11.08.2015 Drucksache 6/925Thüringer LandTag 6. Wahlperiode Druck: Thüringer Landtag, 25. August 2015 Äußerungen des Thüringer Ministerpräsidenten zu Griechenland und zur Nato Die Kleine Anfrage 361 vom 29. Juni 2015 hat folgenden Wortlaut: In jüngsten Interviews hat sich der Ministerpräsident des Freistaats Thüringen, Bodo Ramelow, zu zahlreichen Themen geäußert, die nach meiner Auffassung deutlich außerhalb des Tätigkeitsfeldes eines Landespolitikers liegen. Damit widerspricht der Ministerpräsident immer deutlicher seiner kurz nach der Wahl mehrfach geäußerten Absicht "nur Landespolitik" betreiben zu wollen. Insbesondere haben der Ministerpräsident und der Regierungssprecher scharfe Kritik an einer regelorientierten europäischen Finanzpolitik gegenüber Griechenland geäußert. In einem Interview mit SPIEGEL-ONLINE vom 23. Juni 2015 hat Ministerpräsident Ramelow unter anderem behauptet, dass "die sogenannten Hilfspakete von 2010 und 2012 (...) die folgenreichsten fiskalpolitischen Fehlentscheidungen seit der Wiedervereinigung " waren. Weiterhin wird der Ministerpräsident mit den Worten zitiert: "Im Moment zwingen wir die Griechen, die Zinsen der Spekulanten zu bedienen." Außerdem erklärte er: "Das Rezept, Rettungspakete für die Banken, Austeritätsprogramme für die kleinen Leute, ist gescheitert." Und auch zu einem anderen Thema, das mit der Thürin ger Landespolitik nichts zu tun hat, äußerte er sich sehr deutlich, indem er erklärte: "Die Nato setzt auf aggressive Interventionspolitik, (...)" Ich frage die Landesregierung: 1. Inwieweit teilt die Landesregierung die Einschätzung des Ministerpräsidenten, die (deutsche) Wiedervereinigung sei eine "fiskalpolitische Fehlentscheidung" gewesen und welche Anhaltspunkte sieht sie dafür? 2. Inwieweit stellen aus Sicht der Landesregierung die zur Stabilisierung Griechenlands und der Eurozone aufgelegten Hilfspakete von 2010 und 2012 eine folgenreiche fiskalpolitische Fehlentscheidung dar? 3. Sieht die Landesregierung einen Unterschied zwischen Fiskal- und Finanzpolitik und wenn ja, inwieweit geht sie davon aus, dass griechische Regierungen in der Vergangenheit fiskalpolitische Fehlentscheidungen getroffen haben, beispielsweise indem sie Steuererleichterungen für Reeder geschaffen oder aus stehende Steuerzahlungen nicht eingetrieben haben? 4. Wie begründet der Ministerpräsident seine Behauptung, dass Griechenland von Deutschland gezwungen werde, "die Zinsen der Spekulanten zu bedienen"? 5. Welche Erkenntnisse liegen dem Ministerpräsidenten vor, an wen und in welcher Höhe die griechische Regierung Zinsen zahlt? K l e i n e A n f r a g e des Abgeordneten Gruhner (CDU) und A n t w o r t der Thüringer Staatskanzlei 2 Thüringer Landtag - 6. WahlperiodeDrucksache 6/925 6. Hält der Ministerpräsident deutsche Steuerzahler, die in Folge der verantwor tungslosen Finanzpolitik der griechischen Links-Rechts-Regierung möglicherweise für Zahlungsausfälle bürgen müssen, für Spekulanten? 7. Wie begründet der Ministerpräsident seine Behauptung, das in allen anderen Euro-Krisenstaaten erfolgreiche Rettungsrezept habe unter anderem in einem "Austeritätsprogramm für die kleinen Leute" bestanden und sei gescheitert? 8. Ist der Ministerpräsident der Ansicht, dass das Streben nach soliden Staatsfinanzen, nach einer Begrenzung der Neuverschuldung und ausgeglichenen Haushalten Ausdruck eines "Austeritätsdenkens" ist? 9. Welche Anhaltspunkte hat der Ministerpräsident dafür, eine Behauptung der russischen Staatspropaganda zu wiederholen und der NATO angesichts der russischen Annexion auf der Krim eine "aggressive Interventionspolitik" vorzuwerfen? 10. In welchen Ländern zeigt sich nach Ansicht des Ministerpräsidenten aktuell die von ihm behauptete "aggressive Interventionspolitik" der NATO? 11. Zählt zum Informationsangebot, das der Ministerpräsident nutzt, auch die vom russischen Staatssender Russia-Today übernommene Sendung bei Salve-TV? Die Thüringer Staatskanzlei hat die Kleine Anfrage namens der Lan desre gierung mit Schreiben vom 5. August 2015 (Eingang: 11. August 2015) wie folgt beantwortet: Vorbemerkung: Der Ministerpräsident stellt sich regelmäßig in Interviews den Fragen von Journalisten, die er stets nach bestem Wissen und Gewissen beantwortet. Auch im vorliegenden Fall haben weder der Ministerpräsident noch die Thüringer Staatskanzlei auf Thema und Tenor der gestellten Fragen Einfluss genommen. Dies würde Artikel 5 Abs. 1 Grundgesetz widersprechen. Gleichermaßen steht es auch dem Ministerpräsidenten und den anderen Mitgliedern der Landesregierung frei, im Rahmen der Einhaltung ihrer Amtspflichten ihre Meinung in der Öffentlichkeit frei zu äußern. Diese Freiheit der Meinungsäußerung betrifft auch Themenfelder , die nicht im Regelungsbereich der Thüringer Landesregierung liegen, und zu denen die Landesregierung keine Positionierung vorgenommen hat. Dazu gehören die im Zusammenhang der Fragestellung berührten Themenfelder der Europa- und Außenpolitik. Es obliegt der Landesregierung nicht, solche Meinungsäußerungen ihrer Mitglieder zu interpretieren oder zu bewerten. Zu 1.: Die Frage gibt die Äußerung des Ministerpräsidenten falsch wieder. Der Ministerpräsident hat nicht die Einschätzung geäußert, dass die Wiedervereinigung eine fiskalpolitische Fehlentscheidung war. Unabhängig davon, ob die Landesregierung sich diese Position zu eigen macht oder nicht, wird auf den Beitrag "Die deutsch-deutsche Währungsunion ein kritischer Rückblick" im Wochenbericht 27/2015 des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung verwiesen, indem u.a. ausgeführt wird: "Wenn die Chance einer raschen politischen Vereinigung ergriffen werden musste und wenn es darum ging, die Abwanderungswelle aus der DDR zum Abschwellen zu bringen, dann musste wohl die Währungsunion am Beginn des wirtschaftlichen Umstrukturierungsprozesses stehen. Politisch war die Währungsunion also zwingend notwendig , wirtschaftlich erwies sie sich aber als ein Desaster. Das grundlegende Problem bestand darin, dass mit der Übernahme einer starken Währung die Erwartung verbunden war, dass sich damit - quasi im Selbstlauf - wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und höhere Einkommen einstellen würden. Es wurde ausgeblendet , dass die Einkommen mit einer entsprechenden Produktivität verdient werden müssen. Die Politik hatte indes, dem Zauberlehrling gleich, die Illusion einer raschen Angleichung der Einkommen an das westdeutsche Niveau noch geschürt. Da die Währungsunion in eine Wirtschafts- und Sozialunion eingebettet war, wurde der wirtschaftliche Neuaufbau im Osten weniger durch eigene Anpassungsprozesse, sondern primär durch enorme Transfers aus dem Westen vorangetrieben. Es ist dadurch vieles erreicht worden - insbesondere eine Re-Industrialisierung. Gleichwohl ist der Osten immer noch von Transfers abhängig, und die ProKopf -Wirtschaftsleistung erreicht gerade einmal etwas mehr als 70 Prozent des westdeutschen Wertes." 3 Drucksache 6/925Thüringer Landtag - 6. Wahlperiode Zu 2. bis 8.: Die Landesregierung nimmt keine Bewertung der finanz- und fiskalpolitischen Maßnahmen der aktuellen oder früheren griechischen Regierungen vor. Die in der Frage 6 enthaltene Unterstellung stützt sich auf keine diesbezügliche Äußerung des Ministerpräsidenten, die Frage 7 gibt die Äußerung des Ministerpräsidenten falsch wieder, da der Ministerpräsident keine Aussage zu "allen anderen Euro-Krisenstaaten" getroffen hat. Unbestritten ist aber, dass ein erheblicher Teil der in den Jahren 2010 und 2012 bewilligten Gelder zur finanziellen Stabilisierung Griechenlands in Zinszahlungen flossen. Der unabhängige griechische Thinktank "Macropolis" beziffert den Umfang der aus den Programm-Mitteln geleisteten Zinszahlungen auf rund 40,6 Milliarden Euro unter Bezug auf Daten der EU-Kommission und des Griechischen Amts für Statistik ELSTAT bis zum Jahresende 2014 (http://www.macropolis.gr/?i=portal.en.the-agora.2080). Im Übrigen wird auf die Veröffentlichungen des Griechischen Amtes für Statistik ELSTAT (www.statistics.gr) verwiesen, das bislang Daten zur Fiskalstatistik von 2010 bis 2013 veröffentlicht hat. Das Streben nach soliden Staatsfinanzen ist weder in den Augen des Ministerpräsidenten, noch der Landesregierung mit Austeritätspolitik gleichzusetzen. Als Austerität wird - bezugnehmend auf Streeck/Mertens im Diskussionspapier "Politik im Defizit. Austerität als fiskalpolitisches Regime" des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung - wie folgt verstanden: "[Austerität] bedeutet […] nicht, oder doch nicht unbedingt und jedenfalls nicht sofort, dass die Ausgaben des Staates zurückgeschnitten, die öffentlichen Haushalte ausgeglichen und die Schulden getilgt werden. Vielmehr handelt es sich in Piersons Definition um eine als Regime institutionalisierte fiskalpolitische Dauerkrise, die der Politik keine andere Wahl lässt als sie zu bekämpfen , und zwar als Daueraufgabe. Wichtigste Symptome sind eine stetig abnehmende Flexibilität der öffentlichen Finanzen und die fortschreitende Verdrängung diskretionärer durch wachsende, in der Vergangenheit langfristig festgelegte Staatsausgaben bei stagnierenden Steuereinnahmen - Symptome, die durch die vom fiskalischen Regime verlangten Konsolidierungsmaßnahmen nicht beseitigt, sondern verstärkt werden . Als Ergebnis geht die Fähigkeit der Politik, gestaltend auf gesellschaftliche Problemlagen einzuwirken, immer mehr zurück, was wiederum die ohnehin abnehmende Bereitschaft der Gesellschaft weiter verringert , dem Staat finanzielle Mittel zur Bearbeitung legitimationsrelevanter gesellschaftlicher Probleme zuzugestehen . Die Folge ist ein Teufelskreis, in dem die schwindende Handlungsfähigkeit des Staates das Vertrauen der Gesellschaft in die Politik und damit die wichtigste Voraussetzung für eine Wiederherstellung der staatlichen Handlungsfähigkeit zunehmend untergräbt." (a.a.O., S. 13 f.) Zu 9. bis 11.: Der Ministerpräsident hat keine Behauptung der russischen Staatspropaganda wiederholt. Im Übrigen befürwortet kein Mitglied der Landesregierung, dass der private Sender Salve-TV die Sendung des russischen Staatssenders Russia-Today unkommentiert in sein Medienangebot übernommen hat. Die damit verbundene Annahme des Senders, die Meinungsvielfalt auf diesem Wege stützen zu wollen, wird aus Sicht des für Medien zuständigen Ministers äußerst kritisch bewertet. Prof. Dr. Hoff Chef der Staatskanzlei