06.08.2015 Drucksache 6/915Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 20. August 2015 Sterben von Gastgewerbe in Thüringen Die Kleine Anfrage 344 vom 17. Juni 2015 hat folgenden Wortlaut: Immer mehr Gaststätten in Thüringen müssen schließen und nehmen damit gerade kleinen Orten wichtige soziale Anlaufpunkte. Für den Tourismus ist die Vielfalt an gastronomischen Angeboten wesentlich. Die Gründe für die Schließung von Gaststätten sind vielschichtig. Als eine der wesentlichen Ursachen wird vom Deutschen Hotel- und Gaststättenverband e.V. (DEHOGA) die steigende Bürokratie genannt. Belastungen wie die Dokumentationspflichten in der Kontrolle des Mindestlohns, unflexible Arbeitszeitvorschriften und Nachweispflichten von allergenen Stoffen sind Beispiele hierfür. Darüber hinaus sind insbesondere die geringen Gewinnspannen sowie die schwierige Fachkräftesituation Gründe für das Schließen von Gaststätten . Weiterhin problematisch sehen die Gastwirte die Einführung des Thüringer Bildungsfreistellungsgesetzes . Dieses Gesetz trage zur Verschärfung der schon sehr angespannten Situation im Gastgewerbe bei. Ich frage die Landesregierung: 1. Wie schätzt die Landesregierung die Situation des Gastgewerbes in Thüringen ein? 2. Welche Gründe sieht die Landesregierung für die vermehrte Schließung von Gaststätten in Thüringen? 3. Wie schätzt die Landesregierung die Fachkräftesituation im Gastgewerbe ein? Welche Maßnahmen zur Fachkräftesicherung im Gastgewerbe plant die Landesregierung? 4. Wie soll aus Sicht der Landesregierung die Gaststättenlandschaft in Thüringen erhalten werden? Welche Maßnahmen sind hierzu geplant? 5. Welche Erkenntnisse liegen der Landesregierung über die bürokratischen Belastungen des Gastgewerbes in Thüringen vor und wie können die bürokratischen Belastungen abgemildert werden? Das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 5. August 2015 wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Der Tourismus ist ein wichtiger Wirtschaftszweig für Thüringen. Die Landestourismuskonzeption Thüringen 2015 hat gegriffen. In Thüringen wurden im Jahr 2014 knapp zehn Millionen Übernachtungen gezählt. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Übernachtungen um drei Prozent. Dieser neue Höchststand K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Bühl (CDU) und A n t w o r t des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/915 beinhaltete 600.000 von Gästen aus dem Ausland gebuchte Übernachtungen. Die Attraktivität Thüringens ist gestiegen und somit sind gute Voraussetzungen für ein florierendes Gastgewerbe geschaffen. Um diese Zahl künftig im Interesse des Gastgewerbes noch weiter zu steigern, wurde in diesem Jahr der 41. Germany Travel Mart - die größte Incoming-Veranstaltung für den Deutschland-Tourismus - mit mehreren hundert Reiseveranstaltern aus 45 Ländern in Thüringen durchgeführt. Ebenso ist beabsichtigt, künftig das touristische Auslandsmarketing weiter zu forcieren. Zu 1.: Trotz steigender Gästezahlen sind Umsätze, Gewinne und Einkommen im Thüringer Gastgewerbe im Durchschnitt immer noch rückläufig. Vor dem Hintergrund verschiedener Faktoren wie der immer noch prägenden geringen durchschnittlichen Betriebsgröße im Thüringer Gastgewerbe (Thüringer Betriebsvergleich für das Gastgewerbe 2012), der zu niedrigen Preise und der oftmals zu geringen Eigenkapitaldecke profitieren Anbieter und Beschäftigte im Hotel- und Gastgewerbe zu wenig vom Aufwärtstrend bei den Übernachtungen. Ziel der Landesregierung ist es, durch die Instrumente, welche ihr zur Verfügung stehen, das Gastgewerbe zu unterstützen, um letztlich eine Trendumkehr bei der Umsatz- und Gewinnentwicklung zu erreichen. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Antwort zu Frage 4 verwiesen. Zu 2.: Grundsätzlich ist festzuhalten, dass im steigenden nationalen und internationalen Wettbewerb nur qualitativ hochwertige und serviceorientierte Betriebe bestehen können. Neben einem gestiegenen Qualitätsanspruch bestehen allerdings auch weitere Herausforderungen für die Thüringer Betriebe im Gaststättengewerbe. Zu benennen sind insbesondere die Kleinteiligkeit der gastronomischen Betriebe, Nachfrageprobleme und ein Fachkräftemangel bedingt durch den demografischen Wandel ebenso wie durch die spezifischen Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe. Zu 3.: Der Chancenatlas für Thüringen der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Sachsen-Anhalt-Thüringen bescheinigt dem Hotel- und Gaststättengewerbe gute berufliche Perspektiven. Die Ausbildungsvergütungen für Hotelfachkräfte lagen 2014 bei 581 Euro Monat, Fachkräfte im Gastgewerbe verdienten 540 Euro Monat und Köche in Ausbildung wurden mit 581 Euro Monat vergütet. Die Deckung des Fachkräftebedarfes ist im Freistaat vor allem für Kleinst- und Kleinunternehmen mit wachsenden Problemen verbunden. Auf erstere entfielen nach Daten des IAB-Betriebspanels 2013 24 Prozent des Fachkräftebedarfs im Freistaat, auf letztere 33 Prozent des Bedarfs an Fachkräften. Das Thüringer Gastgewerbe wird mehrheitlich durch solche Betriebe geprägt. Derzeit wird seitens der Landesregierung in Abstimmung mit den Wirtschafts- und Sozialpartnern und der Bundesagentur für Arbeit eine neue Thüringer Allianz für Berufsbildung und Fachkräfteentwicklung erarbeitet , die entsprechende, flankierende Maßnahmen vorsieht, um die Fachkräftesicherung in den Unternehmen und damit auch dem Gastgewerbe zu unterstützen. Dazu gehört z. B. die weitere Verbesserung der Berufsorientierung, um dazu beizutragen, Schülerinnen und Schülern langfristig und zielgerichtet die Einmündung in geeignete Berufsfelder zu ermöglichen; davon profitiert auch das Gastgewerbe. Die Gewinnung ausländischer Arbeitskräfte verbunden mit einer Verbesserung der Willkommenskultur ist ebenfalls ein Beitrag, drohenden Fachkräfteengpässen in allen Thüringer Wirtschaftszweigen aktiv zu begegnen. Eine stärkere Fokussierung auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und eine damit verbundene Fortsetzung des Ausbaus der Betreuungsinfrastruktur soll diesem Ziel Vorschub leisten und außerdem mehr Frauen zur Aufnahme einer Vollzeiterwerbstätigkeit motivieren. Zu 4.: Es wird auf die Antworten zu den Fragen 2 und 3 verwiesen. Um die Gaststättenlandschaft in Thüringen zu erhalten, kann die Landesregierung unterstützend wirken und günstige Rahmenbedingungen schaffen. Neben den dargestellten Maßnahmen im Bereich Fachkräftebedarf unterstützt die Landesregierung die Gewährleistung eines leistungsfähigen Gastgewerbes mit einer hochwertigen Gaststättenlandschaft wie folgt: - Unterstützung anstehender Investitionen über das bestehende Förderinstrumentarium der Thüringer Aufbaubank (TAB) mit umfassendem Beratungsangebot; - Ergänzend zu Einzelberatungen Umsetzung spezifischer Informationsveranstaltungen des Thüringer Ministeriums für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale Gesellschaft gemeinsam mit der TAB, der Thüringer Tourismus GmbH (TTG) und dem DEHOGA Thüringen e.V. sowie der IHK; bei diesen Veran- 3 Drucksache 6/915Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode staltungen stehen neben Fragen der finanziellen Unterstützung auch Themen wie ServiceQualität und Profilierung der Unternehmen im Wettbewerb im Vordergrund; - Beratung der Betriebe durch das im Rahmen der Thüringer Landestourismuskonzeption 2015 erfolgreich umgesetzte Beratungsnetzwerk; hier werden durch die TTG Betriebe, auch im Gaststättenbereich, aufgesucht und hinsichtlich vorgegebener Kriterien konkret beraten; - Unterstützung der Themen des Gastgewerbes durch Schwerpunktsetzungen im Rahmen der Marketingkommunikation der TTG (z.B. Kulinarik); - Unterstützung des Themenfeldes Gastronomie/Kulinarik über das im Juli 2015 vergebene Thüringer Tourismusbudget (Schwerpunkt "Thüringer Tischkultur"); - wesentliche Unterstützung durch den Ausbau eines hochwertigen Images für das Reiseland Thüringen. Die Landesregierung wird weiterhin in die Marke "Thüringen entdecken" investieren. Auch durch eine Fortschreibung der LTK 2015 soll der Tourismus in Thüringen weiter gestärkt werden. Grundsätzlich ist es gerade vor dem Hintergrund des stetig wachsenden Wettbewerbs in erster Linie Aufgabe der Unternehmer des Gastgewerbes selbst, für gute Qualität und gute Angebote insbesondere Alleinstellungsmerkmale sowie selbstverständlich einen guten Service und somit insgesamt für mehr Wertschöpfung Sorge zu tragen. Zu 5.: - Gaststättengesetz Das Thüringer Gaststättengesetz (ThürGastG) hat das Gaststättengesetz des Bundes ersetzt und ist am 1. Januar 2009 in Kraft getreten. Mit dem Inkrafttreten des Thüringer Gaststättengesetzes wurde das bisherige Genehmigungsverfahren bei Gründung oder Übernahme einer gastronomischen Einrichtung durch ein reines Anzeigeverfahren mit Zuverlässigkeitsüberprüfung ersetzt. Damit wurden bürokratische Hürden erheblich gesenkt. - Mindestlohngesetz Mit dem seit 1. Januar 2015 geltenden Mindestlohngesetz (MiLoG), welches wiederum Bestandteil des Gesetzes zur Stärkung der Tarifautonomie ist, hat Deutschland einen flächendeckenden gesetzlichen und weitgehend branchenunabhängigen Mindestlohn für Arbeitnehmer erhalten. Nach dem Mindestlohngesetz (§ 17 MiLoG) müssen Arbeitgeber Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit aufzeichnen und diese Aufzeichnungen mindestens zwei Jahre aufbewahren. Dies gilt für alle im § 2a des Schwarzarbeitsbekämpfungsgesetz genannten Branchen und für Minijobberinnen und Minijobber im gewerblichen Bereich. Zu den oben genannten Branchen (insgesamt neun Branchen) werden beispielsweise das Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe, das Baugewerbe oder die Fleischwirtschaft gezählt, insbesondere weil diese als recht anfällig für Schwarzarbeit gelten. Nach einer Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales wurden bereits Anfang Juli 2015 erste Vereinfachungen bezüglich der Reduzierung von Aufzeichnungspflichten in Aussicht gestellt. So soll die Einkommensgrenze von 2.958 Euro brutto - bis zu der bisher aufgezeichnet werden musste - auf 2.000 Euro brutto reduziert werden. Danach ist ein Wegfall der Aufzeichnungspflichten aber nur möglich , wenn das Nettoentgelt während der letzten zwölf Monate auch tatsächlich ausgezahlt wurde. Zudem sind bei der Beschäftigung von engen Familienangehörigen (Ehegatten, eingetragene Lebenspartner, Kinder und Eltern des Arbeitgebers) die Aufzeichnungspflichten ebenfalls verzichtbar. So wird verhindert, dass Familien in Konfliktsituationen gebracht werden. Diese Erleichterungen werden in einer Verordnung in den nächsten Wochen umgesetzt. In diesem Zusammenhang ist auf eine weitere Erleichterung hinzuweisen. Die Arbeits- und Sozialministerkonferenz hat im April dieses Jahres einen Umlaufbeschluss gefasst, der längere Arbeitszeiten unter anderem im Hotel- und Gaststättengewerbe ermöglicht. Von dieser Option wurde bereits in Thüringen durch einen Erlass des Thüringer Arbeits- und Sozialministeriums an das Thüringer Landesamt für Verbraucherschutz Gebrauch gemacht. - Lebensmittelüberwachung Gaststätten sind Lebensmittelunternehmen im Sinne des Lebensmittelrechts, damit sind bestimmte Dokumentationspflichten zu erfüllen. Die rechtlichen Grundlagen dienen der Gewährleistung der hygienischen und gesundheitlichen Unbedenklichkeit der Speisen und Getränke. Dabei handelt es sich ausschließlich um Bundes- und EU-Recht, so dass eine landesspezifische Entlastung nicht möglich ist. Die Aufzeichnungen sollen die Unternehmer auch darin unterstützen, nachzuweisen, dass sie die im Verkehr mit Lebensmit- 4 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/915 teln erforderliche Sorgfalt haben walten lassen. Die Vorschriften des Hygienerechts erlauben einen an das jeweilige Unternehmen angepassten Umfang der Dokumentation je nach der Produktpalette, der Handhabung und der Vermarktungswege der hergestellten Lebensmittel. Diese Flexibilität wird in Deutschland angemessen angewendet, was in einem Bericht des Lebensmittelund Veterinäramtes der Europäischen Union (DG(SANCO) 2014-7121 - MR FINAL) ausdrücklich bestätigt wird, der in der Folge eines diesbezüglichen Sondierungsbesuches, welcher die Delegation auch nach Thüringen führte, erstellt wurde. Das in der Einleitung zur Anfrage aufgeführte Beispiel der Allergenkennzeichnung wurde ebenfalls möglichst unbürokratisch in der Vorläufigen Lebensmittelinformations-Ergänzungsverordnung vom 28. November 2014 (BGBl. I S. 1994) (VorlLMIEV) für die Abgabe loser Ware, wie sie in Gaststätten üblich ist, umgesetzt. Die Allergenkennzeichnung ist für die betroffenen Personen unerlässlich, um gesundheitliche Beeinträchtigungen zu vermeiden, insofern ist hier die Flexibilität begrenzt. Bei der Erstellung der zugrunde liegenden nationalen Vorschrift wurden Verbände der betroffenen Zweige der Lebensmittelwirtschaft einbezogen und deren Vorschläge soweit möglich berücksichtigt. Es ist auch anzumerken, dass die Allergenkennzeichnung nicht nur als bürokratischer Aufwand gesehen werden muss, sondern dass mit ihr ein nicht unerheblicher Kundenkreis erschlossen werden kann, nämlich allergische Personen, die aus Unsicherheit über mögliche Gesundheitsgefahren durch aushäusige Verpflegung bisher ganz auf diese verzichtet haben und nun als neue Besucher gewonnen werden können. Vorschläge für die Entbürokratisierung in der Lebensmittelüberwachung werden anlassbezogen geprüft und gegebenenfalls Änderungen vorgenommen. In Vertretung Maier Staatssekretär