstandards sehen unter Punkt I.7 vor, dass die Beratungsstellen zur Verbesserung der Lebenssituation Überschuldeter sowie zur Vermeidung von Überschuldung und Minderung ihrer Folgen mit anderen Fachdiensten und Beratungsangeboten zusammenarbeiten. Ausweislich der jährlichen Tätigkeitsberichte der Träger setzen die Schuldner- und Verbraucherinsolvenzberatungsstellen diese Vorgabe von Zusammenarbeit in unterschiedlicher Weise um. Sie kooperieren mit trägerinternen und trägerexternen sozialen Beratungs- und Unterstützungsangeboten, wie beispielsweise Erziehungs-, Ehe-, Familien- und Lebensberatungsstellen, Einrichtungen der Sozialpädagogischen Familienhilfe , TIZIAN-Projekten, Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen, Sucht- und Drogenberatungsstellen , der Verbraucherzentrale Thüringen e.V., Sozialleistungsträgern wie Jobcentern, Arbeitsagenturen, Sozialämtern , Jugendämtern und Wohngeldämtern. Weiterhin bestehen Kontakte zu den Insolvenzgerichten, Vollstreckungsgerichten und Gerichtsvollziehern, Betreuungsvereinen und Berufsbetreuern. Daneben wird auch mit Banken und Sparkassen vor Ort zusammengearbeitet. Zu 4. f: Nach den Richtlinien zur Förderung von Verbraucherinsolvenzberatungsstellen im Freistaat Thüringen (Förderrichtlinien ) in der Fassung vom 17. April 2013 werden Personal und Sachausgaben für eine Fachberatungsstelle zur juristischen Beratung, Fortbildung und Präventionsarbeit im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel gefördert. Dies umfasst auch die Förderung der Entwicklung und der landesweiten Vernetzung von Präventionsmaßnahmen auf der Grundlage einer mit dem für die Verbraucherinsolvenzberatung zuständigen Ministerium abgestimmten Konzeption. In Vertretung Dr. Albin Staatssekretärin Anlage*) *) Hinweis: Auf den Abdruck der Anlage wurde verzichtet. Ein Exemplar mit Anlage erhielten jeweils die Fraktionen und die Landtagsbibliothek . Des Weiteren kann sie im Abgeordneteninformationssystem unter der oben genannten Drucksachennummer sowie im Internet unter der Adresse: www.parldok.thueringen.de eingesehen werden.